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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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men und doch nichts finden. Bulwer wird der Vorwurf gemacht, daß es
ihm an einer guten Absicht fehle -- daß er nicht moralisch bildend auf das
Volk wirke. Aber, lieber Himmel! wem liegt denn heutigen Tages daran,
moralisch bildend zu wirken? Ist nicht Alles auf Effect berechnet? Geht nicht
alles darauf hinaus, einen kurzen Sommer lang von sich sprechen zu machen?
-- Freilich stellt man ihm Dickens entgegen -- und man hat ein Recht,
dies zu thun. Dickens ist eine gute Seele, die alles, was sie sieht, süperbe
auffaßt und wiedergibt; Dickens denkt und fühlt wie alle, ißt und trinkt
und geht mit seiner Fran spazieren, wie ein guter Spießbürger, und findet
ein Vergnügen daran, Abends in einem prächtigen Salon in seinen besten
Kleidern zu sitzen und um sich zischeln zu hören: "Das ist Dickens!" --
Er ist übrigens jetzt auch schon ans der Mode. In dieser Saison ist aber
auch eigentlich Niemand in der Mode als Jenny Lind. Es ist kein neues
Talent außer ihr erschienen; sei es in der literarischen oder der musikali¬
schen Welt. -- Zacharay war schon zu lauge durch seine Beiträge für Punch
bekannt, als daß sein jetziges Austreten als Romanschreiber ihn noch hätte
zum Helden machen können. Doch hat sein "V-uiid^ Kur" den ungetheil-
testen Beifall erhalten und ihn zum großen Liebling des Publikums gemacht.
Das Wort groß läßt sich hier übrigens leicht anwenden; denn er ragt weit
über die Männerwelt hervor, und hat eiuen entsprechenden Umfang. Zum
Glück ist sein Appetit dem angemessen, um das Materielle an ihm zu erhal¬
ten, und sobald man ihm ein hinreichendes Mittagsessen vorgesetzt und er
ein Paar Flaschen schwere" Portweins hiuuutergeschlürft, findet man in ihm
den witzigsten, angenehmsten Gesellschafter, wie selbst nur ein Punch ihn sich
wünschen kann. Seine Carricaturen zeichnet er alle selbst. -- Sollte er aber
die Absicht haben, seine Gaben zur moralischen Bildung des Volks verwen¬
den zu wollen? -- Schwerlich! "V-uiid^ l-iir" hat ihm 500 L. eingebracht,
und da er, wie man hier sagt, von seinem Witze lebt -- live" on Kis wies,
so kann man sich leicht denken, weshalb er es geschrieben. -- Das ist ihn:
übrigens auch keineswegs zu verargen; nur sollte die Kritik dann nicht so hohe
Forderungen an den Einzelnen machen, und den Nest ungeschoren durchschlü¬
pfen lassen. Die Verfasserin der "Ninfa", einem Buche, mit dem sich die
deutsche Kritik ein wenig zu viel befaßt, -- ist jetzt beschäftigt, einen voll¬
kommenen Mann zu schildern. Die Aufgabe konnte etwas schwer sein! We¬
nigstens möchte sie den Typus dazu vergeblich suchen; denn ein Varnhagen
wird ihr in England nicht ausstoßen. Ein Roman "Zoe" hat einiges Aus¬
sehen gemacht. Man verdammt ihn als unmoralisch und liest ihn darum
überall. Der Held des Buches ist ein katholischer Priester, der eine ver-


men und doch nichts finden. Bulwer wird der Vorwurf gemacht, daß es
ihm an einer guten Absicht fehle — daß er nicht moralisch bildend auf das
Volk wirke. Aber, lieber Himmel! wem liegt denn heutigen Tages daran,
moralisch bildend zu wirken? Ist nicht Alles auf Effect berechnet? Geht nicht
alles darauf hinaus, einen kurzen Sommer lang von sich sprechen zu machen?
— Freilich stellt man ihm Dickens entgegen — und man hat ein Recht,
dies zu thun. Dickens ist eine gute Seele, die alles, was sie sieht, süperbe
auffaßt und wiedergibt; Dickens denkt und fühlt wie alle, ißt und trinkt
und geht mit seiner Fran spazieren, wie ein guter Spießbürger, und findet
ein Vergnügen daran, Abends in einem prächtigen Salon in seinen besten
Kleidern zu sitzen und um sich zischeln zu hören: „Das ist Dickens!" —
Er ist übrigens jetzt auch schon ans der Mode. In dieser Saison ist aber
auch eigentlich Niemand in der Mode als Jenny Lind. Es ist kein neues
Talent außer ihr erschienen; sei es in der literarischen oder der musikali¬
schen Welt. — Zacharay war schon zu lauge durch seine Beiträge für Punch
bekannt, als daß sein jetziges Austreten als Romanschreiber ihn noch hätte
zum Helden machen können. Doch hat sein „V-uiid^ Kur" den ungetheil-
testen Beifall erhalten und ihn zum großen Liebling des Publikums gemacht.
Das Wort groß läßt sich hier übrigens leicht anwenden; denn er ragt weit
über die Männerwelt hervor, und hat eiuen entsprechenden Umfang. Zum
Glück ist sein Appetit dem angemessen, um das Materielle an ihm zu erhal¬
ten, und sobald man ihm ein hinreichendes Mittagsessen vorgesetzt und er
ein Paar Flaschen schwere» Portweins hiuuutergeschlürft, findet man in ihm
den witzigsten, angenehmsten Gesellschafter, wie selbst nur ein Punch ihn sich
wünschen kann. Seine Carricaturen zeichnet er alle selbst. — Sollte er aber
die Absicht haben, seine Gaben zur moralischen Bildung des Volks verwen¬
den zu wollen? — Schwerlich! „V-uiid^ l-iir" hat ihm 500 L. eingebracht,
und da er, wie man hier sagt, von seinem Witze lebt — live« on Kis wies,
so kann man sich leicht denken, weshalb er es geschrieben. — Das ist ihn:
übrigens auch keineswegs zu verargen; nur sollte die Kritik dann nicht so hohe
Forderungen an den Einzelnen machen, und den Nest ungeschoren durchschlü¬
pfen lassen. Die Verfasserin der „Ninfa", einem Buche, mit dem sich die
deutsche Kritik ein wenig zu viel befaßt, — ist jetzt beschäftigt, einen voll¬
kommenen Mann zu schildern. Die Aufgabe konnte etwas schwer sein! We¬
nigstens möchte sie den Typus dazu vergeblich suchen; denn ein Varnhagen
wird ihr in England nicht ausstoßen. Ein Roman „Zoe" hat einiges Aus¬
sehen gemacht. Man verdammt ihn als unmoralisch und liest ihn darum
überall. Der Held des Buches ist ein katholischer Priester, der eine ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/11>, abgerufen am 01.09.2024.