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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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ralischer Richtung entwickeln könne, die Anerkenntnis! des Menschen als einer
sittlichen Existenz. Sie und nnr sie ist das Maaß, an dein der Staat seine
Macht, der Bürger seine Pflicht, die Geschichte ihre Urtheile messe.




Was wir in dieser Skizze mitgetheilt haben, ist der ideelle Faden, an
welchen die Entwickelung des Faetischen sich anknüpft. Wir haben damit zu¬
gleich das Wesentliche gegeben, denn das ist die Eigenthümlichkeit dieses
Historikers, was er darstellt, in den Nahmen seiner Reflexionen zu verwe¬
ben. Bei der großen Fülle von Material, das seine Gelehrsamkeit ihm an
die Hand gibt, bei dem gesunden und für alles Concrete empfänglichen Ange
ist sein Herz doch immer in dem Drange der Idee, die vorwärts treibt.
Selbst in seiner Sprache, so sehr sie das Gegentheil ist von Allem, was
man abstract nennen kann, ist dieser Drang ausgedrückt; derselbe Ungestüm,
mit dem etwa Schiller ein Bild nach dem andern hascht, um für das Unend¬
liche in seiner Seele einen doch immer unvollkommenen Ausdruck zu gewinnen.
Von dieser objectiven Ruhe, von dieser antiken Plastik, wie sie bei den
Dichtern Goethe, bei den modernen Historikern L. Ranke besitzt, ist nicht die
Rede; nicht ein beruhigtes Gemüth, sondern der Pulsschlag der edlen Lei¬
denschaft lebt in der Anschauung. Die einzelnen Figuren, die uns vorge¬
führt werden, sind nicht abgerundete Gemälde, die sprechend aus der Lein¬
wand heraustreten, es ist immer das ideelle Motiv, dessen Licht ihnen eine,
nur für diesen bestimmten Zug berechnete Bedeutung gibt.

Der Grundgedanke, der diese Vorlesungen, wie alle Schriften Dros-
sen's - seine Geschichte Alexander's und des Hellenismus, seine Anmer¬
kungen zu Aristophanes und Aeschylus -- durchzieht, ist dieser: das Recht
ist nnr in der historischen Ent>vickelnng; es ist nur der Schatten eines wirk¬
lichen Lebens, der, als Abstraction gedacht, gegen die Bewegung gewendet,
unmittelbar überwunden ist, sobald man ihn in seinem Wesen begreift. Die
Leidenschaft gewaltiger Geister, die - - mit oder ohne Bewußtsein darüber -
von einer Idee erfüllt und fortgerissen sind, ist das wahre Recht der
Geschichte.

Man wird nicht leicht eine Schrift von Droysen ohne ein wohlthuendes
Gefühl aus der Hand legen. Es ist nicht gerade Klarheit, Beruhigung,
was man gewonnen hat; aber die Wärme des Darstellers durchdringt no
willkürlich anch den. Empfangenden. Es geht uns so, daß uns der blos
historische Stoff, so sparsam er auch gereicht wird, noch zu viel vorkommt,
denn er erscheint uns als die Erde, die an der Blüthe kleben bleibt.


ralischer Richtung entwickeln könne, die Anerkenntnis! des Menschen als einer
sittlichen Existenz. Sie und nnr sie ist das Maaß, an dein der Staat seine
Macht, der Bürger seine Pflicht, die Geschichte ihre Urtheile messe.




Was wir in dieser Skizze mitgetheilt haben, ist der ideelle Faden, an
welchen die Entwickelung des Faetischen sich anknüpft. Wir haben damit zu¬
gleich das Wesentliche gegeben, denn das ist die Eigenthümlichkeit dieses
Historikers, was er darstellt, in den Nahmen seiner Reflexionen zu verwe¬
ben. Bei der großen Fülle von Material, das seine Gelehrsamkeit ihm an
die Hand gibt, bei dem gesunden und für alles Concrete empfänglichen Ange
ist sein Herz doch immer in dem Drange der Idee, die vorwärts treibt.
Selbst in seiner Sprache, so sehr sie das Gegentheil ist von Allem, was
man abstract nennen kann, ist dieser Drang ausgedrückt; derselbe Ungestüm,
mit dem etwa Schiller ein Bild nach dem andern hascht, um für das Unend¬
liche in seiner Seele einen doch immer unvollkommenen Ausdruck zu gewinnen.
Von dieser objectiven Ruhe, von dieser antiken Plastik, wie sie bei den
Dichtern Goethe, bei den modernen Historikern L. Ranke besitzt, ist nicht die
Rede; nicht ein beruhigtes Gemüth, sondern der Pulsschlag der edlen Lei¬
denschaft lebt in der Anschauung. Die einzelnen Figuren, die uns vorge¬
führt werden, sind nicht abgerundete Gemälde, die sprechend aus der Lein¬
wand heraustreten, es ist immer das ideelle Motiv, dessen Licht ihnen eine,
nur für diesen bestimmten Zug berechnete Bedeutung gibt.

Der Grundgedanke, der diese Vorlesungen, wie alle Schriften Dros-
sen's - seine Geschichte Alexander's und des Hellenismus, seine Anmer¬
kungen zu Aristophanes und Aeschylus — durchzieht, ist dieser: das Recht
ist nnr in der historischen Ent>vickelnng; es ist nur der Schatten eines wirk¬
lichen Lebens, der, als Abstraction gedacht, gegen die Bewegung gewendet,
unmittelbar überwunden ist, sobald man ihn in seinem Wesen begreift. Die
Leidenschaft gewaltiger Geister, die - - mit oder ohne Bewußtsein darüber -
von einer Idee erfüllt und fortgerissen sind, ist das wahre Recht der
Geschichte.

Man wird nicht leicht eine Schrift von Droysen ohne ein wohlthuendes
Gefühl aus der Hand legen. Es ist nicht gerade Klarheit, Beruhigung,
was man gewonnen hat; aber die Wärme des Darstellers durchdringt no
willkürlich anch den. Empfangenden. Es geht uns so, daß uns der blos
historische Stoff, so sparsam er auch gereicht wird, noch zu viel vorkommt,
denn er erscheint uns als die Erde, die an der Blüthe kleben bleibt.


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[0304] ralischer Richtung entwickeln könne, die Anerkenntnis! des Menschen als einer sittlichen Existenz. Sie und nnr sie ist das Maaß, an dein der Staat seine Macht, der Bürger seine Pflicht, die Geschichte ihre Urtheile messe. Was wir in dieser Skizze mitgetheilt haben, ist der ideelle Faden, an welchen die Entwickelung des Faetischen sich anknüpft. Wir haben damit zu¬ gleich das Wesentliche gegeben, denn das ist die Eigenthümlichkeit dieses Historikers, was er darstellt, in den Nahmen seiner Reflexionen zu verwe¬ ben. Bei der großen Fülle von Material, das seine Gelehrsamkeit ihm an die Hand gibt, bei dem gesunden und für alles Concrete empfänglichen Ange ist sein Herz doch immer in dem Drange der Idee, die vorwärts treibt. Selbst in seiner Sprache, so sehr sie das Gegentheil ist von Allem, was man abstract nennen kann, ist dieser Drang ausgedrückt; derselbe Ungestüm, mit dem etwa Schiller ein Bild nach dem andern hascht, um für das Unend¬ liche in seiner Seele einen doch immer unvollkommenen Ausdruck zu gewinnen. Von dieser objectiven Ruhe, von dieser antiken Plastik, wie sie bei den Dichtern Goethe, bei den modernen Historikern L. Ranke besitzt, ist nicht die Rede; nicht ein beruhigtes Gemüth, sondern der Pulsschlag der edlen Lei¬ denschaft lebt in der Anschauung. Die einzelnen Figuren, die uns vorge¬ führt werden, sind nicht abgerundete Gemälde, die sprechend aus der Lein¬ wand heraustreten, es ist immer das ideelle Motiv, dessen Licht ihnen eine, nur für diesen bestimmten Zug berechnete Bedeutung gibt. Der Grundgedanke, der diese Vorlesungen, wie alle Schriften Dros- sen's - seine Geschichte Alexander's und des Hellenismus, seine Anmer¬ kungen zu Aristophanes und Aeschylus — durchzieht, ist dieser: das Recht ist nnr in der historischen Ent>vickelnng; es ist nur der Schatten eines wirk¬ lichen Lebens, der, als Abstraction gedacht, gegen die Bewegung gewendet, unmittelbar überwunden ist, sobald man ihn in seinem Wesen begreift. Die Leidenschaft gewaltiger Geister, die - - mit oder ohne Bewußtsein darüber - von einer Idee erfüllt und fortgerissen sind, ist das wahre Recht der Geschichte. Man wird nicht leicht eine Schrift von Droysen ohne ein wohlthuendes Gefühl aus der Hand legen. Es ist nicht gerade Klarheit, Beruhigung, was man gewonnen hat; aber die Wärme des Darstellers durchdringt no willkürlich anch den. Empfangenden. Es geht uns so, daß uns der blos historische Stoff, so sparsam er auch gereicht wird, noch zu viel vorkommt, denn er erscheint uns als die Erde, die an der Blüthe kleben bleibt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/304>, abgerufen am 22.07.2024.