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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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scheu Werke gemacht hat. Daß es der Kritik nicht schwer werden konnte,
bei einem so umfangreichen und kühnen Unternehmen Manches zu tadeln,
versteht sich von selbst. -- Mau kaun zugeben, daß Gervinus bei seinem
entschiedenen Charakter und seiner politischen Gesinnung manche Sympathien
und Antipathien zur Ausarbeitung seines Buches mitbringen mußte, welche
hier und da eine Ueberschätzung aber noch viel häufiger eine zu herbe und
ungerechte Beurtheilung einzelner Zeitrichtuugeu und Persönlichkeiten veran¬
laßt haben. Ferner laßt sich nicht leugnen, daß seinem Werke hier und
da eine gleichmäßigere und durchsichtigere Verarbeitung des Stoffes und
eine ansprechendere Form des Ausdrucks zu wünschen wäre. Mau wird hier
manchmal an seinen Lehrer, den treffliche" Schlosser erinnert, der bekanntlich
in jenen beiden Beziehungen oft mit vollem Rechte getadelt worden ist. Doch
liegt die Ursache dieser Mängel zum Theil im Stoffe selbst und in der ei¬
genthümlichen Reproduction desselben in der historischen Anschauung des Ver¬
fassers und man wird dafür nicht nur durch viele einzelne ganz vollendete
Charakteristiken von Zeiten und Personen, sondern auch durch die durchweg
geistvolle und großartige Behandlung und Beleuchtung des so schwer zu be¬
wältigenden Materials hinreichend entschädigt. --

Gewinns hatte in der Einleitung zu seinem Buche selber geäußert, er
habe zu einer Menge von Forschungen uur Winke gegeben, denn zu eiuer ob¬
jectiv vollständigen Geschichte der deutschen Literatur sei es Uvah lange nicht
Zeit. Aber nicht blos Winke hat er gegeben, sondern auch Lehre und Bei¬
spiel zu solcher Forschung, namentlich auf dein Gebiete der neuen Literatur,
das erst seit Gervinus Anregung, in vielen Monographien über zeither noch
ziemlich dunkeln Parthien uuserer Literaturgeschichte angebaut worden ist. --
Ueberhaupt aber ist seitdem ein reges Interesse dasür wie in der Wissenschaft,
so auch in Schule und Haus rege geworden und tüchtige Schulmänner ha¬
ben dem hier erwachten Bedürfnisse durch tüchtige Arbeiten abzuhelfen ge¬
sucht, uuter deuen besonders I. W. Schaefer's Handbuch der Geschichte
der deutschen Literatur 1842 und die neueste Auflage der erste" Abtheilung
von Kob erste in's Grundriß der deutschen Nativualliteratur von 1845 zu
Nennen sind, letzteres ein Buch, das allerdings zunächst zur Belehrung ge¬
reifter Gymnasiasten bestimmt ist, aber wegen der durchaus zuverlässigen
und wohl geordneten Zusammenstellung der Resultate der Forschungen auf
dem Gebiete der ältern deutschen Literatur auch in weitern Kreisen alle Be¬
achtung verdient. -- Für Beispielsammlungen haben bekanntlich W. Wacker¬
nagel, H. Kurz, G. Schwab, Gvdecke, Frommau und Häußer
mit Umsicht gesorgt. Das bibliographische Material für den Gelehrten end-


scheu Werke gemacht hat. Daß es der Kritik nicht schwer werden konnte,
bei einem so umfangreichen und kühnen Unternehmen Manches zu tadeln,
versteht sich von selbst. — Mau kaun zugeben, daß Gervinus bei seinem
entschiedenen Charakter und seiner politischen Gesinnung manche Sympathien
und Antipathien zur Ausarbeitung seines Buches mitbringen mußte, welche
hier und da eine Ueberschätzung aber noch viel häufiger eine zu herbe und
ungerechte Beurtheilung einzelner Zeitrichtuugeu und Persönlichkeiten veran¬
laßt haben. Ferner laßt sich nicht leugnen, daß seinem Werke hier und
da eine gleichmäßigere und durchsichtigere Verarbeitung des Stoffes und
eine ansprechendere Form des Ausdrucks zu wünschen wäre. Mau wird hier
manchmal an seinen Lehrer, den treffliche» Schlosser erinnert, der bekanntlich
in jenen beiden Beziehungen oft mit vollem Rechte getadelt worden ist. Doch
liegt die Ursache dieser Mängel zum Theil im Stoffe selbst und in der ei¬
genthümlichen Reproduction desselben in der historischen Anschauung des Ver¬
fassers und man wird dafür nicht nur durch viele einzelne ganz vollendete
Charakteristiken von Zeiten und Personen, sondern auch durch die durchweg
geistvolle und großartige Behandlung und Beleuchtung des so schwer zu be¬
wältigenden Materials hinreichend entschädigt. —

Gewinns hatte in der Einleitung zu seinem Buche selber geäußert, er
habe zu einer Menge von Forschungen uur Winke gegeben, denn zu eiuer ob¬
jectiv vollständigen Geschichte der deutschen Literatur sei es Uvah lange nicht
Zeit. Aber nicht blos Winke hat er gegeben, sondern auch Lehre und Bei¬
spiel zu solcher Forschung, namentlich auf dein Gebiete der neuen Literatur,
das erst seit Gervinus Anregung, in vielen Monographien über zeither noch
ziemlich dunkeln Parthien uuserer Literaturgeschichte angebaut worden ist. —
Ueberhaupt aber ist seitdem ein reges Interesse dasür wie in der Wissenschaft,
so auch in Schule und Haus rege geworden und tüchtige Schulmänner ha¬
ben dem hier erwachten Bedürfnisse durch tüchtige Arbeiten abzuhelfen ge¬
sucht, uuter deuen besonders I. W. Schaefer's Handbuch der Geschichte
der deutschen Literatur 1842 und die neueste Auflage der erste» Abtheilung
von Kob erste in's Grundriß der deutschen Nativualliteratur von 1845 zu
Nennen sind, letzteres ein Buch, das allerdings zunächst zur Belehrung ge¬
reifter Gymnasiasten bestimmt ist, aber wegen der durchaus zuverlässigen
und wohl geordneten Zusammenstellung der Resultate der Forschungen auf
dem Gebiete der ältern deutschen Literatur auch in weitern Kreisen alle Be¬
achtung verdient. — Für Beispielsammlungen haben bekanntlich W. Wacker¬
nagel, H. Kurz, G. Schwab, Gvdecke, Frommau und Häußer
mit Umsicht gesorgt. Das bibliographische Material für den Gelehrten end-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/387>, abgerufen am 22.07.2024.