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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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lich ist gleichzeitig von dem gelehrten Gräße in seiner noch nicht vollendeten
Literaturgeschichte zusammengestellt worden. --

Während Gervinus sein Buch schrieb, entwickelte sich die philosophische
Bewegung der sogenannten Junghegelianer besonders in den hallischen Jahr¬
büchern seit 1837. In den ersten Jahren hat sich dieses bedeutende Jour¬
nal auch an der literarhistorischen Kritik mit Erfolg betheiligt und neben
Gervinus das definitive Urtheil über die früher so hochgefeierte Romantik
in der öffentlichen Meinung vorzugsweise feststellen helfen. Außer dem kamps¬
gewandten Rüge waren hier besonders der sinnige Echtermeyer und da¬
mals, wie später auch durch Gervinus vielfach angeregt, der vielseitig und
fein gebildete Prutz thätig. Doch Rüge wurde im Kampfe mit der Roman¬
tik immer einseitiger und verlor dadurch wie alles Interesse für das frühere
geistige Leben seines Volkes, so auch den Einfluß auf die weitere Entwicke¬
lung seiner Zeit, was Jeder erfahren wird, der so gewaltsam mit der Ver¬
gangenheit brechen will. Doch ist bemerkenswert!), daß er auf dem Gebiete,
auf welchem er zuerst seinen Einfluß auf die Literatur gewann, wieder mit
seinem Volke anzuknüpfen sucht. Der erste Band seiner gesammelten Schrif¬
ten enthält eine sehr gut geschriebene Geschichte der deutschen Literatur von
Lessing bis auf die neuere Zeit, worin er bei aller Einseitigkeit der Betrach¬
tung und des Urtheils besonders über die Romantiker doch wieder eine Theil¬
nahme an der Entwickelung unserer literarischen Vergangenheit kund gibt,
die er früher ganz verloren zu haben schien. Denn es gab eine Zeit, wo
er in der fanatischen Verfolgung der ganzen "schlechten" Vergangenheit des
deutschen Volks sich darüber wunderte, wie man sich noch sür Goethe inter-
essiren könne.

Da Gervinus Literaturgeschichte nicht blos so wie ein gewöhnliches
Geschichtsbuch gelesen werden darf, sondern gründlich studirt werden muß,
wenn man was davon gewinnen will, so mußte das Bedürfniß einer ge¬
drängten Darstellung der Literaturgeschichte für das größere gebildete Pu¬
blikum um so fühlbarer werden. Das kleinere Handbuch der Geschichte der
poetischen Nationalliteratur der Deutschen, welches Gervinus selbst 1842
herausgab (3. Aufl. 1845), konnte dieses Bedürfniß nicht befriedigen, da
es als eine übersichtliche Zusammenstellung der Resultate der in dem großen
Werke durchgeführten Entwickelung, wie Gervinus selbst sagt, zum Ver
ständniß des großen Werkes vorbereiten sollte. Doch setzt auch die Empfäng¬
lichkeit sür eine solche Vorbereitung einen wissenschaftlichen Ernst und eine
wissenschaftliche Vorbildung voraus, die man denen, welche einer solch"
Vorbereitung bedürfen, nicht immer zumuthen darf. ^- PopMr"r gchaltW


lich ist gleichzeitig von dem gelehrten Gräße in seiner noch nicht vollendeten
Literaturgeschichte zusammengestellt worden. —

Während Gervinus sein Buch schrieb, entwickelte sich die philosophische
Bewegung der sogenannten Junghegelianer besonders in den hallischen Jahr¬
büchern seit 1837. In den ersten Jahren hat sich dieses bedeutende Jour¬
nal auch an der literarhistorischen Kritik mit Erfolg betheiligt und neben
Gervinus das definitive Urtheil über die früher so hochgefeierte Romantik
in der öffentlichen Meinung vorzugsweise feststellen helfen. Außer dem kamps¬
gewandten Rüge waren hier besonders der sinnige Echtermeyer und da¬
mals, wie später auch durch Gervinus vielfach angeregt, der vielseitig und
fein gebildete Prutz thätig. Doch Rüge wurde im Kampfe mit der Roman¬
tik immer einseitiger und verlor dadurch wie alles Interesse für das frühere
geistige Leben seines Volkes, so auch den Einfluß auf die weitere Entwicke¬
lung seiner Zeit, was Jeder erfahren wird, der so gewaltsam mit der Ver¬
gangenheit brechen will. Doch ist bemerkenswert!), daß er auf dem Gebiete,
auf welchem er zuerst seinen Einfluß auf die Literatur gewann, wieder mit
seinem Volke anzuknüpfen sucht. Der erste Band seiner gesammelten Schrif¬
ten enthält eine sehr gut geschriebene Geschichte der deutschen Literatur von
Lessing bis auf die neuere Zeit, worin er bei aller Einseitigkeit der Betrach¬
tung und des Urtheils besonders über die Romantiker doch wieder eine Theil¬
nahme an der Entwickelung unserer literarischen Vergangenheit kund gibt,
die er früher ganz verloren zu haben schien. Denn es gab eine Zeit, wo
er in der fanatischen Verfolgung der ganzen „schlechten" Vergangenheit des
deutschen Volks sich darüber wunderte, wie man sich noch sür Goethe inter-
essiren könne.

Da Gervinus Literaturgeschichte nicht blos so wie ein gewöhnliches
Geschichtsbuch gelesen werden darf, sondern gründlich studirt werden muß,
wenn man was davon gewinnen will, so mußte das Bedürfniß einer ge¬
drängten Darstellung der Literaturgeschichte für das größere gebildete Pu¬
blikum um so fühlbarer werden. Das kleinere Handbuch der Geschichte der
poetischen Nationalliteratur der Deutschen, welches Gervinus selbst 1842
herausgab (3. Aufl. 1845), konnte dieses Bedürfniß nicht befriedigen, da
es als eine übersichtliche Zusammenstellung der Resultate der in dem großen
Werke durchgeführten Entwickelung, wie Gervinus selbst sagt, zum Ver
ständniß des großen Werkes vorbereiten sollte. Doch setzt auch die Empfäng¬
lichkeit sür eine solche Vorbereitung einen wissenschaftlichen Ernst und eine
wissenschaftliche Vorbildung voraus, die man denen, welche einer solch«
Vorbereitung bedürfen, nicht immer zumuthen darf. ^- PopMr«r gchaltW


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[0388] lich ist gleichzeitig von dem gelehrten Gräße in seiner noch nicht vollendeten Literaturgeschichte zusammengestellt worden. — Während Gervinus sein Buch schrieb, entwickelte sich die philosophische Bewegung der sogenannten Junghegelianer besonders in den hallischen Jahr¬ büchern seit 1837. In den ersten Jahren hat sich dieses bedeutende Jour¬ nal auch an der literarhistorischen Kritik mit Erfolg betheiligt und neben Gervinus das definitive Urtheil über die früher so hochgefeierte Romantik in der öffentlichen Meinung vorzugsweise feststellen helfen. Außer dem kamps¬ gewandten Rüge waren hier besonders der sinnige Echtermeyer und da¬ mals, wie später auch durch Gervinus vielfach angeregt, der vielseitig und fein gebildete Prutz thätig. Doch Rüge wurde im Kampfe mit der Roman¬ tik immer einseitiger und verlor dadurch wie alles Interesse für das frühere geistige Leben seines Volkes, so auch den Einfluß auf die weitere Entwicke¬ lung seiner Zeit, was Jeder erfahren wird, der so gewaltsam mit der Ver¬ gangenheit brechen will. Doch ist bemerkenswert!), daß er auf dem Gebiete, auf welchem er zuerst seinen Einfluß auf die Literatur gewann, wieder mit seinem Volke anzuknüpfen sucht. Der erste Band seiner gesammelten Schrif¬ ten enthält eine sehr gut geschriebene Geschichte der deutschen Literatur von Lessing bis auf die neuere Zeit, worin er bei aller Einseitigkeit der Betrach¬ tung und des Urtheils besonders über die Romantiker doch wieder eine Theil¬ nahme an der Entwickelung unserer literarischen Vergangenheit kund gibt, die er früher ganz verloren zu haben schien. Denn es gab eine Zeit, wo er in der fanatischen Verfolgung der ganzen „schlechten" Vergangenheit des deutschen Volks sich darüber wunderte, wie man sich noch sür Goethe inter- essiren könne. Da Gervinus Literaturgeschichte nicht blos so wie ein gewöhnliches Geschichtsbuch gelesen werden darf, sondern gründlich studirt werden muß, wenn man was davon gewinnen will, so mußte das Bedürfniß einer ge¬ drängten Darstellung der Literaturgeschichte für das größere gebildete Pu¬ blikum um so fühlbarer werden. Das kleinere Handbuch der Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, welches Gervinus selbst 1842 herausgab (3. Aufl. 1845), konnte dieses Bedürfniß nicht befriedigen, da es als eine übersichtliche Zusammenstellung der Resultate der in dem großen Werke durchgeführten Entwickelung, wie Gervinus selbst sagt, zum Ver ständniß des großen Werkes vorbereiten sollte. Doch setzt auch die Empfäng¬ lichkeit sür eine solche Vorbereitung einen wissenschaftlichen Ernst und eine wissenschaftliche Vorbildung voraus, die man denen, welche einer solch« Vorbereitung bedürfen, nicht immer zumuthen darf. ^- PopMr«r gchaltW

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/388>, abgerufen am 03.07.2024.