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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Abendruhe" u. s. w. sind mir unausstehlich. -- Nun umschleierte der Abend
all' diese meine Antipathien, ich ging zur Stadt hinaus, die Ischl entlang,
wo die Wälder so ernst herabsehen und das Wasser so geheimnißvoll dampfte.
In einer der Alleen begegnete ich der Gräfin G., die ich erst unlängst in
Karlsbad kennen gelernt hatte und nun unerwartet wiederfand, wie sie in
einen großen Shawl gehüllt und nur in der Begleitung ihrer Kammerfrau,
elegisch wie immer, im sinkenden Abend dahinging. -- "Sie hier in Ischl,
Gräfin?" redete ich sie an -- ich war gewohnt, immer französisch mit ihr
zu sprechen. -- suis venu IscliI zwnr -tvair <Jo8 vnlaiits," erwiederte
sie. -- "Wie bedauere ich es," rief ich, "daß ich eiuen alten Plan aufgege^
ben in Ischl Badearzt zu werden." -- Sie lächelte schmerzlich, wie sie es
gewohut war. Mich aber faßte ein Ekel vor dieser Wiener Aristokratie.
Ja, ihre Sitte und ihr Anstand ist nur Moschus, er kann den bösen Ge¬
ruch ihrer wahren Natur nicht verhüllen! -- Am Morgen des folgenden
Tages war ich schon gerüstet, Ischl zu verlassen. Ich wollte meinen Freund
Reinhold besuchen, einen alten Stubengenossen, der nun, reich und jung,
im nahm Dörfchen Se. Wolfgang ein schönes Schloß bewohnt und in den
Wäldern und Feldern ringsum ein frohes Jägerleben führt. Es war ein
schöner Morgen, als ich so fürbaß zog, den Stock in der Hand, das Ränzel
am Rücken. Der Fluß schäumte mir zur Seite, bald empfing mich ein
herrlich duftender Wald, dann kam Thal und Anhöhe in schöner Abwechs¬
lung. An den Büschen blitzten die zitternden Thautropfen, es war eine
Freude durch'ö weiche Moos zu Seiten des Fahrweges hinzuschreiten und
mit jedem Schlag des Reisestocks ein ganzes Feuerwerk von leuchtenden
Funken aussprühen zu lassen. Dörfer mit freundlichen, reinlichen Häusern
erschienen an den Abhängen, alle Fenster standen voll Blumen. Ich liebe
sie so diese Fenster mit Gelbveiglein und Nelken geziert; wo Blumen eine Hütte
schmücken, ist die Armuth nie ganz arm. -- Das treuherzige Naturell des
oberösterreichischen Volks grüßte mich bereits ans jedem Gesichte. Jeder
Mann, der nahebei auf dem Felde arbeitete, jeder kleine Knabe, der mit
dein ABC-Buch nnter dem Arm in die Pfarrschule pilgerte, lüftete den
Hut und grüßte mich mit seinem: "Gelobt sei Jesus Christus." Nach drei¬
stündigem Wandern war der Se. Wolfganger See erreicht, ein prächtiger,
azurner Spiegel in einen bewaldeten Kranz von Bergen eingeschlossen, und
Se. Wolfgang selbst, ein freundlicher Marktflecken in einer Bucht des See's
gelagert, leuchtete mir mit seiner alterthümlichen Kirche, mit seinen netten
Häusern entgegen. In demselben Augenblick hörte ich eiuen Wagen hinter
mir daherjagen, ich trat ans die Seite und erkannte in dem wilden Rosse-
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Abendruhe" u. s. w. sind mir unausstehlich. — Nun umschleierte der Abend
all' diese meine Antipathien, ich ging zur Stadt hinaus, die Ischl entlang,
wo die Wälder so ernst herabsehen und das Wasser so geheimnißvoll dampfte.
In einer der Alleen begegnete ich der Gräfin G., die ich erst unlängst in
Karlsbad kennen gelernt hatte und nun unerwartet wiederfand, wie sie in
einen großen Shawl gehüllt und nur in der Begleitung ihrer Kammerfrau,
elegisch wie immer, im sinkenden Abend dahinging. — „Sie hier in Ischl,
Gräfin?" redete ich sie an — ich war gewohnt, immer französisch mit ihr
zu sprechen. — suis venu IscliI zwnr -tvair <Jo8 vnlaiits," erwiederte
sie. — „Wie bedauere ich es," rief ich, „daß ich eiuen alten Plan aufgege^
ben in Ischl Badearzt zu werden." — Sie lächelte schmerzlich, wie sie es
gewohut war. Mich aber faßte ein Ekel vor dieser Wiener Aristokratie.
Ja, ihre Sitte und ihr Anstand ist nur Moschus, er kann den bösen Ge¬
ruch ihrer wahren Natur nicht verhüllen! — Am Morgen des folgenden
Tages war ich schon gerüstet, Ischl zu verlassen. Ich wollte meinen Freund
Reinhold besuchen, einen alten Stubengenossen, der nun, reich und jung,
im nahm Dörfchen Se. Wolfgang ein schönes Schloß bewohnt und in den
Wäldern und Feldern ringsum ein frohes Jägerleben führt. Es war ein
schöner Morgen, als ich so fürbaß zog, den Stock in der Hand, das Ränzel
am Rücken. Der Fluß schäumte mir zur Seite, bald empfing mich ein
herrlich duftender Wald, dann kam Thal und Anhöhe in schöner Abwechs¬
lung. An den Büschen blitzten die zitternden Thautropfen, es war eine
Freude durch'ö weiche Moos zu Seiten des Fahrweges hinzuschreiten und
mit jedem Schlag des Reisestocks ein ganzes Feuerwerk von leuchtenden
Funken aussprühen zu lassen. Dörfer mit freundlichen, reinlichen Häusern
erschienen an den Abhängen, alle Fenster standen voll Blumen. Ich liebe
sie so diese Fenster mit Gelbveiglein und Nelken geziert; wo Blumen eine Hütte
schmücken, ist die Armuth nie ganz arm. — Das treuherzige Naturell des
oberösterreichischen Volks grüßte mich bereits ans jedem Gesichte. Jeder
Mann, der nahebei auf dem Felde arbeitete, jeder kleine Knabe, der mit
dein ABC-Buch nnter dem Arm in die Pfarrschule pilgerte, lüftete den
Hut und grüßte mich mit seinem: „Gelobt sei Jesus Christus." Nach drei¬
stündigem Wandern war der Se. Wolfganger See erreicht, ein prächtiger,
azurner Spiegel in einen bewaldeten Kranz von Bergen eingeschlossen, und
Se. Wolfgang selbst, ein freundlicher Marktflecken in einer Bucht des See's
gelagert, leuchtete mir mit seiner alterthümlichen Kirche, mit seinen netten
Häusern entgegen. In demselben Augenblick hörte ich eiuen Wagen hinter
mir daherjagen, ich trat ans die Seite und erkannte in dem wilden Rosse-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/199>, abgerufen am 03.07.2024.