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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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losophie in das Thatsächliche, in die Gesetze, in den Cultus eingeführt.
Aber es sollte anders kommen; der heiligste Gedanke, wenn er durch die
menschliche Unvollkommenheit geht, kommt zerrissen und blutbefleckt heraus.
Aber das Verbrechen kann die Wahrheit nicht entstellen, die Idee nicht be¬
flecken, und trotz der Frevel, die sie entehren, reinigt sich die Revolution,
begreift sich und triumphirt. Denn die Gemalt der Revolution war in der
Idee, welche die Menschen zwang sie zu erfüllen und nicht in denen, die
sie erfüllten; alle ihre Werkzeuge waren lasterhaft, eigennützig n. s. w., aber
die Idee war rein und göttlich." Hier möchte man nun fragen, wo war
denn diese Idee anders als in den Menschen? oder schwebte sie wie der
Geist Gottes in Gestalt einer weißen Taube über den Wassern? Allein bei
einem Poeten darf man es nicht so genau nehmen, und überdies kann man
von diesen Reflexionen sagen, wie der Rabbi Akibha im Uriel Acosta: Ist
alles schon dagewesen!

Im Uebrigen läßt sich nicht leugnen, daß Lamartine, eben weil er von
dem Ideellen kein sehr bestimmtes Bild in sich trägt, weil ihm die Kate¬
gorie historischer Nothwendigkeit nur eine allgemeine Formel, keine wirkliche
Anschauung ist, sich gegen das Einzelne ziemlich billig zeigt, wenn nicht die
den Franzosen angeborne Neigung zu Antithesen und stilistischer Eleganz,
eben so das Bestreben, Alles zu einem gewissen Abschluß zu bringen, die har¬
ten, ungemüthlichen Gesetze der Kritik häufig über Bord werfe. In seinen
Charakteristiken ist er selteu originell, aber immer pikant. -Man vergleiche
z. B. die folgende Schilderung Danton's mit der in Thiers und Mignet *);



^) "Danton war einer von den Menschen, die aus der Währung der Revolutionen
hervorzugehen scheinen und die auf diesem Strudel schwimmen, bis er sie verschluckt.
Alles an ihm war athletisch, roh und gemein wie die Massen. Er mußte ihnen gefal¬
len, weil er ihnen glich. Seine Beredsamkeit war wie der Ausdruck) der Menge; seine
Stimme sonor wie das Geheul des Aufruhrs; seine Phrasen kurz und präcis wie das
Kommando des Feldherrn. -- Ohne bestimmte Prinzipien, liebte er an der Demokratie
nichts als die Verwirrung; sie war sein Element, er tauchte sich hinein, nicht aus
Herrschsucht, sonder" um dieser sinnlichen Lust willen, welche der Mensch in der be¬
schleunigten Bewegung findet, die ihn entführt. Er berauschte sich in dem revolutio¬
nären Schwindel, wie man sich in Wein berauscht, und dieser Rausch stand ihm gut,
denn er hatte das Uebergewicht der Gelassenheit in der Verwirrung, die er hervorrief
um ihr zu gebieten. Kaltblütig in seiner Leidenschaft, humoristisch selbst in seinem
Zorn, brachte er den Pöbel zum Lachen, selbst wenn er nach Blut lechzte; er amüsirte
das Volk, indem er es in Leidenschaft setzte. Darum konnte er es auch nicht achten;
er sprach ihm nicht von Grundsätzen, von Tugend, sondern von Kraft. Die Kraft war
das Einzige, wofür er Sinn hatte; alles war nur Mittel für ihn; er war der Politiker
des Augenblicks, der mit der Bewegung spielte, ohne einen andern Zweck als die Lust

losophie in das Thatsächliche, in die Gesetze, in den Cultus eingeführt.
Aber es sollte anders kommen; der heiligste Gedanke, wenn er durch die
menschliche Unvollkommenheit geht, kommt zerrissen und blutbefleckt heraus.
Aber das Verbrechen kann die Wahrheit nicht entstellen, die Idee nicht be¬
flecken, und trotz der Frevel, die sie entehren, reinigt sich die Revolution,
begreift sich und triumphirt. Denn die Gemalt der Revolution war in der
Idee, welche die Menschen zwang sie zu erfüllen und nicht in denen, die
sie erfüllten; alle ihre Werkzeuge waren lasterhaft, eigennützig n. s. w., aber
die Idee war rein und göttlich." Hier möchte man nun fragen, wo war
denn diese Idee anders als in den Menschen? oder schwebte sie wie der
Geist Gottes in Gestalt einer weißen Taube über den Wassern? Allein bei
einem Poeten darf man es nicht so genau nehmen, und überdies kann man
von diesen Reflexionen sagen, wie der Rabbi Akibha im Uriel Acosta: Ist
alles schon dagewesen!

Im Uebrigen läßt sich nicht leugnen, daß Lamartine, eben weil er von
dem Ideellen kein sehr bestimmtes Bild in sich trägt, weil ihm die Kate¬
gorie historischer Nothwendigkeit nur eine allgemeine Formel, keine wirkliche
Anschauung ist, sich gegen das Einzelne ziemlich billig zeigt, wenn nicht die
den Franzosen angeborne Neigung zu Antithesen und stilistischer Eleganz,
eben so das Bestreben, Alles zu einem gewissen Abschluß zu bringen, die har¬
ten, ungemüthlichen Gesetze der Kritik häufig über Bord werfe. In seinen
Charakteristiken ist er selteu originell, aber immer pikant. -Man vergleiche
z. B. die folgende Schilderung Danton's mit der in Thiers und Mignet *);



^) „Danton war einer von den Menschen, die aus der Währung der Revolutionen
hervorzugehen scheinen und die auf diesem Strudel schwimmen, bis er sie verschluckt.
Alles an ihm war athletisch, roh und gemein wie die Massen. Er mußte ihnen gefal¬
len, weil er ihnen glich. Seine Beredsamkeit war wie der Ausdruck) der Menge; seine
Stimme sonor wie das Geheul des Aufruhrs; seine Phrasen kurz und präcis wie das
Kommando des Feldherrn. — Ohne bestimmte Prinzipien, liebte er an der Demokratie
nichts als die Verwirrung; sie war sein Element, er tauchte sich hinein, nicht aus
Herrschsucht, sonder» um dieser sinnlichen Lust willen, welche der Mensch in der be¬
schleunigten Bewegung findet, die ihn entführt. Er berauschte sich in dem revolutio¬
nären Schwindel, wie man sich in Wein berauscht, und dieser Rausch stand ihm gut,
denn er hatte das Uebergewicht der Gelassenheit in der Verwirrung, die er hervorrief
um ihr zu gebieten. Kaltblütig in seiner Leidenschaft, humoristisch selbst in seinem
Zorn, brachte er den Pöbel zum Lachen, selbst wenn er nach Blut lechzte; er amüsirte
das Volk, indem er es in Leidenschaft setzte. Darum konnte er es auch nicht achten;
er sprach ihm nicht von Grundsätzen, von Tugend, sondern von Kraft. Die Kraft war
das Einzige, wofür er Sinn hatte; alles war nur Mittel für ihn; er war der Politiker
des Augenblicks, der mit der Bewegung spielte, ohne einen andern Zweck als die Lust
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/576>, abgerufen am 01.10.2024.