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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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und Handel zu stören, ohne die Gefängnisse zu füllen, ohne Hochveraths-
prozesse, freilich aber zuweilen unter offnem Kampfe und mit dem Blute
der Unterliegenden und der Ueberwinder besiegelt. Nur da, wo Innrer
und Priester eine rohe, abergläubische Volksklasse zu fanatisiren verstanden,
hat der Parteihaß erbarmungslos gewüthet, und ist um so entsetzlicher auf¬
getreten, je roher die verführten Menschen waren."

Speziell geht der Verfasser, seiner Tour folgend, zuerst auf die Ver¬
fassung des Canton Schaffhausen ein. "Unglücklich und bedrückt waren
die Bewohner dieses Cantons durch ihre gnädigen Herren nicht, so konnten
diese nach 1830 auch leichter dem Wunsch nach einer Verfassungsumbildnng
nachgeben, denn sie durften hoffen, daß ihr überwiegender Einfluß doch
darum nicht gebrochen würde. Und so ist es wirklich auch gekommen. Die
Aristokraten haben mit Hülfe ihres Geldes- und Güterbcsitzes, mit Hülfe
ihres Einflusses auf die zwölf Zünfte und Gesellschaften, mit Hülfe der In¬
differenz des Landvolkes und mit Hülfe der priesterlichen Bundesgenossen,
nach wie vor, die Negierung in Händen. Sie besitzen die Majorität im
großen Rath, besetzen die Stellen der Bürgermeister und deren Beamten
mit Stadtjunkcrn und deren Angehörigen, geben sich nicht große Mühe mit
Rechuuugsableguugen, ändern in Gesetzen und Einrichtungen, was ihnen
schicklich dünkt und hüten sich etwas zu thun, was materiell verletzen und
das Volk unzufrieden machen könnte." -- Darauf kommen die religiösen
Wirren an die Reihe. Es wird gezeigt, wie uach Verdrängung Hurter's,
des Katholiken, der Pietismus an's Nuder kam. "Dieser moderne Pietis¬
mus verfolgt den Plan, das Volk in Abhängigkeit zu halten, freidenkende
und gebildete Männer, namentlich die Juristen, zu verdächtigen und zu ver¬
drängen, mit großer Konsequenz. Die Geistlichkeit befindet sich wohl dabei,
denn sie drängt sich nach Aemtern und Würden, beherrscht den Stadtrath
und hat bedeutenden politischen Einfluß." Ueber das Einzelne in der Ge-
meindeverfassung wird viel Belehrendes gesagt, die Volksfeste anmuthig
geschildert, mit einem der Sache angemessenen Wohlwollen. "Es ist mit
solchen Festen eine ganz andere Sache in einem Lande, wo der Mensch sich
seines Rechts bewußt ist und seine männliche Ueberzeugung nicht zu bemän¬
teln braucht, als da, wo jedes freie Wort zu einem der modernen Hexen¬
prozesse unserer Zeit Anlaß gibt und man stets fürchten muß, als Verbre¬
cher behandelt zu werden." "Es liegt in den Schweizern, trotz all' ihrer
sonstigen Nüchternheit und Kälte, ein entschiedener Hang zum Schwärmen
für die gute alte Zeit, deren Erinnerungen in tausend Bruchstücken und
Fetzen auch noch immer ihre heutige Existenz einwickeln, und bei solchen


und Handel zu stören, ohne die Gefängnisse zu füllen, ohne Hochveraths-
prozesse, freilich aber zuweilen unter offnem Kampfe und mit dem Blute
der Unterliegenden und der Ueberwinder besiegelt. Nur da, wo Innrer
und Priester eine rohe, abergläubische Volksklasse zu fanatisiren verstanden,
hat der Parteihaß erbarmungslos gewüthet, und ist um so entsetzlicher auf¬
getreten, je roher die verführten Menschen waren."

Speziell geht der Verfasser, seiner Tour folgend, zuerst auf die Ver¬
fassung des Canton Schaffhausen ein. „Unglücklich und bedrückt waren
die Bewohner dieses Cantons durch ihre gnädigen Herren nicht, so konnten
diese nach 1830 auch leichter dem Wunsch nach einer Verfassungsumbildnng
nachgeben, denn sie durften hoffen, daß ihr überwiegender Einfluß doch
darum nicht gebrochen würde. Und so ist es wirklich auch gekommen. Die
Aristokraten haben mit Hülfe ihres Geldes- und Güterbcsitzes, mit Hülfe
ihres Einflusses auf die zwölf Zünfte und Gesellschaften, mit Hülfe der In¬
differenz des Landvolkes und mit Hülfe der priesterlichen Bundesgenossen,
nach wie vor, die Negierung in Händen. Sie besitzen die Majorität im
großen Rath, besetzen die Stellen der Bürgermeister und deren Beamten
mit Stadtjunkcrn und deren Angehörigen, geben sich nicht große Mühe mit
Rechuuugsableguugen, ändern in Gesetzen und Einrichtungen, was ihnen
schicklich dünkt und hüten sich etwas zu thun, was materiell verletzen und
das Volk unzufrieden machen könnte." — Darauf kommen die religiösen
Wirren an die Reihe. Es wird gezeigt, wie uach Verdrängung Hurter's,
des Katholiken, der Pietismus an's Nuder kam. „Dieser moderne Pietis¬
mus verfolgt den Plan, das Volk in Abhängigkeit zu halten, freidenkende
und gebildete Männer, namentlich die Juristen, zu verdächtigen und zu ver¬
drängen, mit großer Konsequenz. Die Geistlichkeit befindet sich wohl dabei,
denn sie drängt sich nach Aemtern und Würden, beherrscht den Stadtrath
und hat bedeutenden politischen Einfluß." Ueber das Einzelne in der Ge-
meindeverfassung wird viel Belehrendes gesagt, die Volksfeste anmuthig
geschildert, mit einem der Sache angemessenen Wohlwollen. „Es ist mit
solchen Festen eine ganz andere Sache in einem Lande, wo der Mensch sich
seines Rechts bewußt ist und seine männliche Ueberzeugung nicht zu bemän¬
teln braucht, als da, wo jedes freie Wort zu einem der modernen Hexen¬
prozesse unserer Zeit Anlaß gibt und man stets fürchten muß, als Verbre¬
cher behandelt zu werden." „Es liegt in den Schweizern, trotz all' ihrer
sonstigen Nüchternheit und Kälte, ein entschiedener Hang zum Schwärmen
für die gute alte Zeit, deren Erinnerungen in tausend Bruchstücken und
Fetzen auch noch immer ihre heutige Existenz einwickeln, und bei solchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/101>, abgerufen am 28.07.2024.