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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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wird der Bettler dem Fürsten gleich, während durch die Hingebung an die
endlichen Bestimmungen dieser Welt der Mensch seine Göttlichkeit mit Füßen
tritt. Dieses Recht der Gleichheit ist seine Bestimmung. Die Menschen
liegen in Hader mit einander; sie zerreißen sich wie wilde Thiere; die Bos¬
heit ihrer Natur bricht in Haß und Verfolgungen ans. Aber eigentlich
sind sie alle Brüder, denn sie sind Kinder Gottes und durch deu Glauben
an den geoffenbarten Menschen wird diese Verbindung zur Wahrheit. Das
allgemeine Reich der Liebe ist die Bestimmung der Menschheit.

Freiheit! Gleichheit! Verbrüderung! -- das war der geheime Sinn des
Glaubens, der innerhalb der endlichen Verhältnisse, im Reich der Erschein
mung, also nicht in einer reinen Form sich geltend machte. Die Freiheit ver¬
weisen die Reformatoren in's Gebet, die Gleichheit in den Himmel, die
Verbindung in's abstracte Herz. Aber es war derselbe Geist der Reforma¬
tion, der in England das Reich der Willkür brach, und nach der kurzen
Tyrannei einer schwärmerischen Gottesherrschaft, die ideellen Begriffe wenig¬
stens der Freiheit und Gleichheit zu reellen, sittlichen Verhältnissen umwan¬
delte. Der Tag der Verbrüderung war noch nicht gekommen; aber seine Er¬
scheinung wird vorbereitet durch den Staat des Gesetzes. ES war derselbe
Geist der Reformation, der den Staat ans den Banden der Kirche losriß,
um ihn zur Kirche, zum Reich der Heiligen zu erhöhn. Im protestantischen
Staate befreite sich das politische Wesen aus diesem Dualismus, der das
Wesentliche der menschlichen Thätigkeit in ein Jenseits legte, und eben
darum die wirkliche That in all' der Barbarei und Wildheit ließ, die der
bloßen Natur eigen ist. Ans die Bewegung der Reformation folgte die Auf¬
klärung. Die Reformation hatte den Menschen auf den Glauben verwiesen,
der Glaube verzehrte sich in ungestümem Drange, und nnn fand die kalte
Einsicht eine formlose, unverständliche Masse als Bestehendes vor, in welcher
Ideelles und Natürliches in unvermittelter Bewegung durcheinander trieben.
Die Thätigkeit der Aufklärung war darum auflösend und negativ. Wenn
sie in der Religion nur die unglückselige Selbstentzweiung des Menschen, in
dem Staatslewt nur das System der Willkür sah, so konnte in ihrer Kritik
von einer ästhetischen Befriedigung, von einer gemüthlichen Anerkennung nicht
die Rede sein. Aber laßt euch durch deu Anschein der reinen Negativität nicht
täuschen! Es war das immanente Gefühl der Göttlichkeit im Menschen,
welches die Encyklopädisten zum erbitterten Kampf gegen das entäußerte
Wesen des Menschen trieb; es war die Idee eines vernünftigen Gemein¬
wesens, welches ihnen der Haß gegen die bestehenden Zustände einflößte.
Täuscht euch nicht: der Geist ist etwas Reelles, auch wenn er verzehrt!


wird der Bettler dem Fürsten gleich, während durch die Hingebung an die
endlichen Bestimmungen dieser Welt der Mensch seine Göttlichkeit mit Füßen
tritt. Dieses Recht der Gleichheit ist seine Bestimmung. Die Menschen
liegen in Hader mit einander; sie zerreißen sich wie wilde Thiere; die Bos¬
heit ihrer Natur bricht in Haß und Verfolgungen ans. Aber eigentlich
sind sie alle Brüder, denn sie sind Kinder Gottes und durch deu Glauben
an den geoffenbarten Menschen wird diese Verbindung zur Wahrheit. Das
allgemeine Reich der Liebe ist die Bestimmung der Menschheit.

Freiheit! Gleichheit! Verbrüderung! — das war der geheime Sinn des
Glaubens, der innerhalb der endlichen Verhältnisse, im Reich der Erschein
mung, also nicht in einer reinen Form sich geltend machte. Die Freiheit ver¬
weisen die Reformatoren in's Gebet, die Gleichheit in den Himmel, die
Verbindung in's abstracte Herz. Aber es war derselbe Geist der Reforma¬
tion, der in England das Reich der Willkür brach, und nach der kurzen
Tyrannei einer schwärmerischen Gottesherrschaft, die ideellen Begriffe wenig¬
stens der Freiheit und Gleichheit zu reellen, sittlichen Verhältnissen umwan¬
delte. Der Tag der Verbrüderung war noch nicht gekommen; aber seine Er¬
scheinung wird vorbereitet durch den Staat des Gesetzes. ES war derselbe
Geist der Reformation, der den Staat ans den Banden der Kirche losriß,
um ihn zur Kirche, zum Reich der Heiligen zu erhöhn. Im protestantischen
Staate befreite sich das politische Wesen aus diesem Dualismus, der das
Wesentliche der menschlichen Thätigkeit in ein Jenseits legte, und eben
darum die wirkliche That in all' der Barbarei und Wildheit ließ, die der
bloßen Natur eigen ist. Ans die Bewegung der Reformation folgte die Auf¬
klärung. Die Reformation hatte den Menschen auf den Glauben verwiesen,
der Glaube verzehrte sich in ungestümem Drange, und nnn fand die kalte
Einsicht eine formlose, unverständliche Masse als Bestehendes vor, in welcher
Ideelles und Natürliches in unvermittelter Bewegung durcheinander trieben.
Die Thätigkeit der Aufklärung war darum auflösend und negativ. Wenn
sie in der Religion nur die unglückselige Selbstentzweiung des Menschen, in
dem Staatslewt nur das System der Willkür sah, so konnte in ihrer Kritik
von einer ästhetischen Befriedigung, von einer gemüthlichen Anerkennung nicht
die Rede sein. Aber laßt euch durch deu Anschein der reinen Negativität nicht
täuschen! Es war das immanente Gefühl der Göttlichkeit im Menschen,
welches die Encyklopädisten zum erbitterten Kampf gegen das entäußerte
Wesen des Menschen trieb; es war die Idee eines vernünftigen Gemein¬
wesens, welches ihnen der Haß gegen die bestehenden Zustände einflößte.
Täuscht euch nicht: der Geist ist etwas Reelles, auch wenn er verzehrt!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/216>, abgerufen am 03.07.2024.