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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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um n. s. w., doch ohne ihn darüber zu erheben, daß er ein Besseres sei,
als nur der Stein. Denn mehr als göttlich kann nicht Etwas sein; und
was da ist, ist selber die Natur, und als sie selbst vollkommen ist ein Je¬
des, sonst wär' das All ein tausendfacher Frevel". -- Alles ist nicht nur
gleich, sondern in jedem Einzelnen ist auch Alles. "Zu Einer Nose braucht's
die ganze Erde, die Sonne, alle Kräfte der Natur, wenn auch nur wenig,
auch nur wie zum Spiel; zum Menschen braucht's das ganze Geisterreich.
Das ist kein Traum, kein Mährchen. Drum schöpfe Athem, Herz, das fast
erstickt in Schmerzvcrlangen von der Schönheit Fülle. Auch du bist eins
der göttlichen Gebilde, anch in heil'gein Zusammenhang mit jenen Wundern
allen". -- "Was lebt, bedarf des Andere" zu leben. Hier beuge dich! be¬
kenne laut und froh: Ja, ich bedarf deiner, schönes reiches All! Ja ich
bedarf den Thau u. s. w." -- "Der Mensch ist beständig in dem Zauber-
kreis der Natur, wo all ihre Wunder unaufhörlich geschehen, alles Himm¬
lische, alle Liebe ununterbrochen und ungeschmälert fortwaltet seit uralten
Jahrtausenden, und worinnen nun Er steht, als Eines jener Wunder selbst,
Zeichen und Erscheinung zugleich der göttlichen Allgegenwart". -- Wir wer¬
den gelebt: die Natur gibt in fortwährender Verwandlung den Einschlag
in das Gewebe unseres Lebens, und durch die eiserne Bestimmung, was
wir in unsere Empfindungen aufnehmen, bestimmt sie auch, wie wir empfin-
den sollen, indem sie geheim in unserm Innern auch die Kette der Geister
hält." -- "Alles ist Zeichen, Alles ist Erfüllung." -- In dieser sinnigen
Naturbetrachtung ist Schefer der Indischen Welt verwandt. In dieser Ein¬
heit des Universums, diesem Ineinandergreifen wechselnder Lebenskräfte ver¬
schwindet nnr gar zu leicht das lebendige Einzelne. Je aufmerksamer der
Poet auf die geheimen Töne der befreundeten Natur lauscht, desto mehr
klingt Eius in das Andere über; in dem Fluß des Lebens löst sich die Ge¬
stalt. So geht z. B. in dem folgenden lieblichen Gedicht durch diese Sphä¬
renmusik aller plastische Eindruck verloren: "Knospe der Nos, erwache! denn
der Frühling schmücke soiinenwärinend dir fertig das Thal, lieber dir^gns-
spannend die Bläue streute in deines Mutterstvcks Schattung dir schou Mau-
delblüthcu und Veilchen; Schwesterlilien scheinen dich an mit schnelllcuchteu-
den weißen Flammen, Morgenröthe durchschleicht dir kosend.dein süßschwel¬
lend versponnenes Herz, Silberlibellen, geflügeltes Wasser, wiegen dich
schwirrend, surrende Bienen küssen den Schlaf von deinen Lippen u. s. w."
Das klingt beinahe wie Tieck: "Die Töne duften, und die Farben klingen",
oder wie Schlegel: "Duftender Blume kühlendes Feuer". -- Die Unart-.
lichkeit des Lichtes verfließt in die geheimnißvolle Nacht der Identität, wo alle


um n. s. w., doch ohne ihn darüber zu erheben, daß er ein Besseres sei,
als nur der Stein. Denn mehr als göttlich kann nicht Etwas sein; und
was da ist, ist selber die Natur, und als sie selbst vollkommen ist ein Je¬
des, sonst wär' das All ein tausendfacher Frevel". — Alles ist nicht nur
gleich, sondern in jedem Einzelnen ist auch Alles. „Zu Einer Nose braucht's
die ganze Erde, die Sonne, alle Kräfte der Natur, wenn auch nur wenig,
auch nur wie zum Spiel; zum Menschen braucht's das ganze Geisterreich.
Das ist kein Traum, kein Mährchen. Drum schöpfe Athem, Herz, das fast
erstickt in Schmerzvcrlangen von der Schönheit Fülle. Auch du bist eins
der göttlichen Gebilde, anch in heil'gein Zusammenhang mit jenen Wundern
allen". — „Was lebt, bedarf des Andere» zu leben. Hier beuge dich! be¬
kenne laut und froh: Ja, ich bedarf deiner, schönes reiches All! Ja ich
bedarf den Thau u. s. w." — „Der Mensch ist beständig in dem Zauber-
kreis der Natur, wo all ihre Wunder unaufhörlich geschehen, alles Himm¬
lische, alle Liebe ununterbrochen und ungeschmälert fortwaltet seit uralten
Jahrtausenden, und worinnen nun Er steht, als Eines jener Wunder selbst,
Zeichen und Erscheinung zugleich der göttlichen Allgegenwart". — Wir wer¬
den gelebt: die Natur gibt in fortwährender Verwandlung den Einschlag
in das Gewebe unseres Lebens, und durch die eiserne Bestimmung, was
wir in unsere Empfindungen aufnehmen, bestimmt sie auch, wie wir empfin-
den sollen, indem sie geheim in unserm Innern auch die Kette der Geister
hält." — „Alles ist Zeichen, Alles ist Erfüllung." — In dieser sinnigen
Naturbetrachtung ist Schefer der Indischen Welt verwandt. In dieser Ein¬
heit des Universums, diesem Ineinandergreifen wechselnder Lebenskräfte ver¬
schwindet nnr gar zu leicht das lebendige Einzelne. Je aufmerksamer der
Poet auf die geheimen Töne der befreundeten Natur lauscht, desto mehr
klingt Eius in das Andere über; in dem Fluß des Lebens löst sich die Ge¬
stalt. So geht z. B. in dem folgenden lieblichen Gedicht durch diese Sphä¬
renmusik aller plastische Eindruck verloren: „Knospe der Nos, erwache! denn
der Frühling schmücke soiinenwärinend dir fertig das Thal, lieber dir^gns-
spannend die Bläue streute in deines Mutterstvcks Schattung dir schou Mau-
delblüthcu und Veilchen; Schwesterlilien scheinen dich an mit schnelllcuchteu-
den weißen Flammen, Morgenröthe durchschleicht dir kosend.dein süßschwel¬
lend versponnenes Herz, Silberlibellen, geflügeltes Wasser, wiegen dich
schwirrend, surrende Bienen küssen den Schlaf von deinen Lippen u. s. w."
Das klingt beinahe wie Tieck: „Die Töne duften, und die Farben klingen",
oder wie Schlegel: „Duftender Blume kühlendes Feuer". — Die Unart-.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/437>, abgerufen am 22.07.2024.