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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Katzen grau sind. "Der helle Tag ist auch nur eine Nacht, die Eine heil'ge
große Nacht im All; die Sonne eben ist die Lampe nur, aus Noth, der
Nacht zu steuern aufgehangen." Und das Leben der Natur, wie des Men¬
schen, wird ein Traum, eine unbestimmte Dämmerung. "Sinnbefangen, liebt
ihr die Gestalten, doch den Geist vermögt ihr nicht zu halten; Schein ist
alles Menschenwesen" -- "Aus Träumen weben Götter die Menschen, darum
verschwebcn sie auch wie Träume. Heim in den Aether streben die freien
uralten Stoffe, jegliche schöne Fassung zerstörend, und in den Himmel keh¬
ren die Träume." "Nicht dauerhafter ist das Netz der Spinne, als dieses
Tages hellleuchtendes Gespinnst, leicht hingehangen, leicht hinweggenommen
wie ein Schleier! In solcher Wnnderhöhle dieses Tages nun sitzen wir, so
wie in einem Mährchen, hervorgegangen, Niemand weiß woher? Unleug¬
bar Mährchenwesen; Mährchenhäuser die Königsschlösser und die Göttertem¬
pel u. s. w., selbst jene Sonne, die da sinkt, ist Mährchen! Das Wunder-
bare schadet nicht dem Leben, es hält nicht an, ich bin ein Wunder auch --
der Stein, das Grab, das Unglück und das Leid sind lieblich für die stille
Götterseele, die wie auf goldner Fluth emporgetragen, als Göttermond am
Götterhimmel steht." -- Bei dieser pantheistischen Richtung des Dichters
ist es erklärlich, daß er besondere Vorliebe für I. Böhme und Giordano
Bruno hegt; den einen hat er in eiuer Ballade besungen, den andern in
einer Novelle dargestellt; wahrscheinlich ohne einen von beiden gelesen zu ha¬
ben, weil ihn sonst das Ungebildete, grob naturalistische bei dem Einen,
die dialektische Spitzfindigkeit bei dem Andern abgestoßen haben würde. Da¬
gegen könnten ganze Stellen seiner Gedichte füglich in Schleiermacher's frü¬
hern Werken stehen, und die Theorie des Sinnes, der hingebenden Versen¬
kung in das universelle Leben der Natur, wie ihn die Reden über die
Religion und die Monologen predigen, ist hier auf eine sinnige Weise
poetisch realisirt. Noch näher steht er vielleicht den Herder'schen Ideen; und
die allmälige Entwickelung des tellurischen, des vegetativen Lebens zum or¬
ganischen, zum physischen, die Erhebung Gottes aus der Natur zum mensch¬
lichen Geist, diese kühne und zugleich zarte Auffassung der Jncarnation tritt
in lieblichen Bildern vor die Seele.

Das ist das zweite Moment der Religion, das humanistische. Sche-
fer entwickelt weder den plastischen, heroischen Polytheismus der Griechen,
die blos das Schöne und Treffliche der Menschen in die Aristokratie ihres
Olymps versetzten, noch die christliche Anbetung des Menschensohnes in sei¬
ner Demuth und Niedrigkeit, als des Geistes, der auch im Kinde, auch im
Sünder, unendlich sich über die Seelenlosigkeit des blos Natürlichen er-


Katzen grau sind. „Der helle Tag ist auch nur eine Nacht, die Eine heil'ge
große Nacht im All; die Sonne eben ist die Lampe nur, aus Noth, der
Nacht zu steuern aufgehangen." Und das Leben der Natur, wie des Men¬
schen, wird ein Traum, eine unbestimmte Dämmerung. „Sinnbefangen, liebt
ihr die Gestalten, doch den Geist vermögt ihr nicht zu halten; Schein ist
alles Menschenwesen" — „Aus Träumen weben Götter die Menschen, darum
verschwebcn sie auch wie Träume. Heim in den Aether streben die freien
uralten Stoffe, jegliche schöne Fassung zerstörend, und in den Himmel keh¬
ren die Träume." „Nicht dauerhafter ist das Netz der Spinne, als dieses
Tages hellleuchtendes Gespinnst, leicht hingehangen, leicht hinweggenommen
wie ein Schleier! In solcher Wnnderhöhle dieses Tages nun sitzen wir, so
wie in einem Mährchen, hervorgegangen, Niemand weiß woher? Unleug¬
bar Mährchenwesen; Mährchenhäuser die Königsschlösser und die Göttertem¬
pel u. s. w., selbst jene Sonne, die da sinkt, ist Mährchen! Das Wunder-
bare schadet nicht dem Leben, es hält nicht an, ich bin ein Wunder auch —
der Stein, das Grab, das Unglück und das Leid sind lieblich für die stille
Götterseele, die wie auf goldner Fluth emporgetragen, als Göttermond am
Götterhimmel steht." — Bei dieser pantheistischen Richtung des Dichters
ist es erklärlich, daß er besondere Vorliebe für I. Böhme und Giordano
Bruno hegt; den einen hat er in eiuer Ballade besungen, den andern in
einer Novelle dargestellt; wahrscheinlich ohne einen von beiden gelesen zu ha¬
ben, weil ihn sonst das Ungebildete, grob naturalistische bei dem Einen,
die dialektische Spitzfindigkeit bei dem Andern abgestoßen haben würde. Da¬
gegen könnten ganze Stellen seiner Gedichte füglich in Schleiermacher's frü¬
hern Werken stehen, und die Theorie des Sinnes, der hingebenden Versen¬
kung in das universelle Leben der Natur, wie ihn die Reden über die
Religion und die Monologen predigen, ist hier auf eine sinnige Weise
poetisch realisirt. Noch näher steht er vielleicht den Herder'schen Ideen; und
die allmälige Entwickelung des tellurischen, des vegetativen Lebens zum or¬
ganischen, zum physischen, die Erhebung Gottes aus der Natur zum mensch¬
lichen Geist, diese kühne und zugleich zarte Auffassung der Jncarnation tritt
in lieblichen Bildern vor die Seele.

Das ist das zweite Moment der Religion, das humanistische. Sche-
fer entwickelt weder den plastischen, heroischen Polytheismus der Griechen,
die blos das Schöne und Treffliche der Menschen in die Aristokratie ihres
Olymps versetzten, noch die christliche Anbetung des Menschensohnes in sei¬
ner Demuth und Niedrigkeit, als des Geistes, der auch im Kinde, auch im
Sünder, unendlich sich über die Seelenlosigkeit des blos Natürlichen er-


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[0438] Katzen grau sind. „Der helle Tag ist auch nur eine Nacht, die Eine heil'ge große Nacht im All; die Sonne eben ist die Lampe nur, aus Noth, der Nacht zu steuern aufgehangen." Und das Leben der Natur, wie des Men¬ schen, wird ein Traum, eine unbestimmte Dämmerung. „Sinnbefangen, liebt ihr die Gestalten, doch den Geist vermögt ihr nicht zu halten; Schein ist alles Menschenwesen" — „Aus Träumen weben Götter die Menschen, darum verschwebcn sie auch wie Träume. Heim in den Aether streben die freien uralten Stoffe, jegliche schöne Fassung zerstörend, und in den Himmel keh¬ ren die Träume." „Nicht dauerhafter ist das Netz der Spinne, als dieses Tages hellleuchtendes Gespinnst, leicht hingehangen, leicht hinweggenommen wie ein Schleier! In solcher Wnnderhöhle dieses Tages nun sitzen wir, so wie in einem Mährchen, hervorgegangen, Niemand weiß woher? Unleug¬ bar Mährchenwesen; Mährchenhäuser die Königsschlösser und die Göttertem¬ pel u. s. w., selbst jene Sonne, die da sinkt, ist Mährchen! Das Wunder- bare schadet nicht dem Leben, es hält nicht an, ich bin ein Wunder auch — der Stein, das Grab, das Unglück und das Leid sind lieblich für die stille Götterseele, die wie auf goldner Fluth emporgetragen, als Göttermond am Götterhimmel steht." — Bei dieser pantheistischen Richtung des Dichters ist es erklärlich, daß er besondere Vorliebe für I. Böhme und Giordano Bruno hegt; den einen hat er in eiuer Ballade besungen, den andern in einer Novelle dargestellt; wahrscheinlich ohne einen von beiden gelesen zu ha¬ ben, weil ihn sonst das Ungebildete, grob naturalistische bei dem Einen, die dialektische Spitzfindigkeit bei dem Andern abgestoßen haben würde. Da¬ gegen könnten ganze Stellen seiner Gedichte füglich in Schleiermacher's frü¬ hern Werken stehen, und die Theorie des Sinnes, der hingebenden Versen¬ kung in das universelle Leben der Natur, wie ihn die Reden über die Religion und die Monologen predigen, ist hier auf eine sinnige Weise poetisch realisirt. Noch näher steht er vielleicht den Herder'schen Ideen; und die allmälige Entwickelung des tellurischen, des vegetativen Lebens zum or¬ ganischen, zum physischen, die Erhebung Gottes aus der Natur zum mensch¬ lichen Geist, diese kühne und zugleich zarte Auffassung der Jncarnation tritt in lieblichen Bildern vor die Seele. Das ist das zweite Moment der Religion, das humanistische. Sche- fer entwickelt weder den plastischen, heroischen Polytheismus der Griechen, die blos das Schöne und Treffliche der Menschen in die Aristokratie ihres Olymps versetzten, noch die christliche Anbetung des Menschensohnes in sei¬ ner Demuth und Niedrigkeit, als des Geistes, der auch im Kinde, auch im Sünder, unendlich sich über die Seelenlosigkeit des blos Natürlichen er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/438>, abgerufen am 22.07.2024.