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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Manne nichts mehr. Und als Autor hat er hier nie gefallen. Man nennt
seinen Styl affectirt, gesucht, seine Charaktere nicht natürlich. Eine Hel¬
din, wie Alice z. B., welche Engländerin wollte sich für dieselbe interessiren?
Sein Privatleben hat überdies nicht dazu beigetragen, die Meinung von
seinen lockern moralischen Grundsätzen zu schwächen, des Verhältnisses mit
seiner Frau nicht einmal zu gedenken; denn jeder Mann könnte wohl durch
ein eigensinniges, launenhaftes Weib auf's Aeußerste gebracht werden,
spricht man auch außerdem von seinem Privatleben in den zweideutigsten
Ausdrücken und erzählt sich die sonderbarsten Anecdoten über sein Benehmen
gegen die junge Damenwelt. -- Alles das wird sich nun freilich im Laufe
der Zeit andern, denn die Jahre stehen nicht still und sind keineswegs spur¬
los an dem Liebling des deutscher. Publikums vorübergegangen. Er hat die
Wasserkur gebraucht, dein Prinzip des Lebens ein wenig auf die Beine zu
helfen und selbst einen langen Aufsatz darüber geschrieben, in dem er seine
Erfahrung der wohlthätigen Folgen derselben ausspricht; doch hat sie ihn
nicht gesund gemacht. Er leidet ein wenig an Taubheit und -- allerlei
Schwächen und Uebeln frühzeitigen Alters. Auf einem kleinen schwarzen
Pony hängend, gar nicht geistreich und aufgeweckt aussehend, läßt er sich
dnrch die Parks tragen, die frische Luft einzuschlürfen. Sein Hans liegt
in der Se. Jameöstraße und hat eine freie Aussicht in den Park desselben Na¬
mens. Es zeichnet sich vor allen benachbarten Gebäuden ans, ja man
könnte sagen vor allen in London, da es sonderbar roth und gelb über¬
tüncht einem Puppenhause gleicht. Das Innere soll dieser Außenseite ent¬
sprechen und Sir Lytton Bnliver und sein ganzer Haushalt dem Zuschnitte
einer Coquette gleichen. Ob seiue hübsche 18jährige Tochter, die er aus
der Pension in Deutschland zurückberufen, um sie an die Spitze seines
Hauswesens zu stellen, ebenfalls diesen Regeln der Kunst unterworfen, läßt
sich nicht sagen, und ist nicht zu hoffen. Seine Nachbarn sehen ihn viel
in seinem kleinen Garten hinter dem Hause mit einem Buche auf und ab
gehen. Eine Deutsche, die eiuen gebührenden Enthusiasmus für die Ver¬
dienste des Altdorf hegte, bat um die Erlaubniß aus einem der obern Zim¬
mer den Abgott ihrer Träume sehen zu dürfen. Die Dame des Hanfes
versetzte, daß ihr Gewissen ihr nicht erlauben würde, irgend jemand den
Verfasser der Lucretia sehen zu lassen, und daß sie am Liebsten die Fenster
vermauert hätte, wenn dies nur möglich wäre. Diese Meinung der Einzelnen
gilt unbedingt für Alle.

Legt man es übrigens darauf an, in den gefeierten "Lions" auch das
menschlich Schöne zu suchen, so könnte man auch der Diogena Lampe meh-


Manne nichts mehr. Und als Autor hat er hier nie gefallen. Man nennt
seinen Styl affectirt, gesucht, seine Charaktere nicht natürlich. Eine Hel¬
din, wie Alice z. B., welche Engländerin wollte sich für dieselbe interessiren?
Sein Privatleben hat überdies nicht dazu beigetragen, die Meinung von
seinen lockern moralischen Grundsätzen zu schwächen, des Verhältnisses mit
seiner Frau nicht einmal zu gedenken; denn jeder Mann könnte wohl durch
ein eigensinniges, launenhaftes Weib auf's Aeußerste gebracht werden,
spricht man auch außerdem von seinem Privatleben in den zweideutigsten
Ausdrücken und erzählt sich die sonderbarsten Anecdoten über sein Benehmen
gegen die junge Damenwelt. — Alles das wird sich nun freilich im Laufe
der Zeit andern, denn die Jahre stehen nicht still und sind keineswegs spur¬
los an dem Liebling des deutscher. Publikums vorübergegangen. Er hat die
Wasserkur gebraucht, dein Prinzip des Lebens ein wenig auf die Beine zu
helfen und selbst einen langen Aufsatz darüber geschrieben, in dem er seine
Erfahrung der wohlthätigen Folgen derselben ausspricht; doch hat sie ihn
nicht gesund gemacht. Er leidet ein wenig an Taubheit und — allerlei
Schwächen und Uebeln frühzeitigen Alters. Auf einem kleinen schwarzen
Pony hängend, gar nicht geistreich und aufgeweckt aussehend, läßt er sich
dnrch die Parks tragen, die frische Luft einzuschlürfen. Sein Hans liegt
in der Se. Jameöstraße und hat eine freie Aussicht in den Park desselben Na¬
mens. Es zeichnet sich vor allen benachbarten Gebäuden ans, ja man
könnte sagen vor allen in London, da es sonderbar roth und gelb über¬
tüncht einem Puppenhause gleicht. Das Innere soll dieser Außenseite ent¬
sprechen und Sir Lytton Bnliver und sein ganzer Haushalt dem Zuschnitte
einer Coquette gleichen. Ob seiue hübsche 18jährige Tochter, die er aus
der Pension in Deutschland zurückberufen, um sie an die Spitze seines
Hauswesens zu stellen, ebenfalls diesen Regeln der Kunst unterworfen, läßt
sich nicht sagen, und ist nicht zu hoffen. Seine Nachbarn sehen ihn viel
in seinem kleinen Garten hinter dem Hause mit einem Buche auf und ab
gehen. Eine Deutsche, die eiuen gebührenden Enthusiasmus für die Ver¬
dienste des Altdorf hegte, bat um die Erlaubniß aus einem der obern Zim¬
mer den Abgott ihrer Träume sehen zu dürfen. Die Dame des Hanfes
versetzte, daß ihr Gewissen ihr nicht erlauben würde, irgend jemand den
Verfasser der Lucretia sehen zu lassen, und daß sie am Liebsten die Fenster
vermauert hätte, wenn dies nur möglich wäre. Diese Meinung der Einzelnen
gilt unbedingt für Alle.

Legt man es übrigens darauf an, in den gefeierten „Lions" auch das
menschlich Schöne zu suchen, so könnte man auch der Diogena Lampe meh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/10>, abgerufen am 01.09.2024.