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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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dieser rasch zu einer gewissen Virtuosität gebracht hat. ES ist übrigens nicht
blos ans Commando, daß er seinen Geifer ans die Liberalen ausspeit, es ist die
verbissene Wuth der Principlosigkeit und sittlichen Hohlheit, die sich gegen alles
wendet, was irgendwie an Ideelles erinnert.

Die Hartung'sche Zeitung, die in den Jahren 184 l und 1842 "eben der
Rheinischen als Hanptvertretcrin des Radicalismus angesehen wurde, ist jetzt,
seitdem die politischen Artikel ausbleiben, wieder das Winkelblatt geworden, das
sie früher war. Eine eigentliche Zeitung kann sich auch in Königsberg schwer
halten, da ihr die Stoffe von aller Welt -- Sibirien ausgenommen -- ein paar
Tage später zukommen als allen andern. Oberlehrer Witt, der sie in ihrer
Blüthezeit redigirte und deshalb in die bekannten Conflicte mit seinen Vorgesetzten
gerieth, hatte eigentlich das Wenigste zu ihrer Hebung gethan. Die Seele der
Zeitung, wie der ganzen liberalen Bewegung in Königsberg, war der Dr. Ja-
coby, der Verfasser der vier Fragen. Wenn man bedenkt, daß vor noch nicht
langer Zeit die Juden keinen Zutritt in die Corporationsbälle der Kanfiuannschast
fanden -- nud ich weiß in der That uicht genau, ob es jetzt schon abgeändert
ist -- daß diese Scheidung der Juden von der übrigen civilisirten Welt in so vielen
Punkten festgehalten wird, trotz des ostpreußischen Liberalismus, so muß es so¬
fort ein günstiges Vorurtheil für einen Manu erwecken, der, obgleich dieser
unterdrückten Gemeinde augehörig, dennoch von allen öffentlichen Charakteren die
allgemeinste Achtung genießt. Es darf dabei freilich noch ein Punkt nicht aus
dem Auge gelassen werden, daß Jacoby ein geachteter Arzt ist und so eine von
seiner literarisch-politischen Thätigkeit ganz unabhängige Stellung genießt; denn
den abstracten Literaten ist man hier eben so abgeneigt, wie den Juden. Jacoby
ist kein eigentlich productiver Kopf, kein "Genie," wie man das zu nennen pflegt,
ich zweifle sogar, ob er sich ein vollständiges politisches System ausgedacht hat.
Aber er ist ein Mann von klaren, gefunden Sinnen, von lebendigem Rechtsge-
fühl, von unerschütterlicher Sündhaftigkeit, und, was beim Politiker wesentlich
ist, einer Geduld, die ebensowenig von den Schwierigkeiten und der Langenweile
der zu beschrcitcnden Bahn abgeschreckt wird, als etwas im Stande wäre, seinen
Muth außer Fassung zu setze". Mau pflegt hier einen Unterschied zu machen zwi¬
schen Liberalen und Radicalen, und Jacoby den letztem zuzuzählen; so war er
während des Landtags und nach demselben an der Spitze derer, die mit dem Be¬
tragen der Preußischen Opposition unzufrieden waren, weil dieselbe von den Con-
sequenzen ihres Princips abgewichen war; und in dieser Beziehung steht er na¬
mentlich dem Hru. v. Auerswald gegenüber, der sollst bei den Preußischen Libera¬
len als eine Autorität gilt. Jacoby'ö Persönlichkeit hat übrigens nichts imponi-
rendes; ein nicht hochgewachsener, schlichter Mann, in dessen Gesicht blos das
scharfe Auge die Aufmerksamkeit anzieht.


dieser rasch zu einer gewissen Virtuosität gebracht hat. ES ist übrigens nicht
blos ans Commando, daß er seinen Geifer ans die Liberalen ausspeit, es ist die
verbissene Wuth der Principlosigkeit und sittlichen Hohlheit, die sich gegen alles
wendet, was irgendwie an Ideelles erinnert.

Die Hartung'sche Zeitung, die in den Jahren 184 l und 1842 »eben der
Rheinischen als Hanptvertretcrin des Radicalismus angesehen wurde, ist jetzt,
seitdem die politischen Artikel ausbleiben, wieder das Winkelblatt geworden, das
sie früher war. Eine eigentliche Zeitung kann sich auch in Königsberg schwer
halten, da ihr die Stoffe von aller Welt — Sibirien ausgenommen — ein paar
Tage später zukommen als allen andern. Oberlehrer Witt, der sie in ihrer
Blüthezeit redigirte und deshalb in die bekannten Conflicte mit seinen Vorgesetzten
gerieth, hatte eigentlich das Wenigste zu ihrer Hebung gethan. Die Seele der
Zeitung, wie der ganzen liberalen Bewegung in Königsberg, war der Dr. Ja-
coby, der Verfasser der vier Fragen. Wenn man bedenkt, daß vor noch nicht
langer Zeit die Juden keinen Zutritt in die Corporationsbälle der Kanfiuannschast
fanden — nud ich weiß in der That uicht genau, ob es jetzt schon abgeändert
ist — daß diese Scheidung der Juden von der übrigen civilisirten Welt in so vielen
Punkten festgehalten wird, trotz des ostpreußischen Liberalismus, so muß es so¬
fort ein günstiges Vorurtheil für einen Manu erwecken, der, obgleich dieser
unterdrückten Gemeinde augehörig, dennoch von allen öffentlichen Charakteren die
allgemeinste Achtung genießt. Es darf dabei freilich noch ein Punkt nicht aus
dem Auge gelassen werden, daß Jacoby ein geachteter Arzt ist und so eine von
seiner literarisch-politischen Thätigkeit ganz unabhängige Stellung genießt; denn
den abstracten Literaten ist man hier eben so abgeneigt, wie den Juden. Jacoby
ist kein eigentlich productiver Kopf, kein „Genie," wie man das zu nennen pflegt,
ich zweifle sogar, ob er sich ein vollständiges politisches System ausgedacht hat.
Aber er ist ein Mann von klaren, gefunden Sinnen, von lebendigem Rechtsge-
fühl, von unerschütterlicher Sündhaftigkeit, und, was beim Politiker wesentlich
ist, einer Geduld, die ebensowenig von den Schwierigkeiten und der Langenweile
der zu beschrcitcnden Bahn abgeschreckt wird, als etwas im Stande wäre, seinen
Muth außer Fassung zu setze». Mau pflegt hier einen Unterschied zu machen zwi¬
schen Liberalen und Radicalen, und Jacoby den letztem zuzuzählen; so war er
während des Landtags und nach demselben an der Spitze derer, die mit dem Be¬
tragen der Preußischen Opposition unzufrieden waren, weil dieselbe von den Con-
sequenzen ihres Princips abgewichen war; und in dieser Beziehung steht er na¬
mentlich dem Hru. v. Auerswald gegenüber, der sollst bei den Preußischen Libera¬
len als eine Autorität gilt. Jacoby'ö Persönlichkeit hat übrigens nichts imponi-
rendes; ein nicht hochgewachsener, schlichter Mann, in dessen Gesicht blos das
scharfe Auge die Aufmerksamkeit anzieht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/78>, abgerufen am 22.07.2024.