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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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festlichen Gelegenheiton macht sich der innere Drang Lust, sollte eS anch nur
in Aeußerlichkeiten sein."

Von Schafhausen geht es nach Zürich, dem geistigen Mittelpunkt der
Schweiz. Eine historische Skizze veranschaulicht uns den Organismus der
politischen Verhältnisse. Am Gelungensten ist die Einwirkung der französischen
Revolution dargestellt, eine wesentliche Umgestaltung der Bundesverfassung
stellt sich als nothwendige Bedingung jedes großartigen Fortschritts heraus.
"Im Jahre I83l begannen die beiden großen Parteien in der Schweiz
schnell wieder zu zerfallen. Die neuen Regierungen wurden von einer Mi¬
schung von gemäßigten Aristokraten und gemäßigten Liberalen in Besitz ge¬
nommen, denen gegenüber sich die abgesetzten Inhaber des alten Regiments
und deren Anhänger, wie auch diejenigen gruppirten, nach deren Meinung
nicht genug geschehen war. So entstand an den meisten Orten ein .?""tv-
milion voller Halbheit und Schwäche, das in seinen Reihen eine gute Zahl
schlauer Emporkömmlinge zählte, welche nach Stellen, Aemtern und Würden
jagten und sich diese durch ihre Kunstgriffe zu sichern suchten. Mit ihnen
verbanden sich redliche Männer, welchen vor den Folgen ihrer eignen Werke
bange wurde. Sie hatten das Volk geweckt, hatten ihm Rechte zugespro¬
chen nud erschracken nun über die Konsequenzen derselben. Man hatte genug
an deu errungenen Fortschritten und wollte wenigstens nicht weiter, nicht
etwa dem eigentlichen Volk die Herrschaft überliefern; und dazu half in die¬
sen kleinen Republiken, trotz aller unruhigen Bewegungen der Zeiten, die
Schen des Volkes vor dem Bestehenden, die alte Ehrfurcht des Bauern
vor dem Herrn, der Jacke und Mütze vor dem Rock und Hut, der tiefe
Respekt vor dem Gelde und der Stadt. Aus deu Händen der regierenden
Familien, der Zünfte und Stadtbürger halte man die Regierung in die der
Eautonsbürger gelegt, ohne einen Wahlcensus einzusetzen oder sonst einen
Unterschied zu machen. Jetzt galt es, trotz dieser wahrhaft republikanischen
Freiheit, das Uebergewicht der Masse abzuwehren, das Ansehn der Geld-
und Besitzaristokratie zu erhalten, und wenn man sich so ausdrücken darf,
die Herrschaft des Spießbürgertums, oder die Herrschaft der Advocaten,
Aerzte, Kaufleute und Grundeigentümer, d. h. die Herrschaft der angese¬
henen Leute zu sichern. Aus diesen Rücksichten entsprang die Schwäche und
alle Inconsequenzen der liberalen Partei. Als der erste Schreck vorüber
war, erholten sich die alten Aristokraten und bildeten, von Basel's Beispiel
belebt, gestützt auf die Häuptlinge des Gebirges und unterstützt von den
Priestern, eine starre Opposition. Sie besaßen Geld, um Zeitungen nach
ihrem Sinne zu gründen und zu erhalten; besaßen Freunde und Vertraute


festlichen Gelegenheiton macht sich der innere Drang Lust, sollte eS anch nur
in Aeußerlichkeiten sein."

Von Schafhausen geht es nach Zürich, dem geistigen Mittelpunkt der
Schweiz. Eine historische Skizze veranschaulicht uns den Organismus der
politischen Verhältnisse. Am Gelungensten ist die Einwirkung der französischen
Revolution dargestellt, eine wesentliche Umgestaltung der Bundesverfassung
stellt sich als nothwendige Bedingung jedes großartigen Fortschritts heraus.
„Im Jahre I83l begannen die beiden großen Parteien in der Schweiz
schnell wieder zu zerfallen. Die neuen Regierungen wurden von einer Mi¬
schung von gemäßigten Aristokraten und gemäßigten Liberalen in Besitz ge¬
nommen, denen gegenüber sich die abgesetzten Inhaber des alten Regiments
und deren Anhänger, wie auch diejenigen gruppirten, nach deren Meinung
nicht genug geschehen war. So entstand an den meisten Orten ein .?»«tv-
milion voller Halbheit und Schwäche, das in seinen Reihen eine gute Zahl
schlauer Emporkömmlinge zählte, welche nach Stellen, Aemtern und Würden
jagten und sich diese durch ihre Kunstgriffe zu sichern suchten. Mit ihnen
verbanden sich redliche Männer, welchen vor den Folgen ihrer eignen Werke
bange wurde. Sie hatten das Volk geweckt, hatten ihm Rechte zugespro¬
chen nud erschracken nun über die Konsequenzen derselben. Man hatte genug
an deu errungenen Fortschritten und wollte wenigstens nicht weiter, nicht
etwa dem eigentlichen Volk die Herrschaft überliefern; und dazu half in die¬
sen kleinen Republiken, trotz aller unruhigen Bewegungen der Zeiten, die
Schen des Volkes vor dem Bestehenden, die alte Ehrfurcht des Bauern
vor dem Herrn, der Jacke und Mütze vor dem Rock und Hut, der tiefe
Respekt vor dem Gelde und der Stadt. Aus deu Händen der regierenden
Familien, der Zünfte und Stadtbürger halte man die Regierung in die der
Eautonsbürger gelegt, ohne einen Wahlcensus einzusetzen oder sonst einen
Unterschied zu machen. Jetzt galt es, trotz dieser wahrhaft republikanischen
Freiheit, das Uebergewicht der Masse abzuwehren, das Ansehn der Geld-
und Besitzaristokratie zu erhalten, und wenn man sich so ausdrücken darf,
die Herrschaft des Spießbürgertums, oder die Herrschaft der Advocaten,
Aerzte, Kaufleute und Grundeigentümer, d. h. die Herrschaft der angese¬
henen Leute zu sichern. Aus diesen Rücksichten entsprang die Schwäche und
alle Inconsequenzen der liberalen Partei. Als der erste Schreck vorüber
war, erholten sich die alten Aristokraten und bildeten, von Basel's Beispiel
belebt, gestützt auf die Häuptlinge des Gebirges und unterstützt von den
Priestern, eine starre Opposition. Sie besaßen Geld, um Zeitungen nach
ihrem Sinne zu gründen und zu erhalten; besaßen Freunde und Vertraute


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[0102] festlichen Gelegenheiton macht sich der innere Drang Lust, sollte eS anch nur in Aeußerlichkeiten sein." Von Schafhausen geht es nach Zürich, dem geistigen Mittelpunkt der Schweiz. Eine historische Skizze veranschaulicht uns den Organismus der politischen Verhältnisse. Am Gelungensten ist die Einwirkung der französischen Revolution dargestellt, eine wesentliche Umgestaltung der Bundesverfassung stellt sich als nothwendige Bedingung jedes großartigen Fortschritts heraus. „Im Jahre I83l begannen die beiden großen Parteien in der Schweiz schnell wieder zu zerfallen. Die neuen Regierungen wurden von einer Mi¬ schung von gemäßigten Aristokraten und gemäßigten Liberalen in Besitz ge¬ nommen, denen gegenüber sich die abgesetzten Inhaber des alten Regiments und deren Anhänger, wie auch diejenigen gruppirten, nach deren Meinung nicht genug geschehen war. So entstand an den meisten Orten ein .?»«tv- milion voller Halbheit und Schwäche, das in seinen Reihen eine gute Zahl schlauer Emporkömmlinge zählte, welche nach Stellen, Aemtern und Würden jagten und sich diese durch ihre Kunstgriffe zu sichern suchten. Mit ihnen verbanden sich redliche Männer, welchen vor den Folgen ihrer eignen Werke bange wurde. Sie hatten das Volk geweckt, hatten ihm Rechte zugespro¬ chen nud erschracken nun über die Konsequenzen derselben. Man hatte genug an deu errungenen Fortschritten und wollte wenigstens nicht weiter, nicht etwa dem eigentlichen Volk die Herrschaft überliefern; und dazu half in die¬ sen kleinen Republiken, trotz aller unruhigen Bewegungen der Zeiten, die Schen des Volkes vor dem Bestehenden, die alte Ehrfurcht des Bauern vor dem Herrn, der Jacke und Mütze vor dem Rock und Hut, der tiefe Respekt vor dem Gelde und der Stadt. Aus deu Händen der regierenden Familien, der Zünfte und Stadtbürger halte man die Regierung in die der Eautonsbürger gelegt, ohne einen Wahlcensus einzusetzen oder sonst einen Unterschied zu machen. Jetzt galt es, trotz dieser wahrhaft republikanischen Freiheit, das Uebergewicht der Masse abzuwehren, das Ansehn der Geld- und Besitzaristokratie zu erhalten, und wenn man sich so ausdrücken darf, die Herrschaft des Spießbürgertums, oder die Herrschaft der Advocaten, Aerzte, Kaufleute und Grundeigentümer, d. h. die Herrschaft der angese¬ henen Leute zu sichern. Aus diesen Rücksichten entsprang die Schwäche und alle Inconsequenzen der liberalen Partei. Als der erste Schreck vorüber war, erholten sich die alten Aristokraten und bildeten, von Basel's Beispiel belebt, gestützt auf die Häuptlinge des Gebirges und unterstützt von den Priestern, eine starre Opposition. Sie besaßen Geld, um Zeitungen nach ihrem Sinne zu gründen und zu erhalten; besaßen Freunde und Vertraute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/102>, abgerufen am 28.07.2024.