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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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wäre, die ein anderer Wurf des Zufalls ganz anders hätte gestalten und
wählen können, dann würde es vielleicht unkluger Eiser verrathen, eine auf¬
fallende Anstrengung gegen ein Werk zu setzen, das der Zufall wieder hin¬
wegnehmen möchte, wie er es brachte.

Allein es verhält sich mit diesen: Verfassungswerke ganz anders. Wer
ihm auch diese Gestalt gegeben habe, und wie zufällig die Wahl dieses Ge¬
setzgebers gewesen sein möchte, der ganze Geist, in dem die Verordnungen
von 3. Februar abgefaßt sind, gehört keineswegs einem einzelnen Menschen
an. Es ist ein Geist vielmehr, der in der Geschichte unserer Tage weit zurück¬
reicht, der seit 30--4V Jahren in allen Theilen Europa's sich geltend macht;
es sind hier Ansichten und Grundsätze, Standestendenzen und Staatsmaximen
gesetzlich verkörpert, die eine breite Wurzel in der Zeit geschlagen haben. Es
sind die Nachwirkungen derselben Kräfte, die nach ,181,5 in England mehr¬
mals die Imlxz-i," pill^us Acte suspendirten, die in Deutschland die Carls'
hader Beschlüsse hervorriefen, die in Italien und Spanien die Revolution
provocirten und nachher unterdrückten, die in Frankreich triumphirten und
scheiterten, und die seitdem vorsichtiger, aber mit immer gleicher Konsequenz
und Unablässigkeit thätig sind. Natürliche Gutartigkeit und Milde, Geduld
und Indolenz, Vertrauen und Schwerfälligkeit, die besten und verächtlichsten
Eigenschaften unsers Volkscharakters, haben gemacht, daß in Deutschland diese
Kräfte aus der einen Seite nicht so aufreizend und unterdrückend gewirkt ha¬
ben, wie in den romanischen Landen, daß auf der audern ihre Wirkung nicht
so reizbar und elastisch empfunden worden ist; daß sie weniger grell operir-
ten, aber, wie wir nun in diesem Verfassungswerke neu erfahren, desto län¬
ger, zäher und ausdauernder.

Einem Menschen, und menschlicher Gemüthsart läßt sich vertrauen; der
Zufall und seine Wirkungen lassen sich abwarten; aber mit einem mäch¬
tig gewordenen Prinzip in der Zeit, mit dem Geiste entschlos¬
sener Parteien, mit Grundsätzen und ihrer folgerichtigen
Wirksamkeit läßt sich nicht gefühlig und empfindsam transi-
giren. Es streitet hier nicht der anerkannte gemeine Nutzen mit einem
starren Rechte, sondern Partei gegen Partei wirbt um den Preis, daß ihr
der gemeine Nutzen, Glück und Befriedigung des Volks, die Palme zuer¬
kenne. Um Thätigkeit handelt es sich in solch einem Wetteifer anf alle Fälle
zuerst; es lassen sich Erfolge nicht erträumen, so wenig sich die Befriedi¬
gung von Rechtsansprüchen erschleichen läßt. Sind beide Seiten erst zu
gleicher Thätigkeit gestählt, dann ist die glücklicher, die, die in alten Erinnerun¬
gen die Bürgschaft großer Erfolge und Befriedigungen, und die ein strenges


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wäre, die ein anderer Wurf des Zufalls ganz anders hätte gestalten und
wählen können, dann würde es vielleicht unkluger Eiser verrathen, eine auf¬
fallende Anstrengung gegen ein Werk zu setzen, das der Zufall wieder hin¬
wegnehmen möchte, wie er es brachte.

Allein es verhält sich mit diesen: Verfassungswerke ganz anders. Wer
ihm auch diese Gestalt gegeben habe, und wie zufällig die Wahl dieses Ge¬
setzgebers gewesen sein möchte, der ganze Geist, in dem die Verordnungen
von 3. Februar abgefaßt sind, gehört keineswegs einem einzelnen Menschen
an. Es ist ein Geist vielmehr, der in der Geschichte unserer Tage weit zurück¬
reicht, der seit 30—4V Jahren in allen Theilen Europa's sich geltend macht;
es sind hier Ansichten und Grundsätze, Standestendenzen und Staatsmaximen
gesetzlich verkörpert, die eine breite Wurzel in der Zeit geschlagen haben. Es
sind die Nachwirkungen derselben Kräfte, die nach ,181,5 in England mehr¬
mals die Imlxz-i,« pill^us Acte suspendirten, die in Deutschland die Carls'
hader Beschlüsse hervorriefen, die in Italien und Spanien die Revolution
provocirten und nachher unterdrückten, die in Frankreich triumphirten und
scheiterten, und die seitdem vorsichtiger, aber mit immer gleicher Konsequenz
und Unablässigkeit thätig sind. Natürliche Gutartigkeit und Milde, Geduld
und Indolenz, Vertrauen und Schwerfälligkeit, die besten und verächtlichsten
Eigenschaften unsers Volkscharakters, haben gemacht, daß in Deutschland diese
Kräfte aus der einen Seite nicht so aufreizend und unterdrückend gewirkt ha¬
ben, wie in den romanischen Landen, daß auf der audern ihre Wirkung nicht
so reizbar und elastisch empfunden worden ist; daß sie weniger grell operir-
ten, aber, wie wir nun in diesem Verfassungswerke neu erfahren, desto län¬
ger, zäher und ausdauernder.

Einem Menschen, und menschlicher Gemüthsart läßt sich vertrauen; der
Zufall und seine Wirkungen lassen sich abwarten; aber mit einem mäch¬
tig gewordenen Prinzip in der Zeit, mit dem Geiste entschlos¬
sener Parteien, mit Grundsätzen und ihrer folgerichtigen
Wirksamkeit läßt sich nicht gefühlig und empfindsam transi-
giren. Es streitet hier nicht der anerkannte gemeine Nutzen mit einem
starren Rechte, sondern Partei gegen Partei wirbt um den Preis, daß ihr
der gemeine Nutzen, Glück und Befriedigung des Volks, die Palme zuer¬
kenne. Um Thätigkeit handelt es sich in solch einem Wetteifer anf alle Fälle
zuerst; es lassen sich Erfolge nicht erträumen, so wenig sich die Befriedi¬
gung von Rechtsansprüchen erschleichen läßt. Sind beide Seiten erst zu
gleicher Thätigkeit gestählt, dann ist die glücklicher, die, die in alten Erinnerun¬
gen die Bürgschaft großer Erfolge und Befriedigungen, und die ein strenges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/89>, abgerufen am 03.07.2024.