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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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mit einer gewissen Virtuosität, im Kreise guter Freunde, sich in Albernheiten
ergehen mag; Armin hat aber diese Stimmung sixirt; alle jene Geschichten
sind ein Gewebe von Narrenspossen, ohne irgend einen Witz, und es wird
einem dabei zu Muthe, als sähe mau einen erwachsenen, in das Leben ein¬
gebürgerten Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nach¬
klang der TieLschen Ironie, die über allem Irdischen "dein Genie gleich auf
Morgenwolken" schwebt, und aus dieser Vogelperspektive das Leben verach¬
tet; nur hat Arnim dabei nicht diese romantische suffisance, diese Coquet-
terie mit dein eignen Ich, wie sie aus der Fichte'scheu Schule in die Berli¬
ner Blasirtheit übergegangen war. Tieck, wenn er sich mit Kindereien be¬
schäftigt, winkt immer sehr pfiffig dem Publikum zu: "Glaubt doch nicht,
daß mir dergleichen Ernst ist! Ich bin sehr gebildet; wenn ich ein Kind
bin, so bli: ich wenigstens ein altkluges, ein himmlisches Kind mit ungemei-
nen Inspirationen." Aber Arnim sucht sich selber einzureden, er treibe
etwas Wichtiges, wenn er einem alten Hanswurst einen neuen Schnurrbart
anstreicht, wenn er die verrenkten Heiligenbilder jener "Kunst in Windeln"
mit einem neuen naiven Einfall bereichert. Er betreibt die Narrheit, wie
die Schule sich ausdrücken würde, mit einer gewissen Religion.

Im Jahre 1810 erschien Arnim'ö Hauptwerk: "Armuth, Reichthum,
Schuld und Buße der Gräfin Dolores, eine wahre Geschichte
zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein," ein humoristi¬
scher Roman, in dem sich die Strahlen der Arnim'schen Poesie ungefähr
eben so concentriren, als Jean Paul's Geist in seinem Titan, Hippel's in
seinen Lcbensläuscn. Diese Schrift wird wohl neben der Jsabelle das ein¬
zige sein , die seinen Namen der Nachwelt zu charakterisiren bestimmt ist.

Die Geschichte ist sehr einfach. Ein Minister, all großartige Eleganz
gewöhnt, macht so viel Schulden, daß er, um seinen Gläubigern zu ent¬
gehen, sein Schloß im Stich läßt. Seine Familie bleibt in Armuth zurück;
die Frau stirbt bald; die beiden Töchter Klelia und Dolores -- finden
endlich reiche Männer...... die eine einen sicilianischen Herzog, die andre einen
deutschen Grafen. Der Herzog verführt später seine Schwägerin, diese, ur¬
sprünglich ein leichtsinniges Frauenzimmer, wird dnrch bedeutende Ereignisse
zur Erkenntniß ihrer Schuld gebracht, thut Buße, erhält Absolution und
stirbt endlich eines seligen Todes.

Aber all diese einfache Geschichte knüpft sich ein großer Reichthum von
Plastik und Historie, und dieser ist wohl als ein charakteristisches Bild jener
eigenthümlichen Phase der Romantik einer nähern Analyse werth.

Die Begebenheiten sind so lose aneinandergesädelt, wie nur immer mög-


mit einer gewissen Virtuosität, im Kreise guter Freunde, sich in Albernheiten
ergehen mag; Armin hat aber diese Stimmung sixirt; alle jene Geschichten
sind ein Gewebe von Narrenspossen, ohne irgend einen Witz, und es wird
einem dabei zu Muthe, als sähe mau einen erwachsenen, in das Leben ein¬
gebürgerten Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nach¬
klang der TieLschen Ironie, die über allem Irdischen „dein Genie gleich auf
Morgenwolken" schwebt, und aus dieser Vogelperspektive das Leben verach¬
tet; nur hat Arnim dabei nicht diese romantische suffisance, diese Coquet-
terie mit dein eignen Ich, wie sie aus der Fichte'scheu Schule in die Berli¬
ner Blasirtheit übergegangen war. Tieck, wenn er sich mit Kindereien be¬
schäftigt, winkt immer sehr pfiffig dem Publikum zu: „Glaubt doch nicht,
daß mir dergleichen Ernst ist! Ich bin sehr gebildet; wenn ich ein Kind
bin, so bli: ich wenigstens ein altkluges, ein himmlisches Kind mit ungemei-
nen Inspirationen." Aber Arnim sucht sich selber einzureden, er treibe
etwas Wichtiges, wenn er einem alten Hanswurst einen neuen Schnurrbart
anstreicht, wenn er die verrenkten Heiligenbilder jener „Kunst in Windeln"
mit einem neuen naiven Einfall bereichert. Er betreibt die Narrheit, wie
die Schule sich ausdrücken würde, mit einer gewissen Religion.

Im Jahre 1810 erschien Arnim'ö Hauptwerk: „Armuth, Reichthum,
Schuld und Buße der Gräfin Dolores, eine wahre Geschichte
zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein," ein humoristi¬
scher Roman, in dem sich die Strahlen der Arnim'schen Poesie ungefähr
eben so concentriren, als Jean Paul's Geist in seinem Titan, Hippel's in
seinen Lcbensläuscn. Diese Schrift wird wohl neben der Jsabelle das ein¬
zige sein , die seinen Namen der Nachwelt zu charakterisiren bestimmt ist.

Die Geschichte ist sehr einfach. Ein Minister, all großartige Eleganz
gewöhnt, macht so viel Schulden, daß er, um seinen Gläubigern zu ent¬
gehen, sein Schloß im Stich läßt. Seine Familie bleibt in Armuth zurück;
die Frau stirbt bald; die beiden Töchter Klelia und Dolores — finden
endlich reiche Männer...... die eine einen sicilianischen Herzog, die andre einen
deutschen Grafen. Der Herzog verführt später seine Schwägerin, diese, ur¬
sprünglich ein leichtsinniges Frauenzimmer, wird dnrch bedeutende Ereignisse
zur Erkenntniß ihrer Schuld gebracht, thut Buße, erhält Absolution und
stirbt endlich eines seligen Todes.

Aber all diese einfache Geschichte knüpft sich ein großer Reichthum von
Plastik und Historie, und dieser ist wohl als ein charakteristisches Bild jener
eigenthümlichen Phase der Romantik einer nähern Analyse werth.

Die Begebenheiten sind so lose aneinandergesädelt, wie nur immer mög-


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[0340] mit einer gewissen Virtuosität, im Kreise guter Freunde, sich in Albernheiten ergehen mag; Armin hat aber diese Stimmung sixirt; alle jene Geschichten sind ein Gewebe von Narrenspossen, ohne irgend einen Witz, und es wird einem dabei zu Muthe, als sähe mau einen erwachsenen, in das Leben ein¬ gebürgerten Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nach¬ klang der TieLschen Ironie, die über allem Irdischen „dein Genie gleich auf Morgenwolken" schwebt, und aus dieser Vogelperspektive das Leben verach¬ tet; nur hat Arnim dabei nicht diese romantische suffisance, diese Coquet- terie mit dein eignen Ich, wie sie aus der Fichte'scheu Schule in die Berli¬ ner Blasirtheit übergegangen war. Tieck, wenn er sich mit Kindereien be¬ schäftigt, winkt immer sehr pfiffig dem Publikum zu: „Glaubt doch nicht, daß mir dergleichen Ernst ist! Ich bin sehr gebildet; wenn ich ein Kind bin, so bli: ich wenigstens ein altkluges, ein himmlisches Kind mit ungemei- nen Inspirationen." Aber Arnim sucht sich selber einzureden, er treibe etwas Wichtiges, wenn er einem alten Hanswurst einen neuen Schnurrbart anstreicht, wenn er die verrenkten Heiligenbilder jener „Kunst in Windeln" mit einem neuen naiven Einfall bereichert. Er betreibt die Narrheit, wie die Schule sich ausdrücken würde, mit einer gewissen Religion. Im Jahre 1810 erschien Arnim'ö Hauptwerk: „Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein," ein humoristi¬ scher Roman, in dem sich die Strahlen der Arnim'schen Poesie ungefähr eben so concentriren, als Jean Paul's Geist in seinem Titan, Hippel's in seinen Lcbensläuscn. Diese Schrift wird wohl neben der Jsabelle das ein¬ zige sein , die seinen Namen der Nachwelt zu charakterisiren bestimmt ist. Die Geschichte ist sehr einfach. Ein Minister, all großartige Eleganz gewöhnt, macht so viel Schulden, daß er, um seinen Gläubigern zu ent¬ gehen, sein Schloß im Stich läßt. Seine Familie bleibt in Armuth zurück; die Frau stirbt bald; die beiden Töchter Klelia und Dolores — finden endlich reiche Männer...... die eine einen sicilianischen Herzog, die andre einen deutschen Grafen. Der Herzog verführt später seine Schwägerin, diese, ur¬ sprünglich ein leichtsinniges Frauenzimmer, wird dnrch bedeutende Ereignisse zur Erkenntniß ihrer Schuld gebracht, thut Buße, erhält Absolution und stirbt endlich eines seligen Todes. Aber all diese einfache Geschichte knüpft sich ein großer Reichthum von Plastik und Historie, und dieser ist wohl als ein charakteristisches Bild jener eigenthümlichen Phase der Romantik einer nähern Analyse werth. Die Begebenheiten sind so lose aneinandergesädelt, wie nur immer mög-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/340>, abgerufen am 22.07.2024.