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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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rief ich schnell. -- "Haben wir uns nicht in Karlsbad gesehen?" -- "Noch
vor vier Tagen." -- "Erlauben Sie doch, daß ich Sie meiner Tochter
vorstelle!"

Ob ich es erlaubte! Aber wie ward mir als die Göttergleiche mich
mit dem zanberischesten Lächeln empfing, als sie von meinen Versen sprach,
die sie mit sich führe und mit graziösen Spott auf meine letzten Lebensver¬
hältnisse anspielte. "Mein Herz!" mußte ich mich unwillkürlich apostrophi-
ren, "du bist wieder unnütz schüchtern, ja ungeheuer dumm gewesen!" --
Im holdesten Geplauder ging es weiter. Die reichste Landschaft flog in
unendlicher Schönheit vorüber, alle Tinten zwischen Lichtblau und Tiefgrün
schwammen im See. Die kleinen Dörfchen, wie Nestercolonien am Ufer
angeheftet, blickten herüber, darob die Wälder und endlich das blauzackige
Gebirge. Die schöne Wittwe seufzte: "Dieser See ist wie ein schönes blaues
Auge!" Ich seufzte: "o wie wahr!" indem ich ihr starr in's blaue Auge
sah, und ich begann die Geschichte von dem schönen jungen Einsiedler zu
erzählen, der vor langen Jahren auf der kleinen Insel des See's hauste
und eigentlich ein Mädchen war, das der Liebesgram dahingetrieben, den
Menschen fern, nach Wurzeln zu graben, zur Vesperzeit das Glöcklein zu
läuten und im härenem Kleide auf dein harten Moosbett zu schlafen. Noch
nie peinigte mich die Flucht der Zeit so sehr! Da lag das Land ringsum
wie ein Stück Paradies, der Dampfer aber flog unbarmherzig weiter und
schon zeigte sich das Ufer, wo wir landen sollten. "Schon zweimal," sagte
ich, "bin ich ans diesem See gefahren, aber nie ist mir wie heute seine
ganze Schönheit aufgegangen." -- Die junge Wittwe lächelte und wie zur
Autwort that sie die Frage: "Gehen Sie nicht auch nach Mailand?" --
"Warum nicht!" rief ich. "Ich bin ein Zugvogel ohne Nest und Heimath."
--. "Dann sehen wir uns wieder."

Wir waren in Ebensee. Die schöne Wittwe stieg mit den Ihrigen in
den prachtvollen Reisewagen, ich mit meinem Ränzel in die Stellwagenkutsche,
die für acht Kreuzer nach Ischl fährt. Noch einmal grüßte mich ihr könig¬
licher Blick. "Schweig still mein Herz!" Doch blieb ich bis Ischl in der
glücklichsten Laune. Um schneller fortzukommen stieg ich aus und schritt
fürbaß, bis ich mit dein sinkenden Abend im weißen Kreuze zu Ischl
ankam. -- Ich kann Ischl, dies Brighton der Wiener Aristokratie nicht
leiden. Diese coquetten Villen, die sich das Ansehn von Tyrolerhänschen
geben, diese traurige" Brunnencolonaden, diese überall wiederkehrenden An-
mcchnungen an hohe Häupter, die den Ort besuchten, diese Ruheplätze und Bel-
vedere's mit albernen Namen getauft -- "Mathildens Wonnesitz," "Louisens


rief ich schnell. — „Haben wir uns nicht in Karlsbad gesehen?" — „Noch
vor vier Tagen." — „Erlauben Sie doch, daß ich Sie meiner Tochter
vorstelle!"

Ob ich es erlaubte! Aber wie ward mir als die Göttergleiche mich
mit dem zanberischesten Lächeln empfing, als sie von meinen Versen sprach,
die sie mit sich führe und mit graziösen Spott auf meine letzten Lebensver¬
hältnisse anspielte. „Mein Herz!" mußte ich mich unwillkürlich apostrophi-
ren, „du bist wieder unnütz schüchtern, ja ungeheuer dumm gewesen!" —
Im holdesten Geplauder ging es weiter. Die reichste Landschaft flog in
unendlicher Schönheit vorüber, alle Tinten zwischen Lichtblau und Tiefgrün
schwammen im See. Die kleinen Dörfchen, wie Nestercolonien am Ufer
angeheftet, blickten herüber, darob die Wälder und endlich das blauzackige
Gebirge. Die schöne Wittwe seufzte: „Dieser See ist wie ein schönes blaues
Auge!" Ich seufzte: „o wie wahr!" indem ich ihr starr in's blaue Auge
sah, und ich begann die Geschichte von dem schönen jungen Einsiedler zu
erzählen, der vor langen Jahren auf der kleinen Insel des See's hauste
und eigentlich ein Mädchen war, das der Liebesgram dahingetrieben, den
Menschen fern, nach Wurzeln zu graben, zur Vesperzeit das Glöcklein zu
läuten und im härenem Kleide auf dein harten Moosbett zu schlafen. Noch
nie peinigte mich die Flucht der Zeit so sehr! Da lag das Land ringsum
wie ein Stück Paradies, der Dampfer aber flog unbarmherzig weiter und
schon zeigte sich das Ufer, wo wir landen sollten. „Schon zweimal," sagte
ich, „bin ich ans diesem See gefahren, aber nie ist mir wie heute seine
ganze Schönheit aufgegangen." — Die junge Wittwe lächelte und wie zur
Autwort that sie die Frage: „Gehen Sie nicht auch nach Mailand?" —
„Warum nicht!" rief ich. „Ich bin ein Zugvogel ohne Nest und Heimath."
—. „Dann sehen wir uns wieder."

Wir waren in Ebensee. Die schöne Wittwe stieg mit den Ihrigen in
den prachtvollen Reisewagen, ich mit meinem Ränzel in die Stellwagenkutsche,
die für acht Kreuzer nach Ischl fährt. Noch einmal grüßte mich ihr könig¬
licher Blick. „Schweig still mein Herz!" Doch blieb ich bis Ischl in der
glücklichsten Laune. Um schneller fortzukommen stieg ich aus und schritt
fürbaß, bis ich mit dein sinkenden Abend im weißen Kreuze zu Ischl
ankam. — Ich kann Ischl, dies Brighton der Wiener Aristokratie nicht
leiden. Diese coquetten Villen, die sich das Ansehn von Tyrolerhänschen
geben, diese traurige« Brunnencolonaden, diese überall wiederkehrenden An-
mcchnungen an hohe Häupter, die den Ort besuchten, diese Ruheplätze und Bel-
vedere's mit albernen Namen getauft — „Mathildens Wonnesitz," „Louisens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/198>, abgerufen am 01.07.2024.