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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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englische, italienische und französische Dichter müssen herhalten. Der Grund¬
zug der deutschen Stimmung bleibt aber immer das Heimische:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin.
Ein Mährchen aus alten Zeiten
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Solche Lieder begleiten den Reisenden auch in seine Villegiatnren, die
in unsern Angen den schönsten Theil seiner Neiseschildernngen ausmachen,
liebliche Idyllen, bei denen uns wohl um's Herz wird.

Wer Sinn für reine Humanität hat und für die Natur in ihren man¬
nigfach wechselnden Formen, wird dieses Buch nicht ohne Interesse und Be¬
lehrung aus der Hand legen. Wir steilen uns auf die Fortsetzung desselben
und gehen nun zu dem zweiten Werke über.

Den Titel desselben rechtfertigt Willkomm damit, daß "die Nacht die
schönste Zeit ist zu heiterm Lebensgenuß in: Süden,"

Die Reise geht über Nürnberg, München, Innspruck, das Vintschgau,
das Veltliu, Mailand, Genua, Livorno nach Rom; in Rom längerer Auf¬
enthalt, dann Neapel, und Rückfahrt über Rom und Venedig. Der zweite
Aufenthalt in Rom gibt zu politischer Betrachtung über die neue Phase des
Kirchenstaates Veranlassung.

Wir müssen aufrichtig gestehen, daß uns die feine, humane Weise
Stahr's mehr zusagt, aber in solchen Sachen ist der Geschmack etwas In¬
dividuelles; es gibt gewiß Viele, denen Senahr zu vornehm sein wird und
denen das bunte Leben in der Willkomm'schen Reise, der der Verfasser dnrch
häufigen Dialog und ähnliche Kunstgriffe eine Art dramatischer Bewegung
zu geben versucht hat, besser gefallen wird. Auch die gemüthliche, epische
Breite wird in reichem Maaß angewendet und macht eiuen gar nicht unan¬
genehmen Eindruck. Hier ein Beispiel seiner Art zu erzählen. "11 passn-
l'ordo, KiAnor! redete mich ein schnauzbärtiger, in schmutzig-grüner Uni¬
form steckender Kerl an, dem die Ueberwachung der Grenze, wie es schien,
anvertraut war. Ich reichte ihm stillschweigend das Verlangte,
stieg aus meiner Kalesche und sah mich vor Allem uach etwas Eßbarem um,
denn die scharfe Gebirgsluft hatte mich hungrig gemacht. In dem ziemlich
geräumigen Wirthshause geriet!) ich zuerst in die Küche. Hier hockte die
ganze Einwohnerschaft am oder vielmehr im Kamin, der groß genug war,
um wenigstens vier Menschen fassen zu können. Ein Helles Feuer prasselte
lustig in der Hexenküche. Darüber hing an russigen Ketten ein Kessel, in
dem irgend etwas Eßbares brodelte. Die halb in und neben dem Feuer


englische, italienische und französische Dichter müssen herhalten. Der Grund¬
zug der deutschen Stimmung bleibt aber immer das Heimische:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin.
Ein Mährchen aus alten Zeiten
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Solche Lieder begleiten den Reisenden auch in seine Villegiatnren, die
in unsern Angen den schönsten Theil seiner Neiseschildernngen ausmachen,
liebliche Idyllen, bei denen uns wohl um's Herz wird.

Wer Sinn für reine Humanität hat und für die Natur in ihren man¬
nigfach wechselnden Formen, wird dieses Buch nicht ohne Interesse und Be¬
lehrung aus der Hand legen. Wir steilen uns auf die Fortsetzung desselben
und gehen nun zu dem zweiten Werke über.

Den Titel desselben rechtfertigt Willkomm damit, daß „die Nacht die
schönste Zeit ist zu heiterm Lebensgenuß in: Süden,"

Die Reise geht über Nürnberg, München, Innspruck, das Vintschgau,
das Veltliu, Mailand, Genua, Livorno nach Rom; in Rom längerer Auf¬
enthalt, dann Neapel, und Rückfahrt über Rom und Venedig. Der zweite
Aufenthalt in Rom gibt zu politischer Betrachtung über die neue Phase des
Kirchenstaates Veranlassung.

Wir müssen aufrichtig gestehen, daß uns die feine, humane Weise
Stahr's mehr zusagt, aber in solchen Sachen ist der Geschmack etwas In¬
dividuelles; es gibt gewiß Viele, denen Senahr zu vornehm sein wird und
denen das bunte Leben in der Willkomm'schen Reise, der der Verfasser dnrch
häufigen Dialog und ähnliche Kunstgriffe eine Art dramatischer Bewegung
zu geben versucht hat, besser gefallen wird. Auch die gemüthliche, epische
Breite wird in reichem Maaß angewendet und macht eiuen gar nicht unan¬
genehmen Eindruck. Hier ein Beispiel seiner Art zu erzählen. „11 passn-
l'ordo, KiAnor! redete mich ein schnauzbärtiger, in schmutzig-grüner Uni¬
form steckender Kerl an, dem die Ueberwachung der Grenze, wie es schien,
anvertraut war. Ich reichte ihm stillschweigend das Verlangte,
stieg aus meiner Kalesche und sah mich vor Allem uach etwas Eßbarem um,
denn die scharfe Gebirgsluft hatte mich hungrig gemacht. In dem ziemlich
geräumigen Wirthshause geriet!) ich zuerst in die Küche. Hier hockte die
ganze Einwohnerschaft am oder vielmehr im Kamin, der groß genug war,
um wenigstens vier Menschen fassen zu können. Ein Helles Feuer prasselte
lustig in der Hexenküche. Darüber hing an russigen Ketten ein Kessel, in
dem irgend etwas Eßbares brodelte. Die halb in und neben dem Feuer


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[0167] englische, italienische und französische Dichter müssen herhalten. Der Grund¬ zug der deutschen Stimmung bleibt aber immer das Heimische: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin. Ein Mährchen aus alten Zeiten Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Solche Lieder begleiten den Reisenden auch in seine Villegiatnren, die in unsern Angen den schönsten Theil seiner Neiseschildernngen ausmachen, liebliche Idyllen, bei denen uns wohl um's Herz wird. Wer Sinn für reine Humanität hat und für die Natur in ihren man¬ nigfach wechselnden Formen, wird dieses Buch nicht ohne Interesse und Be¬ lehrung aus der Hand legen. Wir steilen uns auf die Fortsetzung desselben und gehen nun zu dem zweiten Werke über. Den Titel desselben rechtfertigt Willkomm damit, daß „die Nacht die schönste Zeit ist zu heiterm Lebensgenuß in: Süden," Die Reise geht über Nürnberg, München, Innspruck, das Vintschgau, das Veltliu, Mailand, Genua, Livorno nach Rom; in Rom längerer Auf¬ enthalt, dann Neapel, und Rückfahrt über Rom und Venedig. Der zweite Aufenthalt in Rom gibt zu politischer Betrachtung über die neue Phase des Kirchenstaates Veranlassung. Wir müssen aufrichtig gestehen, daß uns die feine, humane Weise Stahr's mehr zusagt, aber in solchen Sachen ist der Geschmack etwas In¬ dividuelles; es gibt gewiß Viele, denen Senahr zu vornehm sein wird und denen das bunte Leben in der Willkomm'schen Reise, der der Verfasser dnrch häufigen Dialog und ähnliche Kunstgriffe eine Art dramatischer Bewegung zu geben versucht hat, besser gefallen wird. Auch die gemüthliche, epische Breite wird in reichem Maaß angewendet und macht eiuen gar nicht unan¬ genehmen Eindruck. Hier ein Beispiel seiner Art zu erzählen. „11 passn- l'ordo, KiAnor! redete mich ein schnauzbärtiger, in schmutzig-grüner Uni¬ form steckender Kerl an, dem die Ueberwachung der Grenze, wie es schien, anvertraut war. Ich reichte ihm stillschweigend das Verlangte, stieg aus meiner Kalesche und sah mich vor Allem uach etwas Eßbarem um, denn die scharfe Gebirgsluft hatte mich hungrig gemacht. In dem ziemlich geräumigen Wirthshause geriet!) ich zuerst in die Küche. Hier hockte die ganze Einwohnerschaft am oder vielmehr im Kamin, der groß genug war, um wenigstens vier Menschen fassen zu können. Ein Helles Feuer prasselte lustig in der Hexenküche. Darüber hing an russigen Ketten ein Kessel, in dem irgend etwas Eßbares brodelte. Die halb in und neben dem Feuer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/167>, abgerufen am 01.09.2024.