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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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"Cer-tho-I'mkiuuv!" das hieß nichts anders als: gebt den Altären des
wahren Gottes Raum.

Das Loos jener Helden der Aufklärung war kein erfreuliches. Nicht
allein mit den Verfolgungen ihrer Gegner, auch mit der Bitterkeit des eig¬
nen Herzens haben sie zu kämpfen gehabt; und die Nachwelt, die einerntet
was sie gesäet, sieht sie mit Achselzucken an. Wenn ihr tiefer eingeht, auch
in das Frivolste, was aus der Feder jeuer Denker geflossen ist, so werdet
ihr finden: auch hier ist Gott! Sie lebten, sie hofften und litten im Glau¬
ben an die Menschheit, für die Idee der Menschheit. Auch aus dem stechen
Hohn eines Voltaire, eiues Diderot, eiues Helvetius spricht der diese Schmerz
über die Entartung der menschlichen Natur, der unauslöschliche Glaube an
die einstige Versöhnung. Daß sie ihren Ursprung verleugneten, daß sie das
Christenthum verschmähten, in dem jene Ideen zuerst das Gefühl der Welt
geworden waren, daß sie den absoluten Staat befehdeten, der ihnen allein
deu Kampf gegen das Mittelalter möglich machte, wer wollte ihnen das
verargen, der da bedenkt, daß keine Fehde erbitterter und leidenschaftlicher
ist, als die der Konsequenz gegen ihre Voraussetzung.

Dieses Evangelium des freien Menschen blieb nicht in den Büchern.
I" den Urwäldern Amerika's ging man an's Werk, die Voraussetzungen der
alten Welt vou sich zu werfe". Die Theorie der Menschenrechte, Freiheit und
Gleichheit, wurden an die Spitze des neuen politischen Baues gestellt.
Dann kam die blutige Stunde der französische" Revolution. Auf eine ein¬
seitige, schreckliche, aber energische Weise wurde die Fahne der Freiheit, die
Fahne der Humanität gegen das Reich des Egoismus und der Zufälligkeit
aufgepflanzt. Einseitig, weil die Helden der Revolution das Reich der Hu¬
manität aufbauen wollte", ohne es in sich zur Realität gebracht zu haben.
Der Glaube der Reformation, die Einsicht der Aufklärung waren einseitig,
weil sie in die Voraussetzungen verstrickt waren, gegen die sie ankämpften.
Die Revolution war darum so schrecklich, weil sie beides in sich vereinigte.
Sie kam zum Ende, aber nicht zum Ziel. Dennoch ging sie nicht unfrucht¬
bar vorüber. Der Geist der Freiheit wehte über die Völker, das Gefühl der
menschlichen Würde keimte in allen Herzen auf. Im gelinden Säuseln spürt
mau den Athem Gottes, aber auch im Sturm macht er sich vernehmlich.

Vergebens haben sie gegen diesen gewaltigen Geist ihre kleinen Gespen¬
ster ans den Gräbern der Vergangenheit heraufbeschworen, vergebens die
wirklichen Geister der Geschichte zu Gespenstern umgefabclt. Auch in dem
Nebelspuk der Romantik macht sich das Bedürfniß nach Geistigen Luft.

Freiheit! Gleichheit! Verbrüderung! Auch wir schwören aus dieses Evan-


„Cer-tho-I'mkiuuv!« das hieß nichts anders als: gebt den Altären des
wahren Gottes Raum.

Das Loos jener Helden der Aufklärung war kein erfreuliches. Nicht
allein mit den Verfolgungen ihrer Gegner, auch mit der Bitterkeit des eig¬
nen Herzens haben sie zu kämpfen gehabt; und die Nachwelt, die einerntet
was sie gesäet, sieht sie mit Achselzucken an. Wenn ihr tiefer eingeht, auch
in das Frivolste, was aus der Feder jeuer Denker geflossen ist, so werdet
ihr finden: auch hier ist Gott! Sie lebten, sie hofften und litten im Glau¬
ben an die Menschheit, für die Idee der Menschheit. Auch aus dem stechen
Hohn eines Voltaire, eiues Diderot, eiues Helvetius spricht der diese Schmerz
über die Entartung der menschlichen Natur, der unauslöschliche Glaube an
die einstige Versöhnung. Daß sie ihren Ursprung verleugneten, daß sie das
Christenthum verschmähten, in dem jene Ideen zuerst das Gefühl der Welt
geworden waren, daß sie den absoluten Staat befehdeten, der ihnen allein
deu Kampf gegen das Mittelalter möglich machte, wer wollte ihnen das
verargen, der da bedenkt, daß keine Fehde erbitterter und leidenschaftlicher
ist, als die der Konsequenz gegen ihre Voraussetzung.

Dieses Evangelium des freien Menschen blieb nicht in den Büchern.
I» den Urwäldern Amerika's ging man an's Werk, die Voraussetzungen der
alten Welt vou sich zu werfe». Die Theorie der Menschenrechte, Freiheit und
Gleichheit, wurden an die Spitze des neuen politischen Baues gestellt.
Dann kam die blutige Stunde der französische» Revolution. Auf eine ein¬
seitige, schreckliche, aber energische Weise wurde die Fahne der Freiheit, die
Fahne der Humanität gegen das Reich des Egoismus und der Zufälligkeit
aufgepflanzt. Einseitig, weil die Helden der Revolution das Reich der Hu¬
manität aufbauen wollte», ohne es in sich zur Realität gebracht zu haben.
Der Glaube der Reformation, die Einsicht der Aufklärung waren einseitig,
weil sie in die Voraussetzungen verstrickt waren, gegen die sie ankämpften.
Die Revolution war darum so schrecklich, weil sie beides in sich vereinigte.
Sie kam zum Ende, aber nicht zum Ziel. Dennoch ging sie nicht unfrucht¬
bar vorüber. Der Geist der Freiheit wehte über die Völker, das Gefühl der
menschlichen Würde keimte in allen Herzen auf. Im gelinden Säuseln spürt
mau den Athem Gottes, aber auch im Sturm macht er sich vernehmlich.

Vergebens haben sie gegen diesen gewaltigen Geist ihre kleinen Gespen¬
ster ans den Gräbern der Vergangenheit heraufbeschworen, vergebens die
wirklichen Geister der Geschichte zu Gespenstern umgefabclt. Auch in dem
Nebelspuk der Romantik macht sich das Bedürfniß nach Geistigen Luft.

Freiheit! Gleichheit! Verbrüderung! Auch wir schwören aus dieses Evan-


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[0217] „Cer-tho-I'mkiuuv!« das hieß nichts anders als: gebt den Altären des wahren Gottes Raum. Das Loos jener Helden der Aufklärung war kein erfreuliches. Nicht allein mit den Verfolgungen ihrer Gegner, auch mit der Bitterkeit des eig¬ nen Herzens haben sie zu kämpfen gehabt; und die Nachwelt, die einerntet was sie gesäet, sieht sie mit Achselzucken an. Wenn ihr tiefer eingeht, auch in das Frivolste, was aus der Feder jeuer Denker geflossen ist, so werdet ihr finden: auch hier ist Gott! Sie lebten, sie hofften und litten im Glau¬ ben an die Menschheit, für die Idee der Menschheit. Auch aus dem stechen Hohn eines Voltaire, eiues Diderot, eiues Helvetius spricht der diese Schmerz über die Entartung der menschlichen Natur, der unauslöschliche Glaube an die einstige Versöhnung. Daß sie ihren Ursprung verleugneten, daß sie das Christenthum verschmähten, in dem jene Ideen zuerst das Gefühl der Welt geworden waren, daß sie den absoluten Staat befehdeten, der ihnen allein deu Kampf gegen das Mittelalter möglich machte, wer wollte ihnen das verargen, der da bedenkt, daß keine Fehde erbitterter und leidenschaftlicher ist, als die der Konsequenz gegen ihre Voraussetzung. Dieses Evangelium des freien Menschen blieb nicht in den Büchern. I» den Urwäldern Amerika's ging man an's Werk, die Voraussetzungen der alten Welt vou sich zu werfe». Die Theorie der Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit, wurden an die Spitze des neuen politischen Baues gestellt. Dann kam die blutige Stunde der französische» Revolution. Auf eine ein¬ seitige, schreckliche, aber energische Weise wurde die Fahne der Freiheit, die Fahne der Humanität gegen das Reich des Egoismus und der Zufälligkeit aufgepflanzt. Einseitig, weil die Helden der Revolution das Reich der Hu¬ manität aufbauen wollte», ohne es in sich zur Realität gebracht zu haben. Der Glaube der Reformation, die Einsicht der Aufklärung waren einseitig, weil sie in die Voraussetzungen verstrickt waren, gegen die sie ankämpften. Die Revolution war darum so schrecklich, weil sie beides in sich vereinigte. Sie kam zum Ende, aber nicht zum Ziel. Dennoch ging sie nicht unfrucht¬ bar vorüber. Der Geist der Freiheit wehte über die Völker, das Gefühl der menschlichen Würde keimte in allen Herzen auf. Im gelinden Säuseln spürt mau den Athem Gottes, aber auch im Sturm macht er sich vernehmlich. Vergebens haben sie gegen diesen gewaltigen Geist ihre kleinen Gespen¬ ster ans den Gräbern der Vergangenheit heraufbeschworen, vergebens die wirklichen Geister der Geschichte zu Gespenstern umgefabclt. Auch in dem Nebelspuk der Romantik macht sich das Bedürfniß nach Geistigen Luft. Freiheit! Gleichheit! Verbrüderung! Auch wir schwören aus dieses Evan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/217>, abgerufen am 22.07.2024.