Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.heimlich vorbereitet war und daher um so fürchterlicher traf"). Daß die Creditkasse, die *) Wir lassen hier nachträglich einen Brief folgen, der für unser letztes Heft zu spät ein¬
lief, der aber jetzt noch, obschon der kritische Moment vorüber ist, dennoch von Interesse ist. Wien, Samstag 18. September, Nachmittag ^4 Uhr. Notiren Sie Tag und Stunde genau, denn nicht blos in der Wiener Geschäftswelt, sondern in welchem Winkel immer ein Mann lebt, der durch Rechnen sein Hauswesen führt und Ordnung hält, wird diesen Moment als einen schweren und bedeutungsvollen vormerken. -- Wie überall war auch hier der Fonds¬ markt gedrückt; nicht die Wucherer und Makler, sondern die solidesten Firmen, die respcctabel- sten Kaufleute wurden herabgerissen in die Kalamität, und das einsehend hat der Finanzchef proclamiren lassen, er übernehme Eisenbahnpapiere, Mailänder zu 108, Pesther zu 98. -- Sie erinnern sich wohl noch, welche Steigerung im Enthusiasmus tur den gepriesenen Baron Kübel dadurch stattfand; er zeigte sich dadurch als den einsichtsvollsten und energisch eingrei¬ fenden Staatsrechner, der auch wirklich vor allgemeinem Sturz rettete. Vielleicht erinnern Sie sich auch des I>o" mot, das diese günstige Maßregel provocirte: Kübel gibt Acht! (näm¬ lich 108 und 98, was in der Geschäftssprache mit 8 ausgedrückt wird) denn auf das Wort des Ministers öffnete sich auch der Privatcredit. Wenn der Finanzpräsident 98 für ein Pa¬ pier gibt, so kann ja der Geldbesitzer 97 vorstrecken zu billigem Course; und die Effecteninha¬ ber waren nicht zum Losschlagen gedrängt. Sie werden es daher begreiflich finden, daß alle Lobposauncn für den Finanzpräsidcnten angestimmt wurden, und sogar die letzte Anleihe, trotz der augenscheinlichen schweren Bedingnisse tüchtige Parteinchmer fand, indem man auf die v^rb-i eines so bewährten mnftistn schwor. -- Da kam die Ferrara-Geschichte, Recht oder Unrecht -- das ist der Geschäftswelt gleichviel; nicht ein einziger verständiger Mensch bezwei¬ felt aber, daß es unpolitisch war, jetzt von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Rech¬ nen Sie zu diesen italienischen Wirren den Einfluß des Londoner Geldmarktes, und die ge¬ täuschte Erwartung, daß die Körncrprcise bedeutend fallen werden (an der heutigen Schranne galt der östcrreich. Metzen Waizen 13 f. W. W. circa 3 Thlr. 12 Gr.) -- so haben Sie ziemlich die stärksten Fäden, die eine neue Calamität herbeiführten. Seit 14 Tagen sinken die Fonds und heute waren sie -- Null!! Glauben Sie nicht, daß das eine Phrase ist, der Courszettel, der soeben ausgegeben wird, enthält gar keine Ziffer, und er wird deshalb als Rarität in alle Welt verschickt. Heute Morgen ging das Gerücht, Baron Kübel werde zur Erleichterung der Börse für 10 Millionen übernehmen; noch Vormittags ließ Rothschild in's Caffee sagen: wenn der Financier Papiere nimmt, so nehme er auch für 3 Millionen. -- Alles war froh und schöpfte leichter Athem. Das wäre wieder ein Succurs gewesen. Mit¬ tags an der Börse kam aber statt Hülfe Vernichtung. Der beeidete Sensal Bognar erklärte: die Finanzkammcr nehme blos 5 und 4 Proc. Staatsobligationen, industrielle Papiere aber nicht mehr. -- -- -- Welchen Eindruck diese Mittheilung machte, durch welche in demselben Momente Millionen und Millionen in die Luft flogen, mögen sie daraus entneh¬ men, daß sogleich eines der wenigen Häuser (Fogges) erklärte, seine Verbindlichkeiten nicht einzuhalten. Ohnmachten und blasse Gesichter auf allen Seiten verstehen sich von selbst, wo ein Wort das ganze Vermögen hinrafft. Der annoncirende Sensal selbst war so ergriffen, daß er, die Schranken langsam durchgehend, die Worte kaum aus der gepreßten Kehle hervor¬ brachte, für die ich auch nicht stehe, sondern blos den Sinn reserire. Die erste Wirkung war nun ein Feilbieten ->, tont prix; Nordbahn gegen von 154 auf 140, Mailänder von I0S auf IVI, Pesthcr von 98 aus 90 u. s. w,, aber es war leicht Feilbieten, wo kein' Abnehmer zu finden. Offen erklärten die großen Häuser wie die kleinen Händler, daß sie kein Wort halten, keine Hand geben, wie man es nennt. Es war eine allgemeine Demoralisation, eine vollstän¬ dige Auflösung. Soll ich Ihnen etwa die Aeußerungen berichten, die da und dort sielen? Ich fürchte sehr, daß selbst Ihre mäßige Censur sie nicht passiren lassen könnte. Es soll nur Wunder neh¬ men, wenn die Polizei nicht hinterher noch wegen injuriöser Reden einige Bettler von der Börse wegführt; der Börsencommissair ließ ohnehin schon einige Worte fallen von: selbstver¬ schuldet u, tgi. nach der Manier, wie die geprügelten Soldaten eigenhändig die Bank weg¬ tragen müssen. Ueber die Ursachen, welche den Finanzpräsidenten zu diesem niederschmetternder Schritte verleiteten, nicht leiteten, coursiren natürlich die blindesten Gerüchte. Anfangs glaubte man, es müsse eine politische Nachricht eingelaufen sein, Andere waren der Ansicht, der Staatsrath hätte sich gegen diese Belastung des Staatsvermögens in so bedrängter Zeit ausgesprochen. Wieder eine neuere Verston lautet, Baron Kübel habe erfahren, daß mit seiner Maßregel Mißbrauch heimlich vorbereitet war und daher um so fürchterlicher traf"). Daß die Creditkasse, die *) Wir lassen hier nachträglich einen Brief folgen, der für unser letztes Heft zu spät ein¬
lief, der aber jetzt noch, obschon der kritische Moment vorüber ist, dennoch von Interesse ist. Wien, Samstag 18. September, Nachmittag ^4 Uhr. Notiren Sie Tag und Stunde genau, denn nicht blos in der Wiener Geschäftswelt, sondern in welchem Winkel immer ein Mann lebt, der durch Rechnen sein Hauswesen führt und Ordnung hält, wird diesen Moment als einen schweren und bedeutungsvollen vormerken. — Wie überall war auch hier der Fonds¬ markt gedrückt; nicht die Wucherer und Makler, sondern die solidesten Firmen, die respcctabel- sten Kaufleute wurden herabgerissen in die Kalamität, und das einsehend hat der Finanzchef proclamiren lassen, er übernehme Eisenbahnpapiere, Mailänder zu 108, Pesther zu 98. — Sie erinnern sich wohl noch, welche Steigerung im Enthusiasmus tur den gepriesenen Baron Kübel dadurch stattfand; er zeigte sich dadurch als den einsichtsvollsten und energisch eingrei¬ fenden Staatsrechner, der auch wirklich vor allgemeinem Sturz rettete. Vielleicht erinnern Sie sich auch des I>o» mot, das diese günstige Maßregel provocirte: Kübel gibt Acht! (näm¬ lich 108 und 98, was in der Geschäftssprache mit 8 ausgedrückt wird) denn auf das Wort des Ministers öffnete sich auch der Privatcredit. Wenn der Finanzpräsident 98 für ein Pa¬ pier gibt, so kann ja der Geldbesitzer 97 vorstrecken zu billigem Course; und die Effecteninha¬ ber waren nicht zum Losschlagen gedrängt. Sie werden es daher begreiflich finden, daß alle Lobposauncn für den Finanzpräsidcnten angestimmt wurden, und sogar die letzte Anleihe, trotz der augenscheinlichen schweren Bedingnisse tüchtige Parteinchmer fand, indem man auf die v^rb-i eines so bewährten mnftistn schwor. — Da kam die Ferrara-Geschichte, Recht oder Unrecht — das ist der Geschäftswelt gleichviel; nicht ein einziger verständiger Mensch bezwei¬ felt aber, daß es unpolitisch war, jetzt von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Rech¬ nen Sie zu diesen italienischen Wirren den Einfluß des Londoner Geldmarktes, und die ge¬ täuschte Erwartung, daß die Körncrprcise bedeutend fallen werden (an der heutigen Schranne galt der östcrreich. Metzen Waizen 13 f. W. W. circa 3 Thlr. 12 Gr.) — so haben Sie ziemlich die stärksten Fäden, die eine neue Calamität herbeiführten. Seit 14 Tagen sinken die Fonds und heute waren sie — Null!! Glauben Sie nicht, daß das eine Phrase ist, der Courszettel, der soeben ausgegeben wird, enthält gar keine Ziffer, und er wird deshalb als Rarität in alle Welt verschickt. Heute Morgen ging das Gerücht, Baron Kübel werde zur Erleichterung der Börse für 10 Millionen übernehmen; noch Vormittags ließ Rothschild in's Caffee sagen: wenn der Financier Papiere nimmt, so nehme er auch für 3 Millionen. — Alles war froh und schöpfte leichter Athem. Das wäre wieder ein Succurs gewesen. Mit¬ tags an der Börse kam aber statt Hülfe Vernichtung. Der beeidete Sensal Bognar erklärte: die Finanzkammcr nehme blos 5 und 4 Proc. Staatsobligationen, industrielle Papiere aber nicht mehr. — — — Welchen Eindruck diese Mittheilung machte, durch welche in demselben Momente Millionen und Millionen in die Luft flogen, mögen sie daraus entneh¬ men, daß sogleich eines der wenigen Häuser (Fogges) erklärte, seine Verbindlichkeiten nicht einzuhalten. Ohnmachten und blasse Gesichter auf allen Seiten verstehen sich von selbst, wo ein Wort das ganze Vermögen hinrafft. Der annoncirende Sensal selbst war so ergriffen, daß er, die Schranken langsam durchgehend, die Worte kaum aus der gepreßten Kehle hervor¬ brachte, für die ich auch nicht stehe, sondern blos den Sinn reserire. Die erste Wirkung war nun ein Feilbieten ->, tont prix; Nordbahn gegen von 154 auf 140, Mailänder von I0S auf IVI, Pesthcr von 98 aus 90 u. s. w,, aber es war leicht Feilbieten, wo kein' Abnehmer zu finden. Offen erklärten die großen Häuser wie die kleinen Händler, daß sie kein Wort halten, keine Hand geben, wie man es nennt. Es war eine allgemeine Demoralisation, eine vollstän¬ dige Auflösung. Soll ich Ihnen etwa die Aeußerungen berichten, die da und dort sielen? Ich fürchte sehr, daß selbst Ihre mäßige Censur sie nicht passiren lassen könnte. Es soll nur Wunder neh¬ men, wenn die Polizei nicht hinterher noch wegen injuriöser Reden einige Bettler von der Börse wegführt; der Börsencommissair ließ ohnehin schon einige Worte fallen von: selbstver¬ schuldet u, tgi. nach der Manier, wie die geprügelten Soldaten eigenhändig die Bank weg¬ tragen müssen. Ueber die Ursachen, welche den Finanzpräsidenten zu diesem niederschmetternder Schritte verleiteten, nicht leiteten, coursiren natürlich die blindesten Gerüchte. Anfangs glaubte man, es müsse eine politische Nachricht eingelaufen sein, Andere waren der Ansicht, der Staatsrath hätte sich gegen diese Belastung des Staatsvermögens in so bedrängter Zeit ausgesprochen. Wieder eine neuere Verston lautet, Baron Kübel habe erfahren, daß mit seiner Maßregel Mißbrauch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184818"/> <p xml:id="ID_190" prev="#ID_189"> heimlich vorbereitet war und daher um so fürchterlicher traf"). Daß die Creditkasse, die<lb/> ungeheuren Ankäufe nicht lange mehr fortsetzen werde können, mußte sich Jeder voraus¬<lb/> sagen, und da man durch Erfahrung etwas klüger geworden war, so hat man dieses</p><lb/> <note xml:id="FID_3" place="foot" next="#FID_4"> <p xml:id="ID_191"> *) Wir lassen hier nachträglich einen Brief folgen, der für unser letztes Heft zu spät ein¬<lb/> lief, der aber jetzt noch, obschon der kritische Moment vorüber ist, dennoch von Interesse ist.</p> <p xml:id="ID_192"> Wien, Samstag 18. September, Nachmittag ^4 Uhr. Notiren Sie Tag und Stunde<lb/> genau, denn nicht blos in der Wiener Geschäftswelt, sondern in welchem Winkel immer ein<lb/> Mann lebt, der durch Rechnen sein Hauswesen führt und Ordnung hält, wird diesen Moment<lb/> als einen schweren und bedeutungsvollen vormerken. — Wie überall war auch hier der Fonds¬<lb/> markt gedrückt; nicht die Wucherer und Makler, sondern die solidesten Firmen, die respcctabel-<lb/> sten Kaufleute wurden herabgerissen in die Kalamität, und das einsehend hat der Finanzchef<lb/> proclamiren lassen, er übernehme Eisenbahnpapiere, Mailänder zu 108, Pesther zu 98. —<lb/> Sie erinnern sich wohl noch, welche Steigerung im Enthusiasmus tur den gepriesenen Baron<lb/> Kübel dadurch stattfand; er zeigte sich dadurch als den einsichtsvollsten und energisch eingrei¬<lb/> fenden Staatsrechner, der auch wirklich vor allgemeinem Sturz rettete. Vielleicht erinnern<lb/> Sie sich auch des I>o» mot, das diese günstige Maßregel provocirte: Kübel gibt Acht! (näm¬<lb/> lich 108 und 98, was in der Geschäftssprache mit 8 ausgedrückt wird) denn auf das Wort<lb/> des Ministers öffnete sich auch der Privatcredit. Wenn der Finanzpräsident 98 für ein Pa¬<lb/> pier gibt, so kann ja der Geldbesitzer 97 vorstrecken zu billigem Course; und die Effecteninha¬<lb/> ber waren nicht zum Losschlagen gedrängt. Sie werden es daher begreiflich finden, daß alle<lb/> Lobposauncn für den Finanzpräsidcnten angestimmt wurden, und sogar die letzte Anleihe, trotz<lb/> der augenscheinlichen schweren Bedingnisse tüchtige Parteinchmer fand, indem man auf die<lb/> v^rb-i eines so bewährten mnftistn schwor. — Da kam die Ferrara-Geschichte, Recht oder<lb/> Unrecht — das ist der Geschäftswelt gleichviel; nicht ein einziger verständiger Mensch bezwei¬<lb/> felt aber, daß es unpolitisch war, jetzt von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Rech¬<lb/> nen Sie zu diesen italienischen Wirren den Einfluß des Londoner Geldmarktes, und die ge¬<lb/> täuschte Erwartung, daß die Körncrprcise bedeutend fallen werden (an der heutigen Schranne<lb/> galt der östcrreich. Metzen Waizen 13 f. W. W. circa 3 Thlr. 12 Gr.) — so haben Sie<lb/> ziemlich die stärksten Fäden, die eine neue Calamität herbeiführten. Seit 14 Tagen sinken<lb/> die Fonds und heute waren sie — Null!! Glauben Sie nicht, daß das eine Phrase ist, der<lb/> Courszettel, der soeben ausgegeben wird, enthält gar keine Ziffer, und er wird deshalb als<lb/> Rarität in alle Welt verschickt. Heute Morgen ging das Gerücht, Baron Kübel werde zur<lb/> Erleichterung der Börse für 10 Millionen übernehmen; noch Vormittags ließ Rothschild in's<lb/> Caffee sagen: wenn der Financier Papiere nimmt, so nehme er auch für 3 Millionen. —<lb/> Alles war froh und schöpfte leichter Athem. Das wäre wieder ein Succurs gewesen. Mit¬<lb/> tags an der Börse kam aber statt Hülfe Vernichtung. Der beeidete Sensal Bognar erklärte:<lb/> die Finanzkammcr nehme blos 5 und 4 Proc. Staatsobligationen, industrielle Papiere<lb/> aber nicht mehr. — — — Welchen Eindruck diese Mittheilung machte, durch welche in<lb/> demselben Momente Millionen und Millionen in die Luft flogen, mögen sie daraus entneh¬<lb/> men, daß sogleich eines der wenigen Häuser (Fogges) erklärte, seine Verbindlichkeiten nicht<lb/> einzuhalten. Ohnmachten und blasse Gesichter auf allen Seiten verstehen sich von selbst, wo<lb/> ein Wort das ganze Vermögen hinrafft. Der annoncirende Sensal selbst war so ergriffen,<lb/> daß er, die Schranken langsam durchgehend, die Worte kaum aus der gepreßten Kehle hervor¬<lb/> brachte, für die ich auch nicht stehe, sondern blos den Sinn reserire. Die erste Wirkung war<lb/> nun ein Feilbieten ->, tont prix; Nordbahn gegen von 154 auf 140, Mailänder von I0S auf<lb/> IVI, Pesthcr von 98 aus 90 u. s. w,, aber es war leicht Feilbieten, wo kein' Abnehmer zu<lb/> finden. Offen erklärten die großen Häuser wie die kleinen Händler, daß sie kein Wort halten,<lb/> keine Hand geben, wie man es nennt. Es war eine allgemeine Demoralisation, eine vollstän¬<lb/> dige Auflösung.</p> <p xml:id="ID_193"> Soll ich Ihnen etwa die Aeußerungen berichten, die da und dort sielen? Ich fürchte<lb/> sehr, daß selbst Ihre mäßige Censur sie nicht passiren lassen könnte. Es soll nur Wunder neh¬<lb/> men, wenn die Polizei nicht hinterher noch wegen injuriöser Reden einige Bettler von der<lb/> Börse wegführt; der Börsencommissair ließ ohnehin schon einige Worte fallen von: selbstver¬<lb/> schuldet u, tgi. nach der Manier, wie die geprügelten Soldaten eigenhändig die Bank weg¬<lb/> tragen müssen.</p> <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Ueber die Ursachen, welche den Finanzpräsidenten zu diesem niederschmetternder Schritte<lb/> verleiteten, nicht leiteten, coursiren natürlich die blindesten Gerüchte. Anfangs glaubte man,<lb/> es müsse eine politische Nachricht eingelaufen sein, Andere waren der Ansicht, der Staatsrath<lb/> hätte sich gegen diese Belastung des Staatsvermögens in so bedrängter Zeit ausgesprochen.<lb/> Wieder eine neuere Verston lautet, Baron Kübel habe erfahren, daß mit seiner Maßregel Mißbrauch</p> </note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
heimlich vorbereitet war und daher um so fürchterlicher traf"). Daß die Creditkasse, die
ungeheuren Ankäufe nicht lange mehr fortsetzen werde können, mußte sich Jeder voraus¬
sagen, und da man durch Erfahrung etwas klüger geworden war, so hat man dieses
*) Wir lassen hier nachträglich einen Brief folgen, der für unser letztes Heft zu spät ein¬
lief, der aber jetzt noch, obschon der kritische Moment vorüber ist, dennoch von Interesse ist.
Wien, Samstag 18. September, Nachmittag ^4 Uhr. Notiren Sie Tag und Stunde
genau, denn nicht blos in der Wiener Geschäftswelt, sondern in welchem Winkel immer ein
Mann lebt, der durch Rechnen sein Hauswesen führt und Ordnung hält, wird diesen Moment
als einen schweren und bedeutungsvollen vormerken. — Wie überall war auch hier der Fonds¬
markt gedrückt; nicht die Wucherer und Makler, sondern die solidesten Firmen, die respcctabel-
sten Kaufleute wurden herabgerissen in die Kalamität, und das einsehend hat der Finanzchef
proclamiren lassen, er übernehme Eisenbahnpapiere, Mailänder zu 108, Pesther zu 98. —
Sie erinnern sich wohl noch, welche Steigerung im Enthusiasmus tur den gepriesenen Baron
Kübel dadurch stattfand; er zeigte sich dadurch als den einsichtsvollsten und energisch eingrei¬
fenden Staatsrechner, der auch wirklich vor allgemeinem Sturz rettete. Vielleicht erinnern
Sie sich auch des I>o» mot, das diese günstige Maßregel provocirte: Kübel gibt Acht! (näm¬
lich 108 und 98, was in der Geschäftssprache mit 8 ausgedrückt wird) denn auf das Wort
des Ministers öffnete sich auch der Privatcredit. Wenn der Finanzpräsident 98 für ein Pa¬
pier gibt, so kann ja der Geldbesitzer 97 vorstrecken zu billigem Course; und die Effecteninha¬
ber waren nicht zum Losschlagen gedrängt. Sie werden es daher begreiflich finden, daß alle
Lobposauncn für den Finanzpräsidcnten angestimmt wurden, und sogar die letzte Anleihe, trotz
der augenscheinlichen schweren Bedingnisse tüchtige Parteinchmer fand, indem man auf die
v^rb-i eines so bewährten mnftistn schwor. — Da kam die Ferrara-Geschichte, Recht oder
Unrecht — das ist der Geschäftswelt gleichviel; nicht ein einziger verständiger Mensch bezwei¬
felt aber, daß es unpolitisch war, jetzt von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Rech¬
nen Sie zu diesen italienischen Wirren den Einfluß des Londoner Geldmarktes, und die ge¬
täuschte Erwartung, daß die Körncrprcise bedeutend fallen werden (an der heutigen Schranne
galt der östcrreich. Metzen Waizen 13 f. W. W. circa 3 Thlr. 12 Gr.) — so haben Sie
ziemlich die stärksten Fäden, die eine neue Calamität herbeiführten. Seit 14 Tagen sinken
die Fonds und heute waren sie — Null!! Glauben Sie nicht, daß das eine Phrase ist, der
Courszettel, der soeben ausgegeben wird, enthält gar keine Ziffer, und er wird deshalb als
Rarität in alle Welt verschickt. Heute Morgen ging das Gerücht, Baron Kübel werde zur
Erleichterung der Börse für 10 Millionen übernehmen; noch Vormittags ließ Rothschild in's
Caffee sagen: wenn der Financier Papiere nimmt, so nehme er auch für 3 Millionen. —
Alles war froh und schöpfte leichter Athem. Das wäre wieder ein Succurs gewesen. Mit¬
tags an der Börse kam aber statt Hülfe Vernichtung. Der beeidete Sensal Bognar erklärte:
die Finanzkammcr nehme blos 5 und 4 Proc. Staatsobligationen, industrielle Papiere
aber nicht mehr. — — — Welchen Eindruck diese Mittheilung machte, durch welche in
demselben Momente Millionen und Millionen in die Luft flogen, mögen sie daraus entneh¬
men, daß sogleich eines der wenigen Häuser (Fogges) erklärte, seine Verbindlichkeiten nicht
einzuhalten. Ohnmachten und blasse Gesichter auf allen Seiten verstehen sich von selbst, wo
ein Wort das ganze Vermögen hinrafft. Der annoncirende Sensal selbst war so ergriffen,
daß er, die Schranken langsam durchgehend, die Worte kaum aus der gepreßten Kehle hervor¬
brachte, für die ich auch nicht stehe, sondern blos den Sinn reserire. Die erste Wirkung war
nun ein Feilbieten ->, tont prix; Nordbahn gegen von 154 auf 140, Mailänder von I0S auf
IVI, Pesthcr von 98 aus 90 u. s. w,, aber es war leicht Feilbieten, wo kein' Abnehmer zu
finden. Offen erklärten die großen Häuser wie die kleinen Händler, daß sie kein Wort halten,
keine Hand geben, wie man es nennt. Es war eine allgemeine Demoralisation, eine vollstän¬
dige Auflösung.
Soll ich Ihnen etwa die Aeußerungen berichten, die da und dort sielen? Ich fürchte
sehr, daß selbst Ihre mäßige Censur sie nicht passiren lassen könnte. Es soll nur Wunder neh¬
men, wenn die Polizei nicht hinterher noch wegen injuriöser Reden einige Bettler von der
Börse wegführt; der Börsencommissair ließ ohnehin schon einige Worte fallen von: selbstver¬
schuldet u, tgi. nach der Manier, wie die geprügelten Soldaten eigenhändig die Bank weg¬
tragen müssen.
Ueber die Ursachen, welche den Finanzpräsidenten zu diesem niederschmetternder Schritte
verleiteten, nicht leiteten, coursiren natürlich die blindesten Gerüchte. Anfangs glaubte man,
es müsse eine politische Nachricht eingelaufen sein, Andere waren der Ansicht, der Staatsrath
hätte sich gegen diese Belastung des Staatsvermögens in so bedrängter Zeit ausgesprochen.
Wieder eine neuere Verston lautet, Baron Kübel habe erfahren, daß mit seiner Maßregel Mißbrauch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |