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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Und das ist der Maugel dieser Darstellung. Der Gedanke ist noch zu
subjectiv, er hat sich nicht in, das Faklische versenkt. Die ideelle Bewegung
des Geschehenden ist nicht in ihm selbst; mau sieht, daß zuerst über das
Geschehene reflectirt, nud dann an diese Reflexionen die Erzählung ange¬
knüpft ist. Ein vollendetes Kunstwerk -- und das soll doch jede wahre
Geschichte sein -- kann ans einer solchen Behandlung nicht hervorgehen.
Das zeigt sich auch im Einzelnen; fortwährend wird der Rhapsode von sei¬
ner Unruhe überwältigt, die Verse füge" sich nicht von selbst, unwillkürlich
an einander; es wird gewählt, reflectirt; und da ist die Wahl mehr oder
minder angemessen. Es herrscht kein rechtes Gleichgewicht zwischen den ein¬
zelnen Erzählungen; die Geschichte, z. B. der Jahre An--in;, setzt schon eine
vollständige Kenntniß der Thatsache" voraus, und reflectirt nnr darüber, da¬
gegen sind wieder einzelne Begebenheiten, in denen, ohne sichtlichen Zweck,
so umständlich referirt wird, als sollte eine Monographie gegeben werden.
In der Darstellung der geistigen Entwickelung bis zum Ende des > 8. Jahrhun¬
derts ist Vieles, was gar nicht zur Sache gehört, und was überdies ander¬
wärts auch schon eben so gut gesagt ist. Dagegen würde man über manches,
z. B. über die geistige Erholung Deutschlands zu Fichte's Zeit, gern eine
gründlichere, speziellere Belehrung wünschen.

Vergessen wir es aber nicht, daß wir es nicht mit einem eigentlichen
Geschichtswerk zu thun haben, sondern mit Vorlesungen, die für bestimmte
Zuhörer, für eine bestimmte Zeit berechnet waren. Deu Gedanken der Frei¬
heit, wie er sich in den chaotischen Bewegungen jener bedeutenden Zeit an¬
gekündigt und entfaltet hat, in einer geistvollen Skizze vor die Seele zu füh¬
ren, diese Aufgabe ist in hohem Grade erreicht.

Droysen beginnt mit dem Versprechen, Gottes Hand in den dunkeln
Jrrgängen der Geschichte nachzuweisen. Der Schluß des Werkes entspricht
diesem Vorsatz keineswegs. Nach so viel Opfern, so viel Thaten des Ge¬
nius dies neue, unsittliche Reich der alten bösen Mächte, die man überwun¬
den zu haben glaubte, in uoch viel unheimlicherer Gewalt, weil die Furcht
sich in die Macht eingeschlichen hat.

Wäre die Geschichte der Freiheitskriege in diesem Zeitabschnitt wirklich
vollendet, so wäre der Geist der Freiheit eine Lüge, der Glaube eine Illu¬
sion, die Geschichte selbst ein leeres Spiel, ein ironischer Kreislauf. Aber
daß es mit jenem Waffenstillstand nicht ein Ende hat, dafür sollen uns eben
jene Vorlesungen bürgen. Durch jene Heldenkämpfe hat der Geist der Frei¬
heit sich ein Bürgerrecht in den Herzen der Menschen erworben; der Kampf


Und das ist der Maugel dieser Darstellung. Der Gedanke ist noch zu
subjectiv, er hat sich nicht in, das Faklische versenkt. Die ideelle Bewegung
des Geschehenden ist nicht in ihm selbst; mau sieht, daß zuerst über das
Geschehene reflectirt, nud dann an diese Reflexionen die Erzählung ange¬
knüpft ist. Ein vollendetes Kunstwerk — und das soll doch jede wahre
Geschichte sein — kann ans einer solchen Behandlung nicht hervorgehen.
Das zeigt sich auch im Einzelnen; fortwährend wird der Rhapsode von sei¬
ner Unruhe überwältigt, die Verse füge» sich nicht von selbst, unwillkürlich
an einander; es wird gewählt, reflectirt; und da ist die Wahl mehr oder
minder angemessen. Es herrscht kein rechtes Gleichgewicht zwischen den ein¬
zelnen Erzählungen; die Geschichte, z. B. der Jahre An—in;, setzt schon eine
vollständige Kenntniß der Thatsache» voraus, und reflectirt nnr darüber, da¬
gegen sind wieder einzelne Begebenheiten, in denen, ohne sichtlichen Zweck,
so umständlich referirt wird, als sollte eine Monographie gegeben werden.
In der Darstellung der geistigen Entwickelung bis zum Ende des > 8. Jahrhun¬
derts ist Vieles, was gar nicht zur Sache gehört, und was überdies ander¬
wärts auch schon eben so gut gesagt ist. Dagegen würde man über manches,
z. B. über die geistige Erholung Deutschlands zu Fichte's Zeit, gern eine
gründlichere, speziellere Belehrung wünschen.

Vergessen wir es aber nicht, daß wir es nicht mit einem eigentlichen
Geschichtswerk zu thun haben, sondern mit Vorlesungen, die für bestimmte
Zuhörer, für eine bestimmte Zeit berechnet waren. Deu Gedanken der Frei¬
heit, wie er sich in den chaotischen Bewegungen jener bedeutenden Zeit an¬
gekündigt und entfaltet hat, in einer geistvollen Skizze vor die Seele zu füh¬
ren, diese Aufgabe ist in hohem Grade erreicht.

Droysen beginnt mit dem Versprechen, Gottes Hand in den dunkeln
Jrrgängen der Geschichte nachzuweisen. Der Schluß des Werkes entspricht
diesem Vorsatz keineswegs. Nach so viel Opfern, so viel Thaten des Ge¬
nius dies neue, unsittliche Reich der alten bösen Mächte, die man überwun¬
den zu haben glaubte, in uoch viel unheimlicherer Gewalt, weil die Furcht
sich in die Macht eingeschlichen hat.

Wäre die Geschichte der Freiheitskriege in diesem Zeitabschnitt wirklich
vollendet, so wäre der Geist der Freiheit eine Lüge, der Glaube eine Illu¬
sion, die Geschichte selbst ein leeres Spiel, ein ironischer Kreislauf. Aber
daß es mit jenem Waffenstillstand nicht ein Ende hat, dafür sollen uns eben
jene Vorlesungen bürgen. Durch jene Heldenkämpfe hat der Geist der Frei¬
heit sich ein Bürgerrecht in den Herzen der Menschen erworben; der Kampf


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[0305] Und das ist der Maugel dieser Darstellung. Der Gedanke ist noch zu subjectiv, er hat sich nicht in, das Faklische versenkt. Die ideelle Bewegung des Geschehenden ist nicht in ihm selbst; mau sieht, daß zuerst über das Geschehene reflectirt, nud dann an diese Reflexionen die Erzählung ange¬ knüpft ist. Ein vollendetes Kunstwerk — und das soll doch jede wahre Geschichte sein — kann ans einer solchen Behandlung nicht hervorgehen. Das zeigt sich auch im Einzelnen; fortwährend wird der Rhapsode von sei¬ ner Unruhe überwältigt, die Verse füge» sich nicht von selbst, unwillkürlich an einander; es wird gewählt, reflectirt; und da ist die Wahl mehr oder minder angemessen. Es herrscht kein rechtes Gleichgewicht zwischen den ein¬ zelnen Erzählungen; die Geschichte, z. B. der Jahre An—in;, setzt schon eine vollständige Kenntniß der Thatsache» voraus, und reflectirt nnr darüber, da¬ gegen sind wieder einzelne Begebenheiten, in denen, ohne sichtlichen Zweck, so umständlich referirt wird, als sollte eine Monographie gegeben werden. In der Darstellung der geistigen Entwickelung bis zum Ende des > 8. Jahrhun¬ derts ist Vieles, was gar nicht zur Sache gehört, und was überdies ander¬ wärts auch schon eben so gut gesagt ist. Dagegen würde man über manches, z. B. über die geistige Erholung Deutschlands zu Fichte's Zeit, gern eine gründlichere, speziellere Belehrung wünschen. Vergessen wir es aber nicht, daß wir es nicht mit einem eigentlichen Geschichtswerk zu thun haben, sondern mit Vorlesungen, die für bestimmte Zuhörer, für eine bestimmte Zeit berechnet waren. Deu Gedanken der Frei¬ heit, wie er sich in den chaotischen Bewegungen jener bedeutenden Zeit an¬ gekündigt und entfaltet hat, in einer geistvollen Skizze vor die Seele zu füh¬ ren, diese Aufgabe ist in hohem Grade erreicht. Droysen beginnt mit dem Versprechen, Gottes Hand in den dunkeln Jrrgängen der Geschichte nachzuweisen. Der Schluß des Werkes entspricht diesem Vorsatz keineswegs. Nach so viel Opfern, so viel Thaten des Ge¬ nius dies neue, unsittliche Reich der alten bösen Mächte, die man überwun¬ den zu haben glaubte, in uoch viel unheimlicherer Gewalt, weil die Furcht sich in die Macht eingeschlichen hat. Wäre die Geschichte der Freiheitskriege in diesem Zeitabschnitt wirklich vollendet, so wäre der Geist der Freiheit eine Lüge, der Glaube eine Illu¬ sion, die Geschichte selbst ein leeres Spiel, ein ironischer Kreislauf. Aber daß es mit jenem Waffenstillstand nicht ein Ende hat, dafür sollen uns eben jene Vorlesungen bürgen. Durch jene Heldenkämpfe hat der Geist der Frei¬ heit sich ein Bürgerrecht in den Herzen der Menschen erworben; der Kampf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/305>, abgerufen am 22.07.2024.