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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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die Westwelt die ganze Bedeutung dieser russischen Macht geltend zu machen,
deren Grundlage und Form und Richtung seinen eignen Idealen völlig ent¬
sprach. Es gab kein natürlicheres Bündniß als das Napoleon's mit Ale¬
xander; es war ein tiefes Verständniß, das sie zusammenführte, in dem Haß
gegen England; denn was auch das britische Volk Eigennutz und Aristo-
kratismus hat, es hat das Selbstgefühl der Freiheit und den Glauben an
sie; und Freiheitsgedanken, die revolutionärsten, strömten von dort aus auf
den Continent; wahrlich, nicht blos gegen Waaren war die Kontinentalsperre
für dies monarchische Prinzip nothwendig. -- lind da schlägt plötzlich Ru߬
land um; es droht ein Bruderkrieg der Autokratie; mit immer neuen Freuud-
schaftsversicherungen treiben sich beide Kaiser weiter und weiter. -- Der
Kampf führt die seltsamsten Verkehrungen herbei. Ein russischer Autokrat
erregt seine Völker zum Freiheitskriege, ruft sie auf zu allem Greuel, aller
Wildheit, allem Fanatismus. Rußland ist zum Zufluchtsort der Männer
der Freiheit geworden. -- Es ist jetzt die Sache der Völker, um die es sich
handelt. Künftig werden die Könige den Schein annehmen, durch die Völker
fortgerissen zu sein. Werden sie Herren dieser Maschine bleiben, die sie dem
Arsenal der Revolution entliehen haben? Dies ist eine Waffe, welche die
Republik Napoleon gegen die Könige vermacht hatte; Napoleon, so fähig er
war sie zu führen, wollte sich ihrer nicht bedienen ans Furcht, alle Throne
einzustürzen, lind die Könige sind jetzt verwegen genug, diese Maschine in
Bewegung zu setzen. Napoleon sieht dies mit Erstaunen und Unruhe; er
kann nicht begreifen, wie die Furcht, die sie vor seiner Macht hegen, sie
bis zu diesem Grade verblenden kann. -- Die Völkerschlachten sind geschla¬
gen; die Diplomatie bemächtigt sich des Schlachtfeldes. Jenes kühne Po¬
stulat des monarchischen Rationalismus, I'cent c'est moi, nun ist es da als
ein vollendetes, unumstößliches Resultat. Die Legitimität ist zu dem Punkte
gelangt, wo man dem Augenblick zuruft: wie schon bist du! und dem
Wechsel irdischer Dinge : halt inne! So geht sie daran, einen dauernden
Frieden zu gründen. Was nun ist, wie auch immer es geworden und ge¬
wonnen ist, hinfort soll es als ein wahres und ächtes Recht gelten, als ein
heiliges Recht über allem Wandel sein, und das kraft der Lehre der christ¬
lichen Religion. Der Monarchismus wird conservativ. --

Aber seine Zeit ist vorüber. Zu welchem Aberwitz auch die Lehre von
den Menschenrechten geführt hat, sie enthält Wahrheiten, die, einmal er¬
kannt, nicht eher Ruhe haben als bis sie zur Wirklichkeit geworden sind.
Die Summe aber ihres Inhalts ist, daß Jeglicher seine Kräfte frei in mo-


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die Westwelt die ganze Bedeutung dieser russischen Macht geltend zu machen,
deren Grundlage und Form und Richtung seinen eignen Idealen völlig ent¬
sprach. Es gab kein natürlicheres Bündniß als das Napoleon's mit Ale¬
xander; es war ein tiefes Verständniß, das sie zusammenführte, in dem Haß
gegen England; denn was auch das britische Volk Eigennutz und Aristo-
kratismus hat, es hat das Selbstgefühl der Freiheit und den Glauben an
sie; und Freiheitsgedanken, die revolutionärsten, strömten von dort aus auf
den Continent; wahrlich, nicht blos gegen Waaren war die Kontinentalsperre
für dies monarchische Prinzip nothwendig. — lind da schlägt plötzlich Ru߬
land um; es droht ein Bruderkrieg der Autokratie; mit immer neuen Freuud-
schaftsversicherungen treiben sich beide Kaiser weiter und weiter. — Der
Kampf führt die seltsamsten Verkehrungen herbei. Ein russischer Autokrat
erregt seine Völker zum Freiheitskriege, ruft sie auf zu allem Greuel, aller
Wildheit, allem Fanatismus. Rußland ist zum Zufluchtsort der Männer
der Freiheit geworden. — Es ist jetzt die Sache der Völker, um die es sich
handelt. Künftig werden die Könige den Schein annehmen, durch die Völker
fortgerissen zu sein. Werden sie Herren dieser Maschine bleiben, die sie dem
Arsenal der Revolution entliehen haben? Dies ist eine Waffe, welche die
Republik Napoleon gegen die Könige vermacht hatte; Napoleon, so fähig er
war sie zu führen, wollte sich ihrer nicht bedienen ans Furcht, alle Throne
einzustürzen, lind die Könige sind jetzt verwegen genug, diese Maschine in
Bewegung zu setzen. Napoleon sieht dies mit Erstaunen und Unruhe; er
kann nicht begreifen, wie die Furcht, die sie vor seiner Macht hegen, sie
bis zu diesem Grade verblenden kann. — Die Völkerschlachten sind geschla¬
gen; die Diplomatie bemächtigt sich des Schlachtfeldes. Jenes kühne Po¬
stulat des monarchischen Rationalismus, I'cent c'est moi, nun ist es da als
ein vollendetes, unumstößliches Resultat. Die Legitimität ist zu dem Punkte
gelangt, wo man dem Augenblick zuruft: wie schon bist du! und dem
Wechsel irdischer Dinge : halt inne! So geht sie daran, einen dauernden
Frieden zu gründen. Was nun ist, wie auch immer es geworden und ge¬
wonnen ist, hinfort soll es als ein wahres und ächtes Recht gelten, als ein
heiliges Recht über allem Wandel sein, und das kraft der Lehre der christ¬
lichen Religion. Der Monarchismus wird conservativ. —

Aber seine Zeit ist vorüber. Zu welchem Aberwitz auch die Lehre von
den Menschenrechten geführt hat, sie enthält Wahrheiten, die, einmal er¬
kannt, nicht eher Ruhe haben als bis sie zur Wirklichkeit geworden sind.
Die Summe aber ihres Inhalts ist, daß Jeglicher seine Kräfte frei in mo-


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[0303] die Westwelt die ganze Bedeutung dieser russischen Macht geltend zu machen, deren Grundlage und Form und Richtung seinen eignen Idealen völlig ent¬ sprach. Es gab kein natürlicheres Bündniß als das Napoleon's mit Ale¬ xander; es war ein tiefes Verständniß, das sie zusammenführte, in dem Haß gegen England; denn was auch das britische Volk Eigennutz und Aristo- kratismus hat, es hat das Selbstgefühl der Freiheit und den Glauben an sie; und Freiheitsgedanken, die revolutionärsten, strömten von dort aus auf den Continent; wahrlich, nicht blos gegen Waaren war die Kontinentalsperre für dies monarchische Prinzip nothwendig. — lind da schlägt plötzlich Ru߬ land um; es droht ein Bruderkrieg der Autokratie; mit immer neuen Freuud- schaftsversicherungen treiben sich beide Kaiser weiter und weiter. — Der Kampf führt die seltsamsten Verkehrungen herbei. Ein russischer Autokrat erregt seine Völker zum Freiheitskriege, ruft sie auf zu allem Greuel, aller Wildheit, allem Fanatismus. Rußland ist zum Zufluchtsort der Männer der Freiheit geworden. — Es ist jetzt die Sache der Völker, um die es sich handelt. Künftig werden die Könige den Schein annehmen, durch die Völker fortgerissen zu sein. Werden sie Herren dieser Maschine bleiben, die sie dem Arsenal der Revolution entliehen haben? Dies ist eine Waffe, welche die Republik Napoleon gegen die Könige vermacht hatte; Napoleon, so fähig er war sie zu führen, wollte sich ihrer nicht bedienen ans Furcht, alle Throne einzustürzen, lind die Könige sind jetzt verwegen genug, diese Maschine in Bewegung zu setzen. Napoleon sieht dies mit Erstaunen und Unruhe; er kann nicht begreifen, wie die Furcht, die sie vor seiner Macht hegen, sie bis zu diesem Grade verblenden kann. — Die Völkerschlachten sind geschla¬ gen; die Diplomatie bemächtigt sich des Schlachtfeldes. Jenes kühne Po¬ stulat des monarchischen Rationalismus, I'cent c'est moi, nun ist es da als ein vollendetes, unumstößliches Resultat. Die Legitimität ist zu dem Punkte gelangt, wo man dem Augenblick zuruft: wie schon bist du! und dem Wechsel irdischer Dinge : halt inne! So geht sie daran, einen dauernden Frieden zu gründen. Was nun ist, wie auch immer es geworden und ge¬ wonnen ist, hinfort soll es als ein wahres und ächtes Recht gelten, als ein heiliges Recht über allem Wandel sein, und das kraft der Lehre der christ¬ lichen Religion. Der Monarchismus wird conservativ. — Aber seine Zeit ist vorüber. Zu welchem Aberwitz auch die Lehre von den Menschenrechten geführt hat, sie enthält Wahrheiten, die, einmal er¬ kannt, nicht eher Ruhe haben als bis sie zur Wirklichkeit geworden sind. Die Summe aber ihres Inhalts ist, daß Jeglicher seine Kräfte frei in mo- 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/303>, abgerufen am 22.07.2024.