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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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die historischen Rechte zu durchdringen und umzugestalten. Während in
Frankreich die Staatsidee über die Mannigfaltigkeit der hergebrachten Rechte
und Verhältnisse in dem Königthum eine abstracte Einheit erstrebt, ist es in
England die Mannigfaltigkeit der alten feudalen Gliederung selbst, welche
sich zu eiuer nationalen Einigung umbildet, und das Institut, das diese dar¬
stellt, macht sich geltend als Staat. Der Staat ist noch weit entfernt, als
etwas der Natur des Menschen Wesentliches anerkannt zu werden; er ist
noch das Vorrecht Einzelner, uoch uicht zu seiner allgemeinen, zu seiner sitt¬
lichen Bedeutung hindurchgedrungen.

Tiefer ist schon die Idee im Staate Friedrich des Großen. "Der Sou-
verain ist nichts anderes, als der erste Diener des Staats, verpflichtet mit
Rechtschaffenheit, mit Weisheit und mit einer vollkommenen Uueigeimi'chigkcit zu
handeln, wie wenn er in jedem Augenblick seinen Mitbürgern über seiue Ver¬
waltung Rechenschaft ablegen müßte." In den Ueberzeugungen der Menschen
ist eine große Wandelung begonnen; nicht mehr, daß er ist, rechtfertigt den
Staat, nicht mehr, daß er gilt, den Glauben, daß sie so überliefert sind, die
Rechte und Gesetze; gegen das Positive, gegen das nur Factische, gegen die
Autorität erhebt sich die immer dreistere Forderung der Verminst; sie fordert
Gründe, die in der Natur der Sache, Zwecke, die in dem Wesen des Men¬
schen liegen. Die Monarchie entwickelt die Anstalten, mit denen sie die Ge¬
sammtheit der Verhältnisse zu umfassen und zu regeln vermag; zum ersten
Mal erscheint der Staat als eine Alles durchdringende, Alles umschließende,
Alles verautwvrteude Gewalt. Er ist nicht mehr Privatsache des Fürsten,
nicht ein Fernes nud Gleichgültiges für die ihm Uebergebenen, sondern Je¬
der ist unmittelbar bei seinem Bestehen betheiligt. Aber man ist auch frei¬
lich nur auf dem Wege zum Stantsbürgerthum. Es tritt ein Beamten-
wesen in den Vordergrund, das in völligster Abhängigkeit von dem Staats¬
oberhaupt alle öffentlichem Beziehungen umfaßt, bevormundend, anordnend
bis in die kleinsten Verhältnisse hinab die entscheidende Theilnahme des Staa¬
tes geltend macht. Und dieser Staat hat in Allem nnr die Staatsraison im
Ange; alle andern Verhältnisse werden nnr nach ihr bestimmt. In diesem
Staat kann Jeder nach seiner Fa?on selig werden; sein Landrecht enthält
die Summe seiner sittlichen Anforderungen; ihm ist die Ehe da zur Erhal¬
tung der Population. Das stehende Heer ist der Gesammtausdruck seiner
Macht, der Träger seiner Ehre, ohne organisch mit dem Volk verwachsen zu
sein. Dieser militärisch administrative Staat ist also nur ein mechanisches
Kunstwerk. Und so war es auch mit den Staatsverändernngen, die nach dem
Muster Friedrich des Großen unternommen wurden. Eine gewisse sanfte


die historischen Rechte zu durchdringen und umzugestalten. Während in
Frankreich die Staatsidee über die Mannigfaltigkeit der hergebrachten Rechte
und Verhältnisse in dem Königthum eine abstracte Einheit erstrebt, ist es in
England die Mannigfaltigkeit der alten feudalen Gliederung selbst, welche
sich zu eiuer nationalen Einigung umbildet, und das Institut, das diese dar¬
stellt, macht sich geltend als Staat. Der Staat ist noch weit entfernt, als
etwas der Natur des Menschen Wesentliches anerkannt zu werden; er ist
noch das Vorrecht Einzelner, uoch uicht zu seiner allgemeinen, zu seiner sitt¬
lichen Bedeutung hindurchgedrungen.

Tiefer ist schon die Idee im Staate Friedrich des Großen. „Der Sou-
verain ist nichts anderes, als der erste Diener des Staats, verpflichtet mit
Rechtschaffenheit, mit Weisheit und mit einer vollkommenen Uueigeimi'chigkcit zu
handeln, wie wenn er in jedem Augenblick seinen Mitbürgern über seiue Ver¬
waltung Rechenschaft ablegen müßte." In den Ueberzeugungen der Menschen
ist eine große Wandelung begonnen; nicht mehr, daß er ist, rechtfertigt den
Staat, nicht mehr, daß er gilt, den Glauben, daß sie so überliefert sind, die
Rechte und Gesetze; gegen das Positive, gegen das nur Factische, gegen die
Autorität erhebt sich die immer dreistere Forderung der Verminst; sie fordert
Gründe, die in der Natur der Sache, Zwecke, die in dem Wesen des Men¬
schen liegen. Die Monarchie entwickelt die Anstalten, mit denen sie die Ge¬
sammtheit der Verhältnisse zu umfassen und zu regeln vermag; zum ersten
Mal erscheint der Staat als eine Alles durchdringende, Alles umschließende,
Alles verautwvrteude Gewalt. Er ist nicht mehr Privatsache des Fürsten,
nicht ein Fernes nud Gleichgültiges für die ihm Uebergebenen, sondern Je¬
der ist unmittelbar bei seinem Bestehen betheiligt. Aber man ist auch frei¬
lich nur auf dem Wege zum Stantsbürgerthum. Es tritt ein Beamten-
wesen in den Vordergrund, das in völligster Abhängigkeit von dem Staats¬
oberhaupt alle öffentlichem Beziehungen umfaßt, bevormundend, anordnend
bis in die kleinsten Verhältnisse hinab die entscheidende Theilnahme des Staa¬
tes geltend macht. Und dieser Staat hat in Allem nnr die Staatsraison im
Ange; alle andern Verhältnisse werden nnr nach ihr bestimmt. In diesem
Staat kann Jeder nach seiner Fa?on selig werden; sein Landrecht enthält
die Summe seiner sittlichen Anforderungen; ihm ist die Ehe da zur Erhal¬
tung der Population. Das stehende Heer ist der Gesammtausdruck seiner
Macht, der Träger seiner Ehre, ohne organisch mit dem Volk verwachsen zu
sein. Dieser militärisch administrative Staat ist also nur ein mechanisches
Kunstwerk. Und so war es auch mit den Staatsverändernngen, die nach dem
Muster Friedrich des Großen unternommen wurden. Eine gewisse sanfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/290>, abgerufen am 22.07.2024.