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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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unterdrückten. Das war seine Betrachtung, aber mit dem Augenblick der
Leidenschaft faßte ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. -- Der Ba¬
ron war aber längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den
Grafen an, ob er ihn denn für wahnsinnig halte, sich ans so etwas einzu¬
lassen, -- -- er dictirte in großer Ruhe eine so beschämende Abbitte, daß
der Graf, der von dem Muthe des Barons manche Proben wußte, über
eine Natur staunte, die ans dem ganzen Ehrenkreise seiner Zeit, seines Vol¬
kes, ohne große Begebenheiten, blos durch sich selbst herauAgcrissen worden;
mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution grade nothwen¬
dig solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse, und mancher
jugendliche Umwälzungöplcm, den er mit dem gährenden Maße der Zeit ge¬
tränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in dein einen bedeutenden Augen¬
blick; nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich." -- Liegt nicht
etwas überraschend Wahres in diesem Einfall? und dergleichen finden sich
häufig.

Die beiden Ideale Arnim's sind der Graf und Clelia; fromm, aber
nicht pietistisch; heftig, stark, entschieden, aber doch im Herzen milde gesinnt;
von großer Empfänglichkeit für die Kindereien der Gemüthswelt, und doch
im praktischen Leben unverdrossen, gewissenhafte Arbeiter; voll Haß und Ver¬
achtung gegen die Welt der Lüge und des Lasters, die sie umgibt, und doch
nicht frei von einer gewissen Bewunderung dafür, eben weil sie ihnen fremd
ist. -- Auf der andern Seite stehen die Typen eben dieses gottlosen lügenhaf¬
ten Zeitgeistes, der Herzog v. A-, der Dichter Waller, der häßliche Baron;
der erste, ein Weltmann, der Alles kennt, Alles studirt, um schrankenlos zu
genießen, die physische Lust wie den höchsten geistigen Reiz, der bald als
gewandter Diplomat, bald als gründlicher Gelehrter, bald als Schwarzkünst¬
ler, bald als Messias auftritt, der in seinen Lügen sich selbst berauscht,
der dabei von einer wirklich gefühlten Achtung vor der ihm fremden Wahr¬
heit durchdrungen ist, ohne Neue über sein Wesen, zu empfinden, der sich
endlich in der Religion und ihren mystischen Andachtsübungen betäubt, wie
früher in der Gluth der Leidenschaft. Mau wird an den Jean Paul'schen
Roquairol erinnert, und ich wenigstens muß gestehen, daß der Charakter
des Herzogs feiner angelegt, wenn auch flüchtiger gezeichnet ist. -- Waller
ist einer jener Dichter, deren Leben im Anempfinder fremder Begeisterung
sich ergehet, die, weil sie jede Empfindung zu einem Gedicht umwandeln,
in einer dichterischen Traumwelt wie Nachtwandler sich bewegen, aber eben
darum, weil diese Traumwelt in die sittliche verwebt ist, zu den unsittlichsten
Verhältnissen Veranlassung geben, und in dem Abgrund ihres Empfmdungswe-


unterdrückten. Das war seine Betrachtung, aber mit dem Augenblick der
Leidenschaft faßte ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. — Der Ba¬
ron war aber längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den
Grafen an, ob er ihn denn für wahnsinnig halte, sich ans so etwas einzu¬
lassen, — — er dictirte in großer Ruhe eine so beschämende Abbitte, daß
der Graf, der von dem Muthe des Barons manche Proben wußte, über
eine Natur staunte, die ans dem ganzen Ehrenkreise seiner Zeit, seines Vol¬
kes, ohne große Begebenheiten, blos durch sich selbst herauAgcrissen worden;
mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution grade nothwen¬
dig solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse, und mancher
jugendliche Umwälzungöplcm, den er mit dem gährenden Maße der Zeit ge¬
tränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in dein einen bedeutenden Augen¬
blick; nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich." — Liegt nicht
etwas überraschend Wahres in diesem Einfall? und dergleichen finden sich
häufig.

Die beiden Ideale Arnim's sind der Graf und Clelia; fromm, aber
nicht pietistisch; heftig, stark, entschieden, aber doch im Herzen milde gesinnt;
von großer Empfänglichkeit für die Kindereien der Gemüthswelt, und doch
im praktischen Leben unverdrossen, gewissenhafte Arbeiter; voll Haß und Ver¬
achtung gegen die Welt der Lüge und des Lasters, die sie umgibt, und doch
nicht frei von einer gewissen Bewunderung dafür, eben weil sie ihnen fremd
ist. — Auf der andern Seite stehen die Typen eben dieses gottlosen lügenhaf¬
ten Zeitgeistes, der Herzog v. A-, der Dichter Waller, der häßliche Baron;
der erste, ein Weltmann, der Alles kennt, Alles studirt, um schrankenlos zu
genießen, die physische Lust wie den höchsten geistigen Reiz, der bald als
gewandter Diplomat, bald als gründlicher Gelehrter, bald als Schwarzkünst¬
ler, bald als Messias auftritt, der in seinen Lügen sich selbst berauscht,
der dabei von einer wirklich gefühlten Achtung vor der ihm fremden Wahr¬
heit durchdrungen ist, ohne Neue über sein Wesen, zu empfinden, der sich
endlich in der Religion und ihren mystischen Andachtsübungen betäubt, wie
früher in der Gluth der Leidenschaft. Mau wird an den Jean Paul'schen
Roquairol erinnert, und ich wenigstens muß gestehen, daß der Charakter
des Herzogs feiner angelegt, wenn auch flüchtiger gezeichnet ist. — Waller
ist einer jener Dichter, deren Leben im Anempfinder fremder Begeisterung
sich ergehet, die, weil sie jede Empfindung zu einem Gedicht umwandeln,
in einer dichterischen Traumwelt wie Nachtwandler sich bewegen, aber eben
darum, weil diese Traumwelt in die sittliche verwebt ist, zu den unsittlichsten
Verhältnissen Veranlassung geben, und in dem Abgrund ihres Empfmdungswe-


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[0342] unterdrückten. Das war seine Betrachtung, aber mit dem Augenblick der Leidenschaft faßte ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. — Der Ba¬ ron war aber längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an, ob er ihn denn für wahnsinnig halte, sich ans so etwas einzu¬ lassen, — — er dictirte in großer Ruhe eine so beschämende Abbitte, daß der Graf, der von dem Muthe des Barons manche Proben wußte, über eine Natur staunte, die ans dem ganzen Ehrenkreise seiner Zeit, seines Vol¬ kes, ohne große Begebenheiten, blos durch sich selbst herauAgcrissen worden; mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution grade nothwen¬ dig solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse, und mancher jugendliche Umwälzungöplcm, den er mit dem gährenden Maße der Zeit ge¬ tränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in dein einen bedeutenden Augen¬ blick; nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich." — Liegt nicht etwas überraschend Wahres in diesem Einfall? und dergleichen finden sich häufig. Die beiden Ideale Arnim's sind der Graf und Clelia; fromm, aber nicht pietistisch; heftig, stark, entschieden, aber doch im Herzen milde gesinnt; von großer Empfänglichkeit für die Kindereien der Gemüthswelt, und doch im praktischen Leben unverdrossen, gewissenhafte Arbeiter; voll Haß und Ver¬ achtung gegen die Welt der Lüge und des Lasters, die sie umgibt, und doch nicht frei von einer gewissen Bewunderung dafür, eben weil sie ihnen fremd ist. — Auf der andern Seite stehen die Typen eben dieses gottlosen lügenhaf¬ ten Zeitgeistes, der Herzog v. A-, der Dichter Waller, der häßliche Baron; der erste, ein Weltmann, der Alles kennt, Alles studirt, um schrankenlos zu genießen, die physische Lust wie den höchsten geistigen Reiz, der bald als gewandter Diplomat, bald als gründlicher Gelehrter, bald als Schwarzkünst¬ ler, bald als Messias auftritt, der in seinen Lügen sich selbst berauscht, der dabei von einer wirklich gefühlten Achtung vor der ihm fremden Wahr¬ heit durchdrungen ist, ohne Neue über sein Wesen, zu empfinden, der sich endlich in der Religion und ihren mystischen Andachtsübungen betäubt, wie früher in der Gluth der Leidenschaft. Mau wird an den Jean Paul'schen Roquairol erinnert, und ich wenigstens muß gestehen, daß der Charakter des Herzogs feiner angelegt, wenn auch flüchtiger gezeichnet ist. — Waller ist einer jener Dichter, deren Leben im Anempfinder fremder Begeisterung sich ergehet, die, weil sie jede Empfindung zu einem Gedicht umwandeln, in einer dichterischen Traumwelt wie Nachtwandler sich bewegen, aber eben darum, weil diese Traumwelt in die sittliche verwebt ist, zu den unsittlichsten Verhältnissen Veranlassung geben, und in dem Abgrund ihres Empfmdungswe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/342>, abgerufen am 22.07.2024.