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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Schwärmerei für Menschenglück war an der Tagesordnung, und man hegte
den guten Glauben, auch ohne ihren Willen die Menschen zu ihrem Glücke
führen zu können.

Ward somit die Füllung des Staats mehr und mehr eine selbstlose
Masse von Unterthanen, um welche her das Militär- und Beamtenthum eine
starre, charakterlos gleichförmige Hülle bildete, so konnte eine weitere Ent¬
wickelung nur daher kommen, daß sich in jener Füllung selbst neue Kräfte,
neue Nothwendigkeiten erzeugten. Es waren zunächst die materiellen
Interessen, die mit dem absoluten Staat in Conflict geriethen. Die Mo¬
narchie trat überall hemmend, belastend der Bewegung eines freithätigen
Wohlstandes entgegen, bis endlich die mächtige Entwickelung der freien Han-
delsstaaten die Monarchie!: veranlaßte, auch diese Thätigkeit in ihren Kreis
zu ziehn. In Cvlbert's Staatsverwaltung unternahm es zum ersten Male
die Monarchie, die Gesammtheit von Kräften, Mitteln und Gelegenheiten,
die sich in ihrem Bereich befanden, mit Einem großen Plau zu umfassen und
nach dem Einen Ziel, der Mehrung der öffentlichen Mittel, hinzuleiten.
Zum ersten Mal wurden systematisch alle jene Verhältnisse, die dafür gelten
durften, privatester Art zu sei", von der bestimmenden Gewalt des Staats¬
ganzen nud seines Interesses ergriffen. Die wachsende Macht des monarchi¬
schen Prinzips steigerte das Mercantilsystem endlich bis zur Unterdrückung
aller freien Güterbewegung; dieser Politik mußte sich die Natur der Dinge
entgegensetzen, und man mußte endlich ein Mittel suchen, die lebenden Capi¬
tale von Arbeitskräften nutzbar zu machen. Daraus ging das Credit- und
Banksystem hervor; das kühnste und abenteuerlichste Project dieser Art ent¬
warf Law unter der Regentschaft. Die Capitalien entwickelten eine nie
geahnte Fähigkeit, rasch Vermögen zu erzeugen; der Credit entwickelte seine
ausschweifendste" Kräfte. Das System irrte darin, daß es die Wirkung für
die Ursache nahm, daß es dem Credit Ergebnisse zuschrieb, von denen aber
Credit selbst nur die Folge ist; von fictiven Capitalien konnten keine reellen
Interessen gezogen werden, und die Größe des Creditcapitals war ohne al¬
les Verhältniß mit der gegenwärtigen Productionskraft des Landes, dem
Tauschwert!) seiner Erzeugnisse und der Möglichkeit ihrer Verwerthung. Das
System mußte stürzen; als es geschah, schien Nichts zu bleiben als Verzweif¬
lung. Man sah im Rausch eine ungeheure Revolution in allen Vermögens¬
verhältnissen vollbracht, und so ungeheuer die Verluste, an Hab und Gut ge¬
wesen waren, sie kamen nicht in Betracht gegen die Verluste an sittlicher
Haltung, gegen den moralischen Banquerott.

Die unzähligen Eigenthumswechsel, welche unter dem Einfluß des Sy-


Schwärmerei für Menschenglück war an der Tagesordnung, und man hegte
den guten Glauben, auch ohne ihren Willen die Menschen zu ihrem Glücke
führen zu können.

Ward somit die Füllung des Staats mehr und mehr eine selbstlose
Masse von Unterthanen, um welche her das Militär- und Beamtenthum eine
starre, charakterlos gleichförmige Hülle bildete, so konnte eine weitere Ent¬
wickelung nur daher kommen, daß sich in jener Füllung selbst neue Kräfte,
neue Nothwendigkeiten erzeugten. Es waren zunächst die materiellen
Interessen, die mit dem absoluten Staat in Conflict geriethen. Die Mo¬
narchie trat überall hemmend, belastend der Bewegung eines freithätigen
Wohlstandes entgegen, bis endlich die mächtige Entwickelung der freien Han-
delsstaaten die Monarchie!: veranlaßte, auch diese Thätigkeit in ihren Kreis
zu ziehn. In Cvlbert's Staatsverwaltung unternahm es zum ersten Male
die Monarchie, die Gesammtheit von Kräften, Mitteln und Gelegenheiten,
die sich in ihrem Bereich befanden, mit Einem großen Plau zu umfassen und
nach dem Einen Ziel, der Mehrung der öffentlichen Mittel, hinzuleiten.
Zum ersten Mal wurden systematisch alle jene Verhältnisse, die dafür gelten
durften, privatester Art zu sei», von der bestimmenden Gewalt des Staats¬
ganzen nud seines Interesses ergriffen. Die wachsende Macht des monarchi¬
schen Prinzips steigerte das Mercantilsystem endlich bis zur Unterdrückung
aller freien Güterbewegung; dieser Politik mußte sich die Natur der Dinge
entgegensetzen, und man mußte endlich ein Mittel suchen, die lebenden Capi¬
tale von Arbeitskräften nutzbar zu machen. Daraus ging das Credit- und
Banksystem hervor; das kühnste und abenteuerlichste Project dieser Art ent¬
warf Law unter der Regentschaft. Die Capitalien entwickelten eine nie
geahnte Fähigkeit, rasch Vermögen zu erzeugen; der Credit entwickelte seine
ausschweifendste» Kräfte. Das System irrte darin, daß es die Wirkung für
die Ursache nahm, daß es dem Credit Ergebnisse zuschrieb, von denen aber
Credit selbst nur die Folge ist; von fictiven Capitalien konnten keine reellen
Interessen gezogen werden, und die Größe des Creditcapitals war ohne al¬
les Verhältniß mit der gegenwärtigen Productionskraft des Landes, dem
Tauschwert!) seiner Erzeugnisse und der Möglichkeit ihrer Verwerthung. Das
System mußte stürzen; als es geschah, schien Nichts zu bleiben als Verzweif¬
lung. Man sah im Rausch eine ungeheure Revolution in allen Vermögens¬
verhältnissen vollbracht, und so ungeheuer die Verluste, an Hab und Gut ge¬
wesen waren, sie kamen nicht in Betracht gegen die Verluste an sittlicher
Haltung, gegen den moralischen Banquerott.

Die unzähligen Eigenthumswechsel, welche unter dem Einfluß des Sy-


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[0291] Schwärmerei für Menschenglück war an der Tagesordnung, und man hegte den guten Glauben, auch ohne ihren Willen die Menschen zu ihrem Glücke führen zu können. Ward somit die Füllung des Staats mehr und mehr eine selbstlose Masse von Unterthanen, um welche her das Militär- und Beamtenthum eine starre, charakterlos gleichförmige Hülle bildete, so konnte eine weitere Ent¬ wickelung nur daher kommen, daß sich in jener Füllung selbst neue Kräfte, neue Nothwendigkeiten erzeugten. Es waren zunächst die materiellen Interessen, die mit dem absoluten Staat in Conflict geriethen. Die Mo¬ narchie trat überall hemmend, belastend der Bewegung eines freithätigen Wohlstandes entgegen, bis endlich die mächtige Entwickelung der freien Han- delsstaaten die Monarchie!: veranlaßte, auch diese Thätigkeit in ihren Kreis zu ziehn. In Cvlbert's Staatsverwaltung unternahm es zum ersten Male die Monarchie, die Gesammtheit von Kräften, Mitteln und Gelegenheiten, die sich in ihrem Bereich befanden, mit Einem großen Plau zu umfassen und nach dem Einen Ziel, der Mehrung der öffentlichen Mittel, hinzuleiten. Zum ersten Mal wurden systematisch alle jene Verhältnisse, die dafür gelten durften, privatester Art zu sei», von der bestimmenden Gewalt des Staats¬ ganzen nud seines Interesses ergriffen. Die wachsende Macht des monarchi¬ schen Prinzips steigerte das Mercantilsystem endlich bis zur Unterdrückung aller freien Güterbewegung; dieser Politik mußte sich die Natur der Dinge entgegensetzen, und man mußte endlich ein Mittel suchen, die lebenden Capi¬ tale von Arbeitskräften nutzbar zu machen. Daraus ging das Credit- und Banksystem hervor; das kühnste und abenteuerlichste Project dieser Art ent¬ warf Law unter der Regentschaft. Die Capitalien entwickelten eine nie geahnte Fähigkeit, rasch Vermögen zu erzeugen; der Credit entwickelte seine ausschweifendste» Kräfte. Das System irrte darin, daß es die Wirkung für die Ursache nahm, daß es dem Credit Ergebnisse zuschrieb, von denen aber Credit selbst nur die Folge ist; von fictiven Capitalien konnten keine reellen Interessen gezogen werden, und die Größe des Creditcapitals war ohne al¬ les Verhältniß mit der gegenwärtigen Productionskraft des Landes, dem Tauschwert!) seiner Erzeugnisse und der Möglichkeit ihrer Verwerthung. Das System mußte stürzen; als es geschah, schien Nichts zu bleiben als Verzweif¬ lung. Man sah im Rausch eine ungeheure Revolution in allen Vermögens¬ verhältnissen vollbracht, und so ungeheuer die Verluste, an Hab und Gut ge¬ wesen waren, sie kamen nicht in Betracht gegen die Verluste an sittlicher Haltung, gegen den moralischen Banquerott. Die unzähligen Eigenthumswechsel, welche unter dem Einfluß des Sy-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/291>, abgerufen am 22.07.2024.