Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lich; eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Reflexio¬
nen einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf ein¬
mal, um durch allerhand Nebengeschichten unterbrochen zu werden; bei
keiner Gelegenheit verfehlen die handelnden oder betheiligten Personen
eine Reihe lyrischer Betrachtungen darüber in Verse zu bringen, die keine
Spur musikalischer Abrundung haben. Die Hauptsachen werden häufig mehr
angedeutet als ausgesprochen; Arnim hat vor Allein das Bedürfniß, seine
unmittelbare Stimmung auszusprechen. Mitten in einer plastisch reinen Dar¬
stellung wirklicher Scenen umspannt plötzlich das Gran einer unbestimmten
Allegorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch ne¬
ben uns gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, finden
wir daun wieder als Abstractionen, oder gradezu als Gespenster, nur ohne
unheimlich lüsterne Grauen einer treuherzigen Gespenstergeschichte. Jener
liederliche Minister, der Fran und Kind im Stich gelassen, erscheint auf ein¬
mal als indischer Nabob mit einem indischen Weibe wieder vor seinem Schloß,
wird dort von seiner zurückgelassene" Gattin, von der wir nichts gehört ha¬
ben, als daß sie gestorben ist, sehr grob empfangen; diese stellt ihm übri¬
gens einen Herzog von A--, denselben, den wir früher als Gemahl ihrer
Tochter Clelia gekannt haben, und der anderweite anch zu seinen Vätern
versammelt ist, als ihren neuen Gatten vor; der Herzog ermangelt nicht, der
schönen Tochter Hindostans die Cour zu machen; und reussirt auch, obgleich
ein Gespenst. Mit dem Schlage Eins verschwindet der ganze Spuk, das
Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken angezündet,
der Minister ist geneigt, sich selbst für ein Gespenst zu halten, bis er endlich
seine Stelle wiedererhält, und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats
von seiner Realität überzeugt.

In dieser romantischen Verwirrung wird man nicht selten dnrch ein
scharf gezeichnetes Bild, durch eine treffende nud geistreiche Reflexion über¬
rascht. Ein Beispiel. "Vielhundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der
Zweikampf, so wie er in Deutschland nur zwischen gewissen Ständen einge¬
führt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen
Elassen des Volks für etwas Schändliches halte"; da sei keine allgemein
geglaubte Ehrenreinigung dabei, nud in seinem unbestimmten Verhältnisse zu
den Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald verboten, stelle er
ein trauriges Zeichen jeuer Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die grade
so wesentliche, edelste, höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne all
gemeine durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und


Gvcnzbotc". "I, ^

lich; eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Reflexio¬
nen einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf ein¬
mal, um durch allerhand Nebengeschichten unterbrochen zu werden; bei
keiner Gelegenheit verfehlen die handelnden oder betheiligten Personen
eine Reihe lyrischer Betrachtungen darüber in Verse zu bringen, die keine
Spur musikalischer Abrundung haben. Die Hauptsachen werden häufig mehr
angedeutet als ausgesprochen; Arnim hat vor Allein das Bedürfniß, seine
unmittelbare Stimmung auszusprechen. Mitten in einer plastisch reinen Dar¬
stellung wirklicher Scenen umspannt plötzlich das Gran einer unbestimmten
Allegorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch ne¬
ben uns gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, finden
wir daun wieder als Abstractionen, oder gradezu als Gespenster, nur ohne
unheimlich lüsterne Grauen einer treuherzigen Gespenstergeschichte. Jener
liederliche Minister, der Fran und Kind im Stich gelassen, erscheint auf ein¬
mal als indischer Nabob mit einem indischen Weibe wieder vor seinem Schloß,
wird dort von seiner zurückgelassene» Gattin, von der wir nichts gehört ha¬
ben, als daß sie gestorben ist, sehr grob empfangen; diese stellt ihm übri¬
gens einen Herzog von A—, denselben, den wir früher als Gemahl ihrer
Tochter Clelia gekannt haben, und der anderweite anch zu seinen Vätern
versammelt ist, als ihren neuen Gatten vor; der Herzog ermangelt nicht, der
schönen Tochter Hindostans die Cour zu machen; und reussirt auch, obgleich
ein Gespenst. Mit dem Schlage Eins verschwindet der ganze Spuk, das
Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken angezündet,
der Minister ist geneigt, sich selbst für ein Gespenst zu halten, bis er endlich
seine Stelle wiedererhält, und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats
von seiner Realität überzeugt.

In dieser romantischen Verwirrung wird man nicht selten dnrch ein
scharf gezeichnetes Bild, durch eine treffende nud geistreiche Reflexion über¬
rascht. Ein Beispiel. „Vielhundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der
Zweikampf, so wie er in Deutschland nur zwischen gewissen Ständen einge¬
führt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen
Elassen des Volks für etwas Schändliches halte»; da sei keine allgemein
geglaubte Ehrenreinigung dabei, nud in seinem unbestimmten Verhältnisse zu
den Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald verboten, stelle er
ein trauriges Zeichen jeuer Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die grade
so wesentliche, edelste, höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne all
gemeine durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und


Gvcnzbotc». »I, ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272240"/>
          <p xml:id="ID_1188" prev="#ID_1187"> lich; eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Reflexio¬<lb/>
nen einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf ein¬<lb/>
mal, um durch allerhand Nebengeschichten unterbrochen zu werden; bei<lb/>
keiner Gelegenheit verfehlen die handelnden oder betheiligten Personen<lb/>
eine Reihe lyrischer Betrachtungen darüber in Verse zu bringen, die keine<lb/>
Spur musikalischer Abrundung haben. Die Hauptsachen werden häufig mehr<lb/>
angedeutet als ausgesprochen; Arnim hat vor Allein das Bedürfniß, seine<lb/>
unmittelbare Stimmung auszusprechen. Mitten in einer plastisch reinen Dar¬<lb/>
stellung wirklicher Scenen umspannt plötzlich das Gran einer unbestimmten<lb/>
Allegorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch ne¬<lb/>
ben uns gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, finden<lb/>
wir daun wieder als Abstractionen, oder gradezu als Gespenster, nur ohne<lb/>
unheimlich lüsterne Grauen einer treuherzigen Gespenstergeschichte. Jener<lb/>
liederliche Minister, der Fran und Kind im Stich gelassen, erscheint auf ein¬<lb/>
mal als indischer Nabob mit einem indischen Weibe wieder vor seinem Schloß,<lb/>
wird dort von seiner zurückgelassene» Gattin, von der wir nichts gehört ha¬<lb/>
ben, als daß sie gestorben ist, sehr grob empfangen; diese stellt ihm übri¬<lb/>
gens einen Herzog von A&#x2014;, denselben, den wir früher als Gemahl ihrer<lb/>
Tochter Clelia gekannt haben, und der anderweite anch zu seinen Vätern<lb/>
versammelt ist, als ihren neuen Gatten vor; der Herzog ermangelt nicht, der<lb/>
schönen Tochter Hindostans die Cour zu machen; und reussirt auch, obgleich<lb/>
ein Gespenst. Mit dem Schlage Eins verschwindet der ganze Spuk, das<lb/>
Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken angezündet,<lb/>
der Minister ist geneigt, sich selbst für ein Gespenst zu halten, bis er endlich<lb/>
seine Stelle wiedererhält, und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats<lb/>
von seiner Realität überzeugt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189" next="#ID_1190"> In dieser romantischen Verwirrung wird man nicht selten dnrch ein<lb/>
scharf gezeichnetes Bild, durch eine treffende nud geistreiche Reflexion über¬<lb/>
rascht. Ein Beispiel. &#x201E;Vielhundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der<lb/>
Zweikampf, so wie er in Deutschland nur zwischen gewissen Ständen einge¬<lb/>
führt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen<lb/>
Elassen des Volks für etwas Schändliches halte»; da sei keine allgemein<lb/>
geglaubte Ehrenreinigung dabei, nud in seinem unbestimmten Verhältnisse zu<lb/>
den Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald verboten, stelle er<lb/>
ein trauriges Zeichen jeuer Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die grade<lb/>
so wesentliche, edelste, höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne all<lb/>
gemeine durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gvcnzbotc». »I, ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] lich; eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Reflexio¬ nen einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf ein¬ mal, um durch allerhand Nebengeschichten unterbrochen zu werden; bei keiner Gelegenheit verfehlen die handelnden oder betheiligten Personen eine Reihe lyrischer Betrachtungen darüber in Verse zu bringen, die keine Spur musikalischer Abrundung haben. Die Hauptsachen werden häufig mehr angedeutet als ausgesprochen; Arnim hat vor Allein das Bedürfniß, seine unmittelbare Stimmung auszusprechen. Mitten in einer plastisch reinen Dar¬ stellung wirklicher Scenen umspannt plötzlich das Gran einer unbestimmten Allegorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch ne¬ ben uns gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, finden wir daun wieder als Abstractionen, oder gradezu als Gespenster, nur ohne unheimlich lüsterne Grauen einer treuherzigen Gespenstergeschichte. Jener liederliche Minister, der Fran und Kind im Stich gelassen, erscheint auf ein¬ mal als indischer Nabob mit einem indischen Weibe wieder vor seinem Schloß, wird dort von seiner zurückgelassene» Gattin, von der wir nichts gehört ha¬ ben, als daß sie gestorben ist, sehr grob empfangen; diese stellt ihm übri¬ gens einen Herzog von A—, denselben, den wir früher als Gemahl ihrer Tochter Clelia gekannt haben, und der anderweite anch zu seinen Vätern versammelt ist, als ihren neuen Gatten vor; der Herzog ermangelt nicht, der schönen Tochter Hindostans die Cour zu machen; und reussirt auch, obgleich ein Gespenst. Mit dem Schlage Eins verschwindet der ganze Spuk, das Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken angezündet, der Minister ist geneigt, sich selbst für ein Gespenst zu halten, bis er endlich seine Stelle wiedererhält, und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats von seiner Realität überzeugt. In dieser romantischen Verwirrung wird man nicht selten dnrch ein scharf gezeichnetes Bild, durch eine treffende nud geistreiche Reflexion über¬ rascht. Ein Beispiel. „Vielhundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der Zweikampf, so wie er in Deutschland nur zwischen gewissen Ständen einge¬ führt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen Elassen des Volks für etwas Schändliches halte»; da sei keine allgemein geglaubte Ehrenreinigung dabei, nud in seinem unbestimmten Verhältnisse zu den Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald verboten, stelle er ein trauriges Zeichen jeuer Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die grade so wesentliche, edelste, höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne all gemeine durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und Gvcnzbotc». »I, ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/341>, abgerufen am 22.07.2024.