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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Nacht horchte sie, bei jedem Windeszuge fuhr sie ängstlich in die Höhe. Es
wurde immer finsterer und stürmischer draußen.

Karl und Baumann waren an ihren Posten nach einem fast stunden¬
langen Marsch auf vielfachen Umwegen angekommen. Ganz ferne klapperte
die Bindermühle -- über ein wildes Gebirgswasser führte ein schmaler Steg,
aus zwei unbehauenen Tanncnstämmen gebildet, nur für Fußgänger brauch¬
bar, denn der Fuhrweg führte eine halbe Stunde weiter unten an der Mühle
vorbei.

, Durch den tiefdunklen Wald schritt vorsichtig, nur zuweilen den Strahl
einer Blendlaterne auslastend, eine lange Reihe Männer, Hucken auf dem
Rücken, schwere Stöcke in der Hand tragend, viele darunter führten Feuer¬
gewehre. Hundert Schritt voraus ging eine Vorhut, von drei Männern,
welche zwar auch belastet waren, deren Hucken aber geringen Inhaltes beim
Angriffe preisgegeben wurden. Bei den dreien ging ohne Hucke ein vier¬
ter -- eine Flinte über die Achsel geworfen, dessen Tracht und Dialekt
fremd abstachen gegen die Uebrigen. Er ging mit einem der Vorzügler im
leisen aber lebhaften Gespräche voraus.

"Aber nun kann er sich freuen! Geschworen hat er's bei seiner Selig¬
keit, daß er sie heirathen wird, und nun soll sie's zweite Kind kriegen und
ist noch immer nur so bei ihm? Sagt, was Ihr wollt, Lakcnhäusler! ein
davongelaufener Geistlicher ist dem Teufel zu schlecht!"

Der Andere tröstete den erbitterten Paschhampel, denn der war es, der
hier zum Vorschein kam und den Pepi an der Waldecke erblickt hatte. Er
war der Spur seiner Tochter gefolgt und hatte sie an der bairischen Grenze
gefunden -- das Jahr war um, sie war noch immer nicht an den Jäger
verheirathet, der sie ihm fortgeführt hatte.

"Wenn Ihr dem Kerl an's Leder wollt," gegenredete jetzt der Laken-
Häusler, so schießt ihn vom Zollschranken weg wie eine Katze vom Dache!
Ich weise Euch den kürzesten Weg in's Land, und da Ihr gleich nach Hause
geht, so hat's der Wind gethan!"

Der Paschhampel blieb stehen -- so weit hatten es die kecksten Pascher
im Riesengebirge noch nicht gebracht, daß sie einen Angriff auf das Leben
eines Jägers außer dem Falle bitterer Nothwehr gewagt hätten -- der La¬
kenhäusler sprach davon, als ob das alle Tage vorkäme.

"Ich hab' noch auf keinen Menschen geschossen!" sagte der Hampel,
"aber der hätt's verdient!" -- "Da muß bei Euch das Paschen ein Kinder¬
spiel sein," lachte der Schmuggler aus dem Westen, "hier geht es fast nie
ohne Puffen ab, und ich war dabei, wie sechs Grenzjäger ans dem Fleck


Nacht horchte sie, bei jedem Windeszuge fuhr sie ängstlich in die Höhe. Es
wurde immer finsterer und stürmischer draußen.

Karl und Baumann waren an ihren Posten nach einem fast stunden¬
langen Marsch auf vielfachen Umwegen angekommen. Ganz ferne klapperte
die Bindermühle — über ein wildes Gebirgswasser führte ein schmaler Steg,
aus zwei unbehauenen Tanncnstämmen gebildet, nur für Fußgänger brauch¬
bar, denn der Fuhrweg führte eine halbe Stunde weiter unten an der Mühle
vorbei.

, Durch den tiefdunklen Wald schritt vorsichtig, nur zuweilen den Strahl
einer Blendlaterne auslastend, eine lange Reihe Männer, Hucken auf dem
Rücken, schwere Stöcke in der Hand tragend, viele darunter führten Feuer¬
gewehre. Hundert Schritt voraus ging eine Vorhut, von drei Männern,
welche zwar auch belastet waren, deren Hucken aber geringen Inhaltes beim
Angriffe preisgegeben wurden. Bei den dreien ging ohne Hucke ein vier¬
ter — eine Flinte über die Achsel geworfen, dessen Tracht und Dialekt
fremd abstachen gegen die Uebrigen. Er ging mit einem der Vorzügler im
leisen aber lebhaften Gespräche voraus.

„Aber nun kann er sich freuen! Geschworen hat er's bei seiner Selig¬
keit, daß er sie heirathen wird, und nun soll sie's zweite Kind kriegen und
ist noch immer nur so bei ihm? Sagt, was Ihr wollt, Lakcnhäusler! ein
davongelaufener Geistlicher ist dem Teufel zu schlecht!"

Der Andere tröstete den erbitterten Paschhampel, denn der war es, der
hier zum Vorschein kam und den Pepi an der Waldecke erblickt hatte. Er
war der Spur seiner Tochter gefolgt und hatte sie an der bairischen Grenze
gefunden — das Jahr war um, sie war noch immer nicht an den Jäger
verheirathet, der sie ihm fortgeführt hatte.

„Wenn Ihr dem Kerl an's Leder wollt," gegenredete jetzt der Laken-
Häusler, so schießt ihn vom Zollschranken weg wie eine Katze vom Dache!
Ich weise Euch den kürzesten Weg in's Land, und da Ihr gleich nach Hause
geht, so hat's der Wind gethan!"

Der Paschhampel blieb stehen — so weit hatten es die kecksten Pascher
im Riesengebirge noch nicht gebracht, daß sie einen Angriff auf das Leben
eines Jägers außer dem Falle bitterer Nothwehr gewagt hätten — der La¬
kenhäusler sprach davon, als ob das alle Tage vorkäme.

„Ich hab' noch auf keinen Menschen geschossen!" sagte der Hampel,
„aber der hätt's verdient!" — „Da muß bei Euch das Paschen ein Kinder¬
spiel sein," lachte der Schmuggler aus dem Westen, „hier geht es fast nie
ohne Puffen ab, und ich war dabei, wie sechs Grenzjäger ans dem Fleck


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[0120] Nacht horchte sie, bei jedem Windeszuge fuhr sie ängstlich in die Höhe. Es wurde immer finsterer und stürmischer draußen. Karl und Baumann waren an ihren Posten nach einem fast stunden¬ langen Marsch auf vielfachen Umwegen angekommen. Ganz ferne klapperte die Bindermühle — über ein wildes Gebirgswasser führte ein schmaler Steg, aus zwei unbehauenen Tanncnstämmen gebildet, nur für Fußgänger brauch¬ bar, denn der Fuhrweg führte eine halbe Stunde weiter unten an der Mühle vorbei. , Durch den tiefdunklen Wald schritt vorsichtig, nur zuweilen den Strahl einer Blendlaterne auslastend, eine lange Reihe Männer, Hucken auf dem Rücken, schwere Stöcke in der Hand tragend, viele darunter führten Feuer¬ gewehre. Hundert Schritt voraus ging eine Vorhut, von drei Männern, welche zwar auch belastet waren, deren Hucken aber geringen Inhaltes beim Angriffe preisgegeben wurden. Bei den dreien ging ohne Hucke ein vier¬ ter — eine Flinte über die Achsel geworfen, dessen Tracht und Dialekt fremd abstachen gegen die Uebrigen. Er ging mit einem der Vorzügler im leisen aber lebhaften Gespräche voraus. „Aber nun kann er sich freuen! Geschworen hat er's bei seiner Selig¬ keit, daß er sie heirathen wird, und nun soll sie's zweite Kind kriegen und ist noch immer nur so bei ihm? Sagt, was Ihr wollt, Lakcnhäusler! ein davongelaufener Geistlicher ist dem Teufel zu schlecht!" Der Andere tröstete den erbitterten Paschhampel, denn der war es, der hier zum Vorschein kam und den Pepi an der Waldecke erblickt hatte. Er war der Spur seiner Tochter gefolgt und hatte sie an der bairischen Grenze gefunden — das Jahr war um, sie war noch immer nicht an den Jäger verheirathet, der sie ihm fortgeführt hatte. „Wenn Ihr dem Kerl an's Leder wollt," gegenredete jetzt der Laken- Häusler, so schießt ihn vom Zollschranken weg wie eine Katze vom Dache! Ich weise Euch den kürzesten Weg in's Land, und da Ihr gleich nach Hause geht, so hat's der Wind gethan!" Der Paschhampel blieb stehen — so weit hatten es die kecksten Pascher im Riesengebirge noch nicht gebracht, daß sie einen Angriff auf das Leben eines Jägers außer dem Falle bitterer Nothwehr gewagt hätten — der La¬ kenhäusler sprach davon, als ob das alle Tage vorkäme. „Ich hab' noch auf keinen Menschen geschossen!" sagte der Hampel, „aber der hätt's verdient!" — „Da muß bei Euch das Paschen ein Kinder¬ spiel sein," lachte der Schmuggler aus dem Westen, „hier geht es fast nie ohne Puffen ab, und ich war dabei, wie sechs Grenzjäger ans dem Fleck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/120>, abgerufen am 28.07.2024.