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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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gen. Mit Stein begann jene großartige Umwandlung aller innern Staats¬
verhältnisse, die man als den ersten Versuch bezeichnen darf, die bürgerliche
Freiheit, wie sie Altengland gerettet, mit der staatlichen Energie, die die
Revolution geschaffen, zu verbinden, oder richtiger die Machtvollkommenheit
des Thrones sich ergänzen zu lassen durch die Staatsbürgerlichkeit des Vol¬
kes. Freilich sah man, wie die neuen Anordnungen, weit entfernt, feste
und durchgreifende Formen zu sein, sich wandelten und wieder wandelten,
gleich als gelte es vorerst nur den Kern und die Masse zusammenzuhalten
und durch immer neue furchtbare Gefahren hindurch zu retten. Aber der
Geist, aus dem sie geboren wurden, war der wahre historische, der allein
legitime, der rechte Volksgeist; in dem Maße, als das Neue für ihn den
rechten Ausdruck traf, ihn zur Grundlage, zur Lebensbedingung des Staates
machte, hatte die neue Verfassung Gewalt über die Gemüther und Zuversicht
zum entscheidenden Handeln. -- In dein Kriege Oesterreichs 1809 wurden
zum ersten Male in Deutschland die Voller aufgerufen; er scheiterte; der
Staat der Revolution wurde durch eine Allianz mit dem alten Kaiserthume
legitimirt. Aber die innere Fäulniß des Staates ließ sich nicht aushalten.
Man denke an die Censur, die Napoleon üben ließ, an das Lügensystem
von Lob und Schmeichelei, das die Stelle der öffentlichen Meinung vertrat,
an die geheime Polizei, die überall lauerte und lauschte. Dazu diese immer
neuen Dotationen, die allen Ehrgeiz und alle Hoffnungen in Athem hielten;
dazu dies Unterrichtswesen, systematisch darauf gewandt, scholl die Kinder
zu Ehrgeiz, Eitelkeit und Virtuositäten abzurichten, die intellectuellen Kräfte
von dem Historischen und Idealen hinweg auf das Materielle zu lenken.
Und zu Allem endlich dies Contincntalsyflem, an sich schon ein Giftqnell
von Gaunerei und Demoralisation. Wie die Fürsten, so die Völker scheint
Napoleon systematisch zu erniedrigen, zu entsittlichen, um sie desto sicherer
regieren zu können. -- Es kam zur Krisis. - Bis jetzt war Napoleon mit
dem russischen Kaiser im schönsten Einverständnis^ gewesen. Alexander hatte
stets das Bedürfniß der Freundschaft und Anlehnung, das Bedürfniß, zu
bewundern und bewundert zu werden, einen gewissen Epicurismus hoher
Pläne, großer Phantasien, überschwenglicher Erregungen. Nicht ganz un¬
recht hat ihn Jemand einen gefühlvollen Despoten genannt. Weder dem
Blute, noch der Bildung nach Russe, Allem, was Sitte und Kunst, Ge¬
selligkeit und Aufklärung dem gebildeten Wesen Gutes und Schönes ge¬
währte, zugewandt, ward er nicht blos durch die Gewalt der heimischen
Verhältnisse, sondern eben so sehr durch den eigenen Ehrgeiz getrieben, über


gen. Mit Stein begann jene großartige Umwandlung aller innern Staats¬
verhältnisse, die man als den ersten Versuch bezeichnen darf, die bürgerliche
Freiheit, wie sie Altengland gerettet, mit der staatlichen Energie, die die
Revolution geschaffen, zu verbinden, oder richtiger die Machtvollkommenheit
des Thrones sich ergänzen zu lassen durch die Staatsbürgerlichkeit des Vol¬
kes. Freilich sah man, wie die neuen Anordnungen, weit entfernt, feste
und durchgreifende Formen zu sein, sich wandelten und wieder wandelten,
gleich als gelte es vorerst nur den Kern und die Masse zusammenzuhalten
und durch immer neue furchtbare Gefahren hindurch zu retten. Aber der
Geist, aus dem sie geboren wurden, war der wahre historische, der allein
legitime, der rechte Volksgeist; in dem Maße, als das Neue für ihn den
rechten Ausdruck traf, ihn zur Grundlage, zur Lebensbedingung des Staates
machte, hatte die neue Verfassung Gewalt über die Gemüther und Zuversicht
zum entscheidenden Handeln. — In dein Kriege Oesterreichs 1809 wurden
zum ersten Male in Deutschland die Voller aufgerufen; er scheiterte; der
Staat der Revolution wurde durch eine Allianz mit dem alten Kaiserthume
legitimirt. Aber die innere Fäulniß des Staates ließ sich nicht aushalten.
Man denke an die Censur, die Napoleon üben ließ, an das Lügensystem
von Lob und Schmeichelei, das die Stelle der öffentlichen Meinung vertrat,
an die geheime Polizei, die überall lauerte und lauschte. Dazu diese immer
neuen Dotationen, die allen Ehrgeiz und alle Hoffnungen in Athem hielten;
dazu dies Unterrichtswesen, systematisch darauf gewandt, scholl die Kinder
zu Ehrgeiz, Eitelkeit und Virtuositäten abzurichten, die intellectuellen Kräfte
von dem Historischen und Idealen hinweg auf das Materielle zu lenken.
Und zu Allem endlich dies Contincntalsyflem, an sich schon ein Giftqnell
von Gaunerei und Demoralisation. Wie die Fürsten, so die Völker scheint
Napoleon systematisch zu erniedrigen, zu entsittlichen, um sie desto sicherer
regieren zu können. — Es kam zur Krisis. - Bis jetzt war Napoleon mit
dem russischen Kaiser im schönsten Einverständnis^ gewesen. Alexander hatte
stets das Bedürfniß der Freundschaft und Anlehnung, das Bedürfniß, zu
bewundern und bewundert zu werden, einen gewissen Epicurismus hoher
Pläne, großer Phantasien, überschwenglicher Erregungen. Nicht ganz un¬
recht hat ihn Jemand einen gefühlvollen Despoten genannt. Weder dem
Blute, noch der Bildung nach Russe, Allem, was Sitte und Kunst, Ge¬
selligkeit und Aufklärung dem gebildeten Wesen Gutes und Schönes ge¬
währte, zugewandt, ward er nicht blos durch die Gewalt der heimischen
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[0302] gen. Mit Stein begann jene großartige Umwandlung aller innern Staats¬ verhältnisse, die man als den ersten Versuch bezeichnen darf, die bürgerliche Freiheit, wie sie Altengland gerettet, mit der staatlichen Energie, die die Revolution geschaffen, zu verbinden, oder richtiger die Machtvollkommenheit des Thrones sich ergänzen zu lassen durch die Staatsbürgerlichkeit des Vol¬ kes. Freilich sah man, wie die neuen Anordnungen, weit entfernt, feste und durchgreifende Formen zu sein, sich wandelten und wieder wandelten, gleich als gelte es vorerst nur den Kern und die Masse zusammenzuhalten und durch immer neue furchtbare Gefahren hindurch zu retten. Aber der Geist, aus dem sie geboren wurden, war der wahre historische, der allein legitime, der rechte Volksgeist; in dem Maße, als das Neue für ihn den rechten Ausdruck traf, ihn zur Grundlage, zur Lebensbedingung des Staates machte, hatte die neue Verfassung Gewalt über die Gemüther und Zuversicht zum entscheidenden Handeln. — In dein Kriege Oesterreichs 1809 wurden zum ersten Male in Deutschland die Voller aufgerufen; er scheiterte; der Staat der Revolution wurde durch eine Allianz mit dem alten Kaiserthume legitimirt. Aber die innere Fäulniß des Staates ließ sich nicht aushalten. Man denke an die Censur, die Napoleon üben ließ, an das Lügensystem von Lob und Schmeichelei, das die Stelle der öffentlichen Meinung vertrat, an die geheime Polizei, die überall lauerte und lauschte. Dazu diese immer neuen Dotationen, die allen Ehrgeiz und alle Hoffnungen in Athem hielten; dazu dies Unterrichtswesen, systematisch darauf gewandt, scholl die Kinder zu Ehrgeiz, Eitelkeit und Virtuositäten abzurichten, die intellectuellen Kräfte von dem Historischen und Idealen hinweg auf das Materielle zu lenken. Und zu Allem endlich dies Contincntalsyflem, an sich schon ein Giftqnell von Gaunerei und Demoralisation. Wie die Fürsten, so die Völker scheint Napoleon systematisch zu erniedrigen, zu entsittlichen, um sie desto sicherer regieren zu können. — Es kam zur Krisis. - Bis jetzt war Napoleon mit dem russischen Kaiser im schönsten Einverständnis^ gewesen. Alexander hatte stets das Bedürfniß der Freundschaft und Anlehnung, das Bedürfniß, zu bewundern und bewundert zu werden, einen gewissen Epicurismus hoher Pläne, großer Phantasien, überschwenglicher Erregungen. Nicht ganz un¬ recht hat ihn Jemand einen gefühlvollen Despoten genannt. Weder dem Blute, noch der Bildung nach Russe, Allem, was Sitte und Kunst, Ge¬ selligkeit und Aufklärung dem gebildeten Wesen Gutes und Schönes ge¬ währte, zugewandt, ward er nicht blos durch die Gewalt der heimischen Verhältnisse, sondern eben so sehr durch den eigenen Ehrgeiz getrieben, über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/302>, abgerufen am 22.07.2024.