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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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auch mit allen Rechten und Formen als Reichsstände ausgestattet sein. So
lange dies nicht geschehen ist, wäre nichts möglicher, als daß sie es ablehn¬
ten, sich leichtfertig in eine schwere Verantwortlichkeit vor der Nation zu
stürzen; nichts möglicher, als daß sie sich entweder für incompetent, oder auch
für mehr competent erklärten, als das Patent will."

Ja diese Erklärung sollte fast unzweifelhaft scheinen, da sie in den
schicklichsten Formen geschehen könnte und nach aller Natur des Rechts, nach
der gewissenhaftesten Prüfung des Verstandes, nach dem Anstoß des reinsten
Gefühls geschehen mußte.

Die Allgem. Preuß. Ztg. hat unlängst, sobald das Wort Inkompetenz
zum erstenmal gefallen war, geäußert, man stelle sich damit außer dem Ge¬
setz. Außer welchem Gesetze? Wenn die Allgem. Preuß. Ztg. meint,
außer dem Gesetze vom !!. Februar, und wenn sie dies schon für die Dis-
cusston unstatthaft findet, dann freilich wäre die preußische Verfassung vollen¬
det, dann aber hätte die Allgem. Preuß. Ztg. auch nur die Dankadressen
registriren und nicht selbst in Discussionen eintreten müssen.

Meint sie aber: außer dein Gesetz im Allgemeinen, anßer dem Boden
des Rechts, so ist es sehr einfach, dagegen zu sagen, das Patent und die
Verordnungen sagen es vielmehr, die sich uuableugbar außer allen den frü¬
hern Gesetzen über die Bildung einer Repräsentation in Preußen gestellt ha¬
ben. Die preußischen Regierungsorgane haben den bestehenden politischen und
Rechtszustand in Preußen so oft eine Verfassung genannt; soll diese Bezeich¬
nung irgend einen Sinn haben, so kann sie nichts anderes sagen wollen, als
daß mit allen übrigen, auch die wenigen auf das Verfassuugswesen be¬
ziehbaren Gesetze, die in Preußen existiren, verbindliche Kraft für Volk wie
Regierung haben, und nicht einseitig verändert werden können.

Die Frage bleibt aber übrig, was, das streng Rechtliche bei Seite ge¬
setzt, das politisch Räthliche in der Sache sei? Es fragt sich, ob hier ein
Fall vorliegt, in dem man lieber sehe, daß sich die Klugheit auf die Seite
eines begehrenswerther gemeinen Nutzens stelle, als die Gewissenhaftigkeit
auf die Seite des einfachen Rechts.

Wenn die Rechtsansprüche des preußischen Volks auf eine Verfassung,
wenn der Widerspruch der jetzt gewährten Einrichtungen mit dem damals
Versprochenen ein einfacher Rechtshändel wäre zwischen einfachen Gegnern,
so möchte eine friedliche Schlichtung, ein gegenseitiges Ertragen allerdings
das Rathsamste sein.

Ja, wenn es, denkbar wäre, daß ein Versassungsstatut, wie das vorlie¬
gende, die blos zufällige Arbeit weniger Einflußreichen um den Thron herum


auch mit allen Rechten und Formen als Reichsstände ausgestattet sein. So
lange dies nicht geschehen ist, wäre nichts möglicher, als daß sie es ablehn¬
ten, sich leichtfertig in eine schwere Verantwortlichkeit vor der Nation zu
stürzen; nichts möglicher, als daß sie sich entweder für incompetent, oder auch
für mehr competent erklärten, als das Patent will."

Ja diese Erklärung sollte fast unzweifelhaft scheinen, da sie in den
schicklichsten Formen geschehen könnte und nach aller Natur des Rechts, nach
der gewissenhaftesten Prüfung des Verstandes, nach dem Anstoß des reinsten
Gefühls geschehen mußte.

Die Allgem. Preuß. Ztg. hat unlängst, sobald das Wort Inkompetenz
zum erstenmal gefallen war, geäußert, man stelle sich damit außer dem Ge¬
setz. Außer welchem Gesetze? Wenn die Allgem. Preuß. Ztg. meint,
außer dem Gesetze vom !!. Februar, und wenn sie dies schon für die Dis-
cusston unstatthaft findet, dann freilich wäre die preußische Verfassung vollen¬
det, dann aber hätte die Allgem. Preuß. Ztg. auch nur die Dankadressen
registriren und nicht selbst in Discussionen eintreten müssen.

Meint sie aber: außer dein Gesetz im Allgemeinen, anßer dem Boden
des Rechts, so ist es sehr einfach, dagegen zu sagen, das Patent und die
Verordnungen sagen es vielmehr, die sich uuableugbar außer allen den frü¬
hern Gesetzen über die Bildung einer Repräsentation in Preußen gestellt ha¬
ben. Die preußischen Regierungsorgane haben den bestehenden politischen und
Rechtszustand in Preußen so oft eine Verfassung genannt; soll diese Bezeich¬
nung irgend einen Sinn haben, so kann sie nichts anderes sagen wollen, als
daß mit allen übrigen, auch die wenigen auf das Verfassuugswesen be¬
ziehbaren Gesetze, die in Preußen existiren, verbindliche Kraft für Volk wie
Regierung haben, und nicht einseitig verändert werden können.

Die Frage bleibt aber übrig, was, das streng Rechtliche bei Seite ge¬
setzt, das politisch Räthliche in der Sache sei? Es fragt sich, ob hier ein
Fall vorliegt, in dem man lieber sehe, daß sich die Klugheit auf die Seite
eines begehrenswerther gemeinen Nutzens stelle, als die Gewissenhaftigkeit
auf die Seite des einfachen Rechts.

Wenn die Rechtsansprüche des preußischen Volks auf eine Verfassung,
wenn der Widerspruch der jetzt gewährten Einrichtungen mit dem damals
Versprochenen ein einfacher Rechtshändel wäre zwischen einfachen Gegnern,
so möchte eine friedliche Schlichtung, ein gegenseitiges Ertragen allerdings
das Rathsamste sein.

Ja, wenn es, denkbar wäre, daß ein Versassungsstatut, wie das vorlie¬
gende, die blos zufällige Arbeit weniger Einflußreichen um den Thron herum


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[0088] auch mit allen Rechten und Formen als Reichsstände ausgestattet sein. So lange dies nicht geschehen ist, wäre nichts möglicher, als daß sie es ablehn¬ ten, sich leichtfertig in eine schwere Verantwortlichkeit vor der Nation zu stürzen; nichts möglicher, als daß sie sich entweder für incompetent, oder auch für mehr competent erklärten, als das Patent will." Ja diese Erklärung sollte fast unzweifelhaft scheinen, da sie in den schicklichsten Formen geschehen könnte und nach aller Natur des Rechts, nach der gewissenhaftesten Prüfung des Verstandes, nach dem Anstoß des reinsten Gefühls geschehen mußte. Die Allgem. Preuß. Ztg. hat unlängst, sobald das Wort Inkompetenz zum erstenmal gefallen war, geäußert, man stelle sich damit außer dem Ge¬ setz. Außer welchem Gesetze? Wenn die Allgem. Preuß. Ztg. meint, außer dem Gesetze vom !!. Februar, und wenn sie dies schon für die Dis- cusston unstatthaft findet, dann freilich wäre die preußische Verfassung vollen¬ det, dann aber hätte die Allgem. Preuß. Ztg. auch nur die Dankadressen registriren und nicht selbst in Discussionen eintreten müssen. Meint sie aber: außer dein Gesetz im Allgemeinen, anßer dem Boden des Rechts, so ist es sehr einfach, dagegen zu sagen, das Patent und die Verordnungen sagen es vielmehr, die sich uuableugbar außer allen den frü¬ hern Gesetzen über die Bildung einer Repräsentation in Preußen gestellt ha¬ ben. Die preußischen Regierungsorgane haben den bestehenden politischen und Rechtszustand in Preußen so oft eine Verfassung genannt; soll diese Bezeich¬ nung irgend einen Sinn haben, so kann sie nichts anderes sagen wollen, als daß mit allen übrigen, auch die wenigen auf das Verfassuugswesen be¬ ziehbaren Gesetze, die in Preußen existiren, verbindliche Kraft für Volk wie Regierung haben, und nicht einseitig verändert werden können. Die Frage bleibt aber übrig, was, das streng Rechtliche bei Seite ge¬ setzt, das politisch Räthliche in der Sache sei? Es fragt sich, ob hier ein Fall vorliegt, in dem man lieber sehe, daß sich die Klugheit auf die Seite eines begehrenswerther gemeinen Nutzens stelle, als die Gewissenhaftigkeit auf die Seite des einfachen Rechts. Wenn die Rechtsansprüche des preußischen Volks auf eine Verfassung, wenn der Widerspruch der jetzt gewährten Einrichtungen mit dem damals Versprochenen ein einfacher Rechtshändel wäre zwischen einfachen Gegnern, so möchte eine friedliche Schlichtung, ein gegenseitiges Ertragen allerdings das Rathsamste sein. Ja, wenn es, denkbar wäre, daß ein Versassungsstatut, wie das vorlie¬ gende, die blos zufällige Arbeit weniger Einflußreichen um den Thron herum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/88>, abgerufen am 22.07.2024.