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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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dung zu geben, den jungen Herrn ausziehen und zu Bett bringen, wobei
wir uur bemerken wollen, daß diese Function noch nicht die letzte war, son¬
dern daß Jaromirchen uoch einige recht naive Anforderungen an ihn stellte.

Endlich streckte er die müden Glieder ans, verlöschte die Nachtlampe
und schloß die Augen. Betel erschien dem Schläfer im Traum und tröstet?
für die Leiden des Abends.


Der erste Morgen.

Um acht Uhr wurde gefrühstückt - aber Theodor war schon um sieben Uhr
auf den Beinen und räumte seine geringe Habe in den Schrank ein -- ein
Dutzend Bücher, einige Quartette, ein sauber geschriebenes Liederheft, einen
geringen Borrath von Wäsche, und seine ebenso bescheidene Garderobe. Das
wurde zwar in drei Schubfächer vertheilt, hätte aber sehr gut in einem Platz
gehabt. Er war sonst gewohnt, den Tag mit Stiefelputzen anzufangen, aber
der Aufenthalt bei der Gräfin hatte ihn bereits belehrt, daß in herrschaftli¬
chen Häusern die Bedienten dieses Geschäft zu versehen pflegen. Er ging da¬
her blosfüßig und in deu alten Pelz, deu ihm Betel zugewendet, gehüllt in
der Stube auf und ab, erwies Jaromirchen eine Gefälligkeit, die mit der
Ausbildung des Geistes nichts zu thun hat und wartete in seltsamer Be¬
klommenheit der Dinge, die da kommen würden. Eingeheizt war bereits wor¬
den -- der Morgen ließ sich roth und sonnig an, vor den Fenstern rausch¬
ten ein paar halbeutblätterte Ulmen und die Sperlinge trieben ihr Unwesen
auf den gegenüberstehenden Dächern. Da kam endlich Karl -- nahm die
abgelegten Kleidungsstücke über deu Arm und ging wieder fort, ohne ein
Wort zu sagen. Theodor stutzte, aber Jaromirchen, der im Bette sich her-
runwälzte, nahm diese Unhöflichkeit sehr übel: "Der Karl hat nicht gesagt:
gutem Morgen junger Herr! Das werde ich dem Papa sagen!"

Theodor nahm sich vor, dem groben Büchsenspanner zu imponiren --
als der mit den Kleidern zurückkam, faßte er Muth und sagte über und über
roth werdend, denn eine so heroische Aeußerung hatte er in seinem Leben
noch nicht gethan: "Karl! ziehen Sie den jungen Herrn an!" Der kleine
Freiherr aber war mit dieser Genugthuung noch nicht zufrieden und schrie:
"Ich werde es der Mama klagen, daß Du uns gestern uicht die Stiefeln
ausgezogen hast!" Karl gehorchte mit verbissenen Lippen, sein rothbrau-
ner Schnurrbart stachelte hiu und her, und als der junge Freiherr gewa¬
schen und gekämmt wurde, handhabte er Kamm und Handtuch dergestalt,
daß Jaromirchen alle Augenblick schrie, und endlich zu weinen anfing. Theo¬
dor nahm sich zu einem zweiten Beweise von Energie zusammen und sagte:


dung zu geben, den jungen Herrn ausziehen und zu Bett bringen, wobei
wir uur bemerken wollen, daß diese Function noch nicht die letzte war, son¬
dern daß Jaromirchen uoch einige recht naive Anforderungen an ihn stellte.

Endlich streckte er die müden Glieder ans, verlöschte die Nachtlampe
und schloß die Augen. Betel erschien dem Schläfer im Traum und tröstet?
für die Leiden des Abends.


Der erste Morgen.

Um acht Uhr wurde gefrühstückt - aber Theodor war schon um sieben Uhr
auf den Beinen und räumte seine geringe Habe in den Schrank ein — ein
Dutzend Bücher, einige Quartette, ein sauber geschriebenes Liederheft, einen
geringen Borrath von Wäsche, und seine ebenso bescheidene Garderobe. Das
wurde zwar in drei Schubfächer vertheilt, hätte aber sehr gut in einem Platz
gehabt. Er war sonst gewohnt, den Tag mit Stiefelputzen anzufangen, aber
der Aufenthalt bei der Gräfin hatte ihn bereits belehrt, daß in herrschaftli¬
chen Häusern die Bedienten dieses Geschäft zu versehen pflegen. Er ging da¬
her blosfüßig und in deu alten Pelz, deu ihm Betel zugewendet, gehüllt in
der Stube auf und ab, erwies Jaromirchen eine Gefälligkeit, die mit der
Ausbildung des Geistes nichts zu thun hat und wartete in seltsamer Be¬
klommenheit der Dinge, die da kommen würden. Eingeheizt war bereits wor¬
den — der Morgen ließ sich roth und sonnig an, vor den Fenstern rausch¬
ten ein paar halbeutblätterte Ulmen und die Sperlinge trieben ihr Unwesen
auf den gegenüberstehenden Dächern. Da kam endlich Karl — nahm die
abgelegten Kleidungsstücke über deu Arm und ging wieder fort, ohne ein
Wort zu sagen. Theodor stutzte, aber Jaromirchen, der im Bette sich her-
runwälzte, nahm diese Unhöflichkeit sehr übel: „Der Karl hat nicht gesagt:
gutem Morgen junger Herr! Das werde ich dem Papa sagen!"

Theodor nahm sich vor, dem groben Büchsenspanner zu imponiren —
als der mit den Kleidern zurückkam, faßte er Muth und sagte über und über
roth werdend, denn eine so heroische Aeußerung hatte er in seinem Leben
noch nicht gethan: „Karl! ziehen Sie den jungen Herrn an!" Der kleine
Freiherr aber war mit dieser Genugthuung noch nicht zufrieden und schrie:
„Ich werde es der Mama klagen, daß Du uns gestern uicht die Stiefeln
ausgezogen hast!" Karl gehorchte mit verbissenen Lippen, sein rothbrau-
ner Schnurrbart stachelte hiu und her, und als der junge Freiherr gewa¬
schen und gekämmt wurde, handhabte er Kamm und Handtuch dergestalt,
daß Jaromirchen alle Augenblick schrie, und endlich zu weinen anfing. Theo¬
dor nahm sich zu einem zweiten Beweise von Energie zusammen und sagte:


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[0068] dung zu geben, den jungen Herrn ausziehen und zu Bett bringen, wobei wir uur bemerken wollen, daß diese Function noch nicht die letzte war, son¬ dern daß Jaromirchen uoch einige recht naive Anforderungen an ihn stellte. Endlich streckte er die müden Glieder ans, verlöschte die Nachtlampe und schloß die Augen. Betel erschien dem Schläfer im Traum und tröstet? für die Leiden des Abends. Der erste Morgen. Um acht Uhr wurde gefrühstückt - aber Theodor war schon um sieben Uhr auf den Beinen und räumte seine geringe Habe in den Schrank ein — ein Dutzend Bücher, einige Quartette, ein sauber geschriebenes Liederheft, einen geringen Borrath von Wäsche, und seine ebenso bescheidene Garderobe. Das wurde zwar in drei Schubfächer vertheilt, hätte aber sehr gut in einem Platz gehabt. Er war sonst gewohnt, den Tag mit Stiefelputzen anzufangen, aber der Aufenthalt bei der Gräfin hatte ihn bereits belehrt, daß in herrschaftli¬ chen Häusern die Bedienten dieses Geschäft zu versehen pflegen. Er ging da¬ her blosfüßig und in deu alten Pelz, deu ihm Betel zugewendet, gehüllt in der Stube auf und ab, erwies Jaromirchen eine Gefälligkeit, die mit der Ausbildung des Geistes nichts zu thun hat und wartete in seltsamer Be¬ klommenheit der Dinge, die da kommen würden. Eingeheizt war bereits wor¬ den — der Morgen ließ sich roth und sonnig an, vor den Fenstern rausch¬ ten ein paar halbeutblätterte Ulmen und die Sperlinge trieben ihr Unwesen auf den gegenüberstehenden Dächern. Da kam endlich Karl — nahm die abgelegten Kleidungsstücke über deu Arm und ging wieder fort, ohne ein Wort zu sagen. Theodor stutzte, aber Jaromirchen, der im Bette sich her- runwälzte, nahm diese Unhöflichkeit sehr übel: „Der Karl hat nicht gesagt: gutem Morgen junger Herr! Das werde ich dem Papa sagen!" Theodor nahm sich vor, dem groben Büchsenspanner zu imponiren — als der mit den Kleidern zurückkam, faßte er Muth und sagte über und über roth werdend, denn eine so heroische Aeußerung hatte er in seinem Leben noch nicht gethan: „Karl! ziehen Sie den jungen Herrn an!" Der kleine Freiherr aber war mit dieser Genugthuung noch nicht zufrieden und schrie: „Ich werde es der Mama klagen, daß Du uns gestern uicht die Stiefeln ausgezogen hast!" Karl gehorchte mit verbissenen Lippen, sein rothbrau- ner Schnurrbart stachelte hiu und her, und als der junge Freiherr gewa¬ schen und gekämmt wurde, handhabte er Kamm und Handtuch dergestalt, daß Jaromirchen alle Augenblick schrie, und endlich zu weinen anfing. Theo¬ dor nahm sich zu einem zweiten Beweise von Energie zusammen und sagte:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/68>, abgerufen am 22.07.2024.