Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Linken über den Schooß gebreitet niederstießen läßt -- es ist vielmehr
eine antike Ariadne, die ein Heros, ein Göttersohn verlassen und ihr seine
Umarmungen treulos entzogen hat. Darüber klagt sie zu den Göttern,
und nur ein Gott kann und wird sie trösten. Auch diesen Akt leidenschaft¬
lich bewegter, schöner Nacktheit konnte der Meister nur unter dem Schirm
und Schutze des überlieferten mythischen Motiv's, unter dem Schematismus
einer heiligen, spiritualistischen Legende in Scene setzen."

Die Perterskirche im Innern: "Eins hat diese Größe, diese Verschwen-
dung colossaler Verhältnisse, dieser oft geschmacklos gescholtene Reichthum
doch erreicht; ein Gefühl, welches ich sonst nirgend empfunden, erweckte
dieser Ban doch bei jedem wiederholten Besuche seines Innern. Es ist die
unbeschreiblich wohlthuende Empfindung der Ruhe und Stille, das Gefühl
der Sicherheit und wandelloser Festigkeit. Es liegt ein Heller, warmer Ton
über dem Ganzen, über diese,: Marmorwänden mit ihren bunten Mosaiken.
Alles ist Stein, Marmor oder Metall. Selbst die Bilder und Gemälde
sind von Stein, die Wände vielfarbiger, hellgeschlissener Marmor, wie der
Fußboden; die Deckcngewölbe Gold und Mosaik. In dieser unvergleichlichen
Solidität des ungeheuern Baues, in dieser edelsteinerncn Einfachheit liegt
das Geheimniß jenes Eindrucks der stillen, sichern Ruhe, liegt die Einheit,
welche all' den bunten Reichthum harmonisch in sich zusammenschließt. Es
kommt einem vor, als wäre das Ganze nicht künstlich zusammengefügt, son¬
dern als wäre es wie eine ungeheure Riesenblnme mit tausend funkelnden
und strahlenden Edelstcinblüthen aus der Erde gewachsen. In diesem Ge¬
fühle bestärkt uns denn auch die Wirkung der realen, der wirklichen Ranm-
größe, welche jede Störung hindert oder doch schwächt. Hier wird Messe
gelesen und geistliche Musik aufgeführt, dort werden Gerüste aufgeschlagen,
es wird gezimmert und gehämmert, genagelt und gepocht; dazwischen wan¬
deln Schaaren von Neugierigen und Fremden, mit frommen Wallern und
einheimischen Betern gemischt. Aber keine Thätigkeit stört die andere, und
der einzelne, in stumme Betrachtung versunkene Wanderer empfindet sich in¬
mitten aller dieser verschiedenartigsten Umgebung stets in ungestörter, wun¬
derbarer, weltabgeschlossener und doch nicht an strenge Askese erinnernden
Einsamkeit, in welcher er ungestört seinen Gedanken und Empfindungen
nachhängen kann."

Ein Fehler, den man Stahr mit Recht zum Vorwurf macheu kann, ist
das unablässige Literatnrbewnßtsein, dieses Häuser mit poetischen Citaten
aus allen Sprachen und Zeiten. Wir Deutsche sind noch all' zu sehr Schul¬
meister, selbst in unserm Witz und unserer Rührung. Horaz, Heine, Uhland,


der Linken über den Schooß gebreitet niederstießen läßt — es ist vielmehr
eine antike Ariadne, die ein Heros, ein Göttersohn verlassen und ihr seine
Umarmungen treulos entzogen hat. Darüber klagt sie zu den Göttern,
und nur ein Gott kann und wird sie trösten. Auch diesen Akt leidenschaft¬
lich bewegter, schöner Nacktheit konnte der Meister nur unter dem Schirm
und Schutze des überlieferten mythischen Motiv's, unter dem Schematismus
einer heiligen, spiritualistischen Legende in Scene setzen."

Die Perterskirche im Innern: „Eins hat diese Größe, diese Verschwen-
dung colossaler Verhältnisse, dieser oft geschmacklos gescholtene Reichthum
doch erreicht; ein Gefühl, welches ich sonst nirgend empfunden, erweckte
dieser Ban doch bei jedem wiederholten Besuche seines Innern. Es ist die
unbeschreiblich wohlthuende Empfindung der Ruhe und Stille, das Gefühl
der Sicherheit und wandelloser Festigkeit. Es liegt ein Heller, warmer Ton
über dem Ganzen, über diese,: Marmorwänden mit ihren bunten Mosaiken.
Alles ist Stein, Marmor oder Metall. Selbst die Bilder und Gemälde
sind von Stein, die Wände vielfarbiger, hellgeschlissener Marmor, wie der
Fußboden; die Deckcngewölbe Gold und Mosaik. In dieser unvergleichlichen
Solidität des ungeheuern Baues, in dieser edelsteinerncn Einfachheit liegt
das Geheimniß jenes Eindrucks der stillen, sichern Ruhe, liegt die Einheit,
welche all' den bunten Reichthum harmonisch in sich zusammenschließt. Es
kommt einem vor, als wäre das Ganze nicht künstlich zusammengefügt, son¬
dern als wäre es wie eine ungeheure Riesenblnme mit tausend funkelnden
und strahlenden Edelstcinblüthen aus der Erde gewachsen. In diesem Ge¬
fühle bestärkt uns denn auch die Wirkung der realen, der wirklichen Ranm-
größe, welche jede Störung hindert oder doch schwächt. Hier wird Messe
gelesen und geistliche Musik aufgeführt, dort werden Gerüste aufgeschlagen,
es wird gezimmert und gehämmert, genagelt und gepocht; dazwischen wan¬
deln Schaaren von Neugierigen und Fremden, mit frommen Wallern und
einheimischen Betern gemischt. Aber keine Thätigkeit stört die andere, und
der einzelne, in stumme Betrachtung versunkene Wanderer empfindet sich in¬
mitten aller dieser verschiedenartigsten Umgebung stets in ungestörter, wun¬
derbarer, weltabgeschlossener und doch nicht an strenge Askese erinnernden
Einsamkeit, in welcher er ungestört seinen Gedanken und Empfindungen
nachhängen kann."

Ein Fehler, den man Stahr mit Recht zum Vorwurf macheu kann, ist
das unablässige Literatnrbewnßtsein, dieses Häuser mit poetischen Citaten
aus allen Sprachen und Zeiten. Wir Deutsche sind noch all' zu sehr Schul¬
meister, selbst in unserm Witz und unserer Rührung. Horaz, Heine, Uhland,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184326"/>
            <p xml:id="ID_560" prev="#ID_559"> der Linken über den Schooß gebreitet niederstießen läßt &#x2014; es ist vielmehr<lb/>
eine antike Ariadne, die ein Heros, ein Göttersohn verlassen und ihr seine<lb/>
Umarmungen treulos entzogen hat. Darüber klagt sie zu den Göttern,<lb/>
und nur ein Gott kann und wird sie trösten. Auch diesen Akt leidenschaft¬<lb/>
lich bewegter, schöner Nacktheit konnte der Meister nur unter dem Schirm<lb/>
und Schutze des überlieferten mythischen Motiv's, unter dem Schematismus<lb/>
einer heiligen, spiritualistischen Legende in Scene setzen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_561"> Die Perterskirche im Innern: &#x201E;Eins hat diese Größe, diese Verschwen-<lb/>
dung colossaler Verhältnisse, dieser oft geschmacklos gescholtene Reichthum<lb/>
doch erreicht; ein Gefühl, welches ich sonst nirgend empfunden, erweckte<lb/>
dieser Ban doch bei jedem wiederholten Besuche seines Innern. Es ist die<lb/>
unbeschreiblich wohlthuende Empfindung der Ruhe und Stille, das Gefühl<lb/>
der Sicherheit und wandelloser Festigkeit. Es liegt ein Heller, warmer Ton<lb/>
über dem Ganzen, über diese,: Marmorwänden mit ihren bunten Mosaiken.<lb/>
Alles ist Stein, Marmor oder Metall. Selbst die Bilder und Gemälde<lb/>
sind von Stein, die Wände vielfarbiger, hellgeschlissener Marmor, wie der<lb/>
Fußboden; die Deckcngewölbe Gold und Mosaik. In dieser unvergleichlichen<lb/>
Solidität des ungeheuern Baues, in dieser edelsteinerncn Einfachheit liegt<lb/>
das Geheimniß jenes Eindrucks der stillen, sichern Ruhe, liegt die Einheit,<lb/>
welche all' den bunten Reichthum harmonisch in sich zusammenschließt. Es<lb/>
kommt einem vor, als wäre das Ganze nicht künstlich zusammengefügt, son¬<lb/>
dern als wäre es wie eine ungeheure Riesenblnme mit tausend funkelnden<lb/>
und strahlenden Edelstcinblüthen aus der Erde gewachsen. In diesem Ge¬<lb/>
fühle bestärkt uns denn auch die Wirkung der realen, der wirklichen Ranm-<lb/>
größe, welche jede Störung hindert oder doch schwächt. Hier wird Messe<lb/>
gelesen und geistliche Musik aufgeführt, dort werden Gerüste aufgeschlagen,<lb/>
es wird gezimmert und gehämmert, genagelt und gepocht; dazwischen wan¬<lb/>
deln Schaaren von Neugierigen und Fremden, mit frommen Wallern und<lb/>
einheimischen Betern gemischt. Aber keine Thätigkeit stört die andere, und<lb/>
der einzelne, in stumme Betrachtung versunkene Wanderer empfindet sich in¬<lb/>
mitten aller dieser verschiedenartigsten Umgebung stets in ungestörter, wun¬<lb/>
derbarer, weltabgeschlossener und doch nicht an strenge Askese erinnernden<lb/>
Einsamkeit, in welcher er ungestört seinen Gedanken und Empfindungen<lb/>
nachhängen kann."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_562" next="#ID_563"> Ein Fehler, den man Stahr mit Recht zum Vorwurf macheu kann, ist<lb/>
das unablässige Literatnrbewnßtsein, dieses Häuser mit poetischen Citaten<lb/>
aus allen Sprachen und Zeiten. Wir Deutsche sind noch all' zu sehr Schul¬<lb/>
meister, selbst in unserm Witz und unserer Rührung. Horaz, Heine, Uhland,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0166] der Linken über den Schooß gebreitet niederstießen läßt — es ist vielmehr eine antike Ariadne, die ein Heros, ein Göttersohn verlassen und ihr seine Umarmungen treulos entzogen hat. Darüber klagt sie zu den Göttern, und nur ein Gott kann und wird sie trösten. Auch diesen Akt leidenschaft¬ lich bewegter, schöner Nacktheit konnte der Meister nur unter dem Schirm und Schutze des überlieferten mythischen Motiv's, unter dem Schematismus einer heiligen, spiritualistischen Legende in Scene setzen." Die Perterskirche im Innern: „Eins hat diese Größe, diese Verschwen- dung colossaler Verhältnisse, dieser oft geschmacklos gescholtene Reichthum doch erreicht; ein Gefühl, welches ich sonst nirgend empfunden, erweckte dieser Ban doch bei jedem wiederholten Besuche seines Innern. Es ist die unbeschreiblich wohlthuende Empfindung der Ruhe und Stille, das Gefühl der Sicherheit und wandelloser Festigkeit. Es liegt ein Heller, warmer Ton über dem Ganzen, über diese,: Marmorwänden mit ihren bunten Mosaiken. Alles ist Stein, Marmor oder Metall. Selbst die Bilder und Gemälde sind von Stein, die Wände vielfarbiger, hellgeschlissener Marmor, wie der Fußboden; die Deckcngewölbe Gold und Mosaik. In dieser unvergleichlichen Solidität des ungeheuern Baues, in dieser edelsteinerncn Einfachheit liegt das Geheimniß jenes Eindrucks der stillen, sichern Ruhe, liegt die Einheit, welche all' den bunten Reichthum harmonisch in sich zusammenschließt. Es kommt einem vor, als wäre das Ganze nicht künstlich zusammengefügt, son¬ dern als wäre es wie eine ungeheure Riesenblnme mit tausend funkelnden und strahlenden Edelstcinblüthen aus der Erde gewachsen. In diesem Ge¬ fühle bestärkt uns denn auch die Wirkung der realen, der wirklichen Ranm- größe, welche jede Störung hindert oder doch schwächt. Hier wird Messe gelesen und geistliche Musik aufgeführt, dort werden Gerüste aufgeschlagen, es wird gezimmert und gehämmert, genagelt und gepocht; dazwischen wan¬ deln Schaaren von Neugierigen und Fremden, mit frommen Wallern und einheimischen Betern gemischt. Aber keine Thätigkeit stört die andere, und der einzelne, in stumme Betrachtung versunkene Wanderer empfindet sich in¬ mitten aller dieser verschiedenartigsten Umgebung stets in ungestörter, wun¬ derbarer, weltabgeschlossener und doch nicht an strenge Askese erinnernden Einsamkeit, in welcher er ungestört seinen Gedanken und Empfindungen nachhängen kann." Ein Fehler, den man Stahr mit Recht zum Vorwurf macheu kann, ist das unablässige Literatnrbewnßtsein, dieses Häuser mit poetischen Citaten aus allen Sprachen und Zeiten. Wir Deutsche sind noch all' zu sehr Schul¬ meister, selbst in unserm Witz und unserer Rührung. Horaz, Heine, Uhland,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/166
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/166>, abgerufen am 01.09.2024.