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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Die Achtung, deren sich ein anderer von den Radicalen erfreut, Wales¬
rode, ist keineswegs so allgemein. Es liegt zum Theil daran, daß Walesrode
ab strakterLiterat ist, und kein "respectables Gewerbe" treibt; außerdem freilich, daß
er persönlich gar zu eitel erscheint, während Jacoby anspruchslos und zurückhal¬
tend ist. Er hieß übrigens früher Cohn, und nahm seinen zweiten Namen, wenn
ich nicht irre, von seinem Geburtsorte. Wenn Jacoby gegen die Reaction mit
dem schweren Geschütz der Rechtsbegriffe zu Felde zog, so plänkelte Walesrode ge¬
gen sie mit dem Kleingewehrfeuer des Witzes. Der Witz ist nie im Staude, das
Bestehende zu erschüttern, aber er stört es wenigstens in seiner Ruhe; er ärgert
die Reactionäre. Walesrode hat in seinen humoristischen Vorlesungen in den ver¬
schiedensten Formen nnter der Maske des Scherzes Dinge gesagt, die in einer
ernsthaften Form auszusprechen unmöglich gewesen wäre. Er schließt sich in sei¬
ner Richtung, die einzelnen Verkehrtheiten des absolutistischen Systems zu geißeln,
an Hoffmann von Fallersleben. Dieser Humor schließt den Ernst der Gesinnung
keineswegs aus, aber er versteckt ihn zu sehr, und die Menschen sind in der Re¬
gel nur zu geneigt, dem Humoristen zuzutrauen, daß er die eine Seite des Ge¬
gensatzes ebenso leicht ironisiren könnte als die audere. Denn worüber ließe sich
nicht ein Witz machen!

Von unsern eigentlichen Politikern nehmen natürlich die Landtagsabgeordneten
in der Achtung ihrer Mitbürger die erste Stelle ein. Sie haben, wenn wir die
Ausschußwahlen ausnehmen, stets in den Reihen des entschiedensten Liberalismus
gestimmt, und ihre schon früher anerkannte Gesinnung zu Ehren gebracht. Der
Bürgermeister Sperling hat auch, so oft er aufgetreten ist, zwar nicht mit be¬
sonderer Grazie, aber mit entschiednen Freimuth, mit gefunden, klarem Verstand
und dem Pathos eines natürlichen Rechtsgefnhls gesprochen. Von Heinrich da¬
gegen , der namentlich bei der kleinern Bourgeoisie als ein politisches Orakel gilt,
hätte man mehr erwartet. Wir wollen keineswegs, daß die Abgeordneten des
Volks Zungendrescher sein sollen, bei denen es vor ewigem Reden zu keinem Be¬
schluß kommt; aber bei irgend einer Frage muß einem doch das Herz voll werden,
der Mund überströmen. Heinrich aber hat mit einer Ausdauer geschwiegen, die
einer bessern Sache werth gewesen wäre. In den Bürgerversammlnngen ist er kei¬
neswegs so still gewesen; es ist freilich ein Anderes, im Kreise bekannter, gleich-
gesinnter Männer zu spreche"; ein Anderes, auf dem Wahlplatz, wo es gilt, an
der rechten Stelle zu sein. Von dem dritten Abgeordneten, Prof. Drink, hatte
man ein persönliches Hervortreten nicht erwartet; die wenigen Male, daß er die
Nednerbichne bestiegen hat, hat er mit der eines wissenschaftlichen Mannes würdi¬
gen Energie seine Ueberzeugungen ausgedrückt. Drink ist übrigens nicht allein sei¬
nes Liberalismus und seiner Gelehrsamkeit wegen, sondern auch durch sein offe¬
nes, liebenswürdiges, bisweilen an'S Burleske streifendes Wesen einer der vor¬
nehmsten Lieblinge unsrer Stadt.


Die Achtung, deren sich ein anderer von den Radicalen erfreut, Wales¬
rode, ist keineswegs so allgemein. Es liegt zum Theil daran, daß Walesrode
ab strakterLiterat ist, und kein „respectables Gewerbe" treibt; außerdem freilich, daß
er persönlich gar zu eitel erscheint, während Jacoby anspruchslos und zurückhal¬
tend ist. Er hieß übrigens früher Cohn, und nahm seinen zweiten Namen, wenn
ich nicht irre, von seinem Geburtsorte. Wenn Jacoby gegen die Reaction mit
dem schweren Geschütz der Rechtsbegriffe zu Felde zog, so plänkelte Walesrode ge¬
gen sie mit dem Kleingewehrfeuer des Witzes. Der Witz ist nie im Staude, das
Bestehende zu erschüttern, aber er stört es wenigstens in seiner Ruhe; er ärgert
die Reactionäre. Walesrode hat in seinen humoristischen Vorlesungen in den ver¬
schiedensten Formen nnter der Maske des Scherzes Dinge gesagt, die in einer
ernsthaften Form auszusprechen unmöglich gewesen wäre. Er schließt sich in sei¬
ner Richtung, die einzelnen Verkehrtheiten des absolutistischen Systems zu geißeln,
an Hoffmann von Fallersleben. Dieser Humor schließt den Ernst der Gesinnung
keineswegs aus, aber er versteckt ihn zu sehr, und die Menschen sind in der Re¬
gel nur zu geneigt, dem Humoristen zuzutrauen, daß er die eine Seite des Ge¬
gensatzes ebenso leicht ironisiren könnte als die audere. Denn worüber ließe sich
nicht ein Witz machen!

Von unsern eigentlichen Politikern nehmen natürlich die Landtagsabgeordneten
in der Achtung ihrer Mitbürger die erste Stelle ein. Sie haben, wenn wir die
Ausschußwahlen ausnehmen, stets in den Reihen des entschiedensten Liberalismus
gestimmt, und ihre schon früher anerkannte Gesinnung zu Ehren gebracht. Der
Bürgermeister Sperling hat auch, so oft er aufgetreten ist, zwar nicht mit be¬
sonderer Grazie, aber mit entschiednen Freimuth, mit gefunden, klarem Verstand
und dem Pathos eines natürlichen Rechtsgefnhls gesprochen. Von Heinrich da¬
gegen , der namentlich bei der kleinern Bourgeoisie als ein politisches Orakel gilt,
hätte man mehr erwartet. Wir wollen keineswegs, daß die Abgeordneten des
Volks Zungendrescher sein sollen, bei denen es vor ewigem Reden zu keinem Be¬
schluß kommt; aber bei irgend einer Frage muß einem doch das Herz voll werden,
der Mund überströmen. Heinrich aber hat mit einer Ausdauer geschwiegen, die
einer bessern Sache werth gewesen wäre. In den Bürgerversammlnngen ist er kei¬
neswegs so still gewesen; es ist freilich ein Anderes, im Kreise bekannter, gleich-
gesinnter Männer zu spreche»; ein Anderes, auf dem Wahlplatz, wo es gilt, an
der rechten Stelle zu sein. Von dem dritten Abgeordneten, Prof. Drink, hatte
man ein persönliches Hervortreten nicht erwartet; die wenigen Male, daß er die
Nednerbichne bestiegen hat, hat er mit der eines wissenschaftlichen Mannes würdi¬
gen Energie seine Ueberzeugungen ausgedrückt. Drink ist übrigens nicht allein sei¬
nes Liberalismus und seiner Gelehrsamkeit wegen, sondern auch durch sein offe¬
nes, liebenswürdiges, bisweilen an'S Burleske streifendes Wesen einer der vor¬
nehmsten Lieblinge unsrer Stadt.


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[0079] Die Achtung, deren sich ein anderer von den Radicalen erfreut, Wales¬ rode, ist keineswegs so allgemein. Es liegt zum Theil daran, daß Walesrode ab strakterLiterat ist, und kein „respectables Gewerbe" treibt; außerdem freilich, daß er persönlich gar zu eitel erscheint, während Jacoby anspruchslos und zurückhal¬ tend ist. Er hieß übrigens früher Cohn, und nahm seinen zweiten Namen, wenn ich nicht irre, von seinem Geburtsorte. Wenn Jacoby gegen die Reaction mit dem schweren Geschütz der Rechtsbegriffe zu Felde zog, so plänkelte Walesrode ge¬ gen sie mit dem Kleingewehrfeuer des Witzes. Der Witz ist nie im Staude, das Bestehende zu erschüttern, aber er stört es wenigstens in seiner Ruhe; er ärgert die Reactionäre. Walesrode hat in seinen humoristischen Vorlesungen in den ver¬ schiedensten Formen nnter der Maske des Scherzes Dinge gesagt, die in einer ernsthaften Form auszusprechen unmöglich gewesen wäre. Er schließt sich in sei¬ ner Richtung, die einzelnen Verkehrtheiten des absolutistischen Systems zu geißeln, an Hoffmann von Fallersleben. Dieser Humor schließt den Ernst der Gesinnung keineswegs aus, aber er versteckt ihn zu sehr, und die Menschen sind in der Re¬ gel nur zu geneigt, dem Humoristen zuzutrauen, daß er die eine Seite des Ge¬ gensatzes ebenso leicht ironisiren könnte als die audere. Denn worüber ließe sich nicht ein Witz machen! Von unsern eigentlichen Politikern nehmen natürlich die Landtagsabgeordneten in der Achtung ihrer Mitbürger die erste Stelle ein. Sie haben, wenn wir die Ausschußwahlen ausnehmen, stets in den Reihen des entschiedensten Liberalismus gestimmt, und ihre schon früher anerkannte Gesinnung zu Ehren gebracht. Der Bürgermeister Sperling hat auch, so oft er aufgetreten ist, zwar nicht mit be¬ sonderer Grazie, aber mit entschiednen Freimuth, mit gefunden, klarem Verstand und dem Pathos eines natürlichen Rechtsgefnhls gesprochen. Von Heinrich da¬ gegen , der namentlich bei der kleinern Bourgeoisie als ein politisches Orakel gilt, hätte man mehr erwartet. Wir wollen keineswegs, daß die Abgeordneten des Volks Zungendrescher sein sollen, bei denen es vor ewigem Reden zu keinem Be¬ schluß kommt; aber bei irgend einer Frage muß einem doch das Herz voll werden, der Mund überströmen. Heinrich aber hat mit einer Ausdauer geschwiegen, die einer bessern Sache werth gewesen wäre. In den Bürgerversammlnngen ist er kei¬ neswegs so still gewesen; es ist freilich ein Anderes, im Kreise bekannter, gleich- gesinnter Männer zu spreche»; ein Anderes, auf dem Wahlplatz, wo es gilt, an der rechten Stelle zu sein. Von dem dritten Abgeordneten, Prof. Drink, hatte man ein persönliches Hervortreten nicht erwartet; die wenigen Male, daß er die Nednerbichne bestiegen hat, hat er mit der eines wissenschaftlichen Mannes würdi¬ gen Energie seine Ueberzeugungen ausgedrückt. Drink ist übrigens nicht allein sei¬ nes Liberalismus und seiner Gelehrsamkeit wegen, sondern auch durch sein offe¬ nes, liebenswürdiges, bisweilen an'S Burleske streifendes Wesen einer der vor¬ nehmsten Lieblinge unsrer Stadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/79>, abgerufen am 22.07.2024.