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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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zuvor offenherzig seine Gründe dem Director des Hauses oder dem Supe-
rior vortragen, welcher ihm zu reifer Ueberlegung sechs Wochen Bedenkzeit
geben und ihn mit väterlicher Liebe auf die Folgen seines Schrittes auf¬
merksam macheu soll. Verharret er dennoch in seinem Entschlüsse, so wird
er ermahnt, die achttägigen Exercitien vorzunehmen, nach deren Vollendung
er "im Namen des Herrn" auftreten mag. Woher der Orden seine Dota¬
tion nehmen und wie er seine Glieder erhalten werde, ist nicht gesagt. Um
in dieser wesentlichen Frage anscheinend zu beruhigen, gestattet die Ordens¬
regel den Brüdern die Annahme eines Dienstgehaltes nur als ein Almosen
auf so lange, bis das Ordenshans eine eigene Dotation haben werde. Auch
den Meszverdienst dürfen die Brüder, wahrscheinlich zur Auffüllung des Al¬
mosens, versehen. Sie sollen zur Haltung des Gelübdes der Keuschheit
"während des Redens ihren Blick senken" und auf der Straße dürfen ihre
Augen nicht herumschweifen. Müssen zwei Brüder in einem Bette schlafen,
so dürfen sie sich nicht ausziehen. Besuche dürfen sie nur zu zweien machen,
und nothwendiges Reden mit Personen des weiblichen Geschlechtes darf nur
an der offen gehaltenen Pforte und unter vorzüglicher Beobachtung alles
Anstandes stattfinden. Der Gehorsam muß unbedingt mit der Meinung
geübt werden, daß der Bruder in seinen Vorgesetzten sich Gott selbst unter¬
werfe. --

Das Angeführte mag zur Charakteristik genügen. Wie soll der Orden
so viele junge Leute von "erprobter Gottseligkeit" finden, da es den Kon¬
sistorien und Ordinariaten nicht möglich ist, solche Priesteramts-Candidaten
zu erlangen? Soll unsere Jugend allen Gefahren, die von derlei unfreien
heuchlerischen Cölibatärs herrühren, fortwährend und je mehr das Institut
gewinnt, in immersteigendem Maße ausgesetzt werden? Bleibt uns mit euern
Halbmönchen und unnatürlichen Geheimsundern vom Leibe und laßt uns die
alten Schullehrer mit ihren Familien! Wer selbst Kinder hat, begreift
das Kinderleben, wer selbst einem lebenswarmen Familienherd angehört, oder
ihm anzugehören Aussicht hat, dem ist das Familienglück heilig. Bessere
den Schullehrern ihren Lohn und richtet den Präparaudenunterricht zweck¬
mäßiger ein, so mögt ihr euch über die genügende Bildung der Jugend auf
dem Lande beruhigen. Wir wissen, was dem künftigen Bauer und Gewerbs-
mann an Bildung und Unterricht Noth thut. Die Religion seiner Väter
lehre und pflanze der Seelsorger in sein Herz; im Lesen, Schreiben, Rechnen
und in deu nöthigsten gemeinnützigen Kenntnissen unterweise ihn der Schul¬
lehrer schlicht und einfach -- ohne Nebenzweck -- und das sittlich-religiöse
Leben übe und fördere die häusliche Erziehung in Verbindung mit der


zuvor offenherzig seine Gründe dem Director des Hauses oder dem Supe-
rior vortragen, welcher ihm zu reifer Ueberlegung sechs Wochen Bedenkzeit
geben und ihn mit väterlicher Liebe auf die Folgen seines Schrittes auf¬
merksam macheu soll. Verharret er dennoch in seinem Entschlüsse, so wird
er ermahnt, die achttägigen Exercitien vorzunehmen, nach deren Vollendung
er „im Namen des Herrn" auftreten mag. Woher der Orden seine Dota¬
tion nehmen und wie er seine Glieder erhalten werde, ist nicht gesagt. Um
in dieser wesentlichen Frage anscheinend zu beruhigen, gestattet die Ordens¬
regel den Brüdern die Annahme eines Dienstgehaltes nur als ein Almosen
auf so lange, bis das Ordenshans eine eigene Dotation haben werde. Auch
den Meszverdienst dürfen die Brüder, wahrscheinlich zur Auffüllung des Al¬
mosens, versehen. Sie sollen zur Haltung des Gelübdes der Keuschheit
„während des Redens ihren Blick senken" und auf der Straße dürfen ihre
Augen nicht herumschweifen. Müssen zwei Brüder in einem Bette schlafen,
so dürfen sie sich nicht ausziehen. Besuche dürfen sie nur zu zweien machen,
und nothwendiges Reden mit Personen des weiblichen Geschlechtes darf nur
an der offen gehaltenen Pforte und unter vorzüglicher Beobachtung alles
Anstandes stattfinden. Der Gehorsam muß unbedingt mit der Meinung
geübt werden, daß der Bruder in seinen Vorgesetzten sich Gott selbst unter¬
werfe. —

Das Angeführte mag zur Charakteristik genügen. Wie soll der Orden
so viele junge Leute von „erprobter Gottseligkeit" finden, da es den Kon¬
sistorien und Ordinariaten nicht möglich ist, solche Priesteramts-Candidaten
zu erlangen? Soll unsere Jugend allen Gefahren, die von derlei unfreien
heuchlerischen Cölibatärs herrühren, fortwährend und je mehr das Institut
gewinnt, in immersteigendem Maße ausgesetzt werden? Bleibt uns mit euern
Halbmönchen und unnatürlichen Geheimsundern vom Leibe und laßt uns die
alten Schullehrer mit ihren Familien! Wer selbst Kinder hat, begreift
das Kinderleben, wer selbst einem lebenswarmen Familienherd angehört, oder
ihm anzugehören Aussicht hat, dem ist das Familienglück heilig. Bessere
den Schullehrern ihren Lohn und richtet den Präparaudenunterricht zweck¬
mäßiger ein, so mögt ihr euch über die genügende Bildung der Jugend auf
dem Lande beruhigen. Wir wissen, was dem künftigen Bauer und Gewerbs-
mann an Bildung und Unterricht Noth thut. Die Religion seiner Väter
lehre und pflanze der Seelsorger in sein Herz; im Lesen, Schreiben, Rechnen
und in deu nöthigsten gemeinnützigen Kenntnissen unterweise ihn der Schul¬
lehrer schlicht und einfach — ohne Nebenzweck — und das sittlich-religiöse
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[0204] zuvor offenherzig seine Gründe dem Director des Hauses oder dem Supe- rior vortragen, welcher ihm zu reifer Ueberlegung sechs Wochen Bedenkzeit geben und ihn mit väterlicher Liebe auf die Folgen seines Schrittes auf¬ merksam macheu soll. Verharret er dennoch in seinem Entschlüsse, so wird er ermahnt, die achttägigen Exercitien vorzunehmen, nach deren Vollendung er „im Namen des Herrn" auftreten mag. Woher der Orden seine Dota¬ tion nehmen und wie er seine Glieder erhalten werde, ist nicht gesagt. Um in dieser wesentlichen Frage anscheinend zu beruhigen, gestattet die Ordens¬ regel den Brüdern die Annahme eines Dienstgehaltes nur als ein Almosen auf so lange, bis das Ordenshans eine eigene Dotation haben werde. Auch den Meszverdienst dürfen die Brüder, wahrscheinlich zur Auffüllung des Al¬ mosens, versehen. Sie sollen zur Haltung des Gelübdes der Keuschheit „während des Redens ihren Blick senken" und auf der Straße dürfen ihre Augen nicht herumschweifen. Müssen zwei Brüder in einem Bette schlafen, so dürfen sie sich nicht ausziehen. Besuche dürfen sie nur zu zweien machen, und nothwendiges Reden mit Personen des weiblichen Geschlechtes darf nur an der offen gehaltenen Pforte und unter vorzüglicher Beobachtung alles Anstandes stattfinden. Der Gehorsam muß unbedingt mit der Meinung geübt werden, daß der Bruder in seinen Vorgesetzten sich Gott selbst unter¬ werfe. — Das Angeführte mag zur Charakteristik genügen. Wie soll der Orden so viele junge Leute von „erprobter Gottseligkeit" finden, da es den Kon¬ sistorien und Ordinariaten nicht möglich ist, solche Priesteramts-Candidaten zu erlangen? Soll unsere Jugend allen Gefahren, die von derlei unfreien heuchlerischen Cölibatärs herrühren, fortwährend und je mehr das Institut gewinnt, in immersteigendem Maße ausgesetzt werden? Bleibt uns mit euern Halbmönchen und unnatürlichen Geheimsundern vom Leibe und laßt uns die alten Schullehrer mit ihren Familien! Wer selbst Kinder hat, begreift das Kinderleben, wer selbst einem lebenswarmen Familienherd angehört, oder ihm anzugehören Aussicht hat, dem ist das Familienglück heilig. Bessere den Schullehrern ihren Lohn und richtet den Präparaudenunterricht zweck¬ mäßiger ein, so mögt ihr euch über die genügende Bildung der Jugend auf dem Lande beruhigen. Wir wissen, was dem künftigen Bauer und Gewerbs- mann an Bildung und Unterricht Noth thut. Die Religion seiner Väter lehre und pflanze der Seelsorger in sein Herz; im Lesen, Schreiben, Rechnen und in deu nöthigsten gemeinnützigen Kenntnissen unterweise ihn der Schul¬ lehrer schlicht und einfach — ohne Nebenzweck — und das sittlich-religiöse Leben übe und fördere die häusliche Erziehung in Verbindung mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/204>, abgerufen am 01.09.2024.