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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Ein großer Theil des Adels trachtet diesen Winter so fern als möglich von Ga-
lizien zu bleiben, und viele Pässe sind ertheilt worden. Auch die Fürstin Savieha ist
dieser Tage nach Paris abgereist, während ihr Gatte nebst ihrem Sohne bereits seit
einigen Wochen sich in London befindet. Sie erinnern sich wohl noch an die aben-
theuerlich romantische Rolle, welche Wiener Zcitungscorrcspondcnten die Fürstin in dem
Aufstandsversuchc spielen ließen, wie sie den früheren Gouverneur durch ihre außer¬
ordentliche Schönheit zu verlocken gewußt haben soll, wie sie Kokarden, Schärpen oder
Gott weiß was Alles an junge Leute ausgetheilt haben sott u. s. w. An dem Allem
war kein wahres Wort, wie schon der Umstand beweist, daß sie nicht zur Untersuchung
gezogen wurde. Die Fürstin ist eine stattliche Frau von 34--36 Jahren, mit großen
feurigen Augen, aber die Zeit ihrer Schönheit ist vorüber, und wenn man einen Sohn
von 18 Jahren ans Reisen schickt, ist die Zeit um, Gouverneure zu verführen.

Was unsern neuen Gouverneur betrifft, so ist sein Stand zwar ein schwerer, doch
hat er einen bessern Zeitpunkt gefunden, als sein Bruder Graf Rudolph Stadion, der ans
kurze Zeit hier als kaiserlicher Commissär fungirte. Die Gemüther, die damals noch sammt
und sonders wild und aufgeregt waren, sind jetzt zwar nicht versöhnter, aber abge¬
spannter, apathischer geworden. Viele Adelige, die große Verluste an ihrem Vermögen
erlitten haben, wünschen Ruhe, um sich erholen zu können. Andere, deren Verwandte
in Untersuchungen sich befinden oder bereits verurtheilt sind, suchen durch Negvtiation
Erleichterung und Gnadcnsprüche zu erwirken, und so findet der neue Gouverneur viel
gebahntere Wege als sein interimistischer Vorgänger. Das Vertrauen zu ihm ist größer
und gibt sich in manchem einzelnen kund. Es cirkuliren mehrere Anecdoten über ihn,
die ihn von guter Seite darstellen und dies ist immer ein Thermometer für die öffent¬
liche Meinung. Auch Baron Kraus, der neue Viccprästdent, wird sehr gerühmt, ob-
schon die Polen behaupten, er sei dem Slaventhum innerlich nicht gewogen; doch wird
er einstimmig als eine Kapacität gerühmt, wie sie in unserer Bureaukratie sehr selten
erscheint. Bei seiner Ernennung hierher hat einer Ihrer Wiener Korrespondenten eine
Geschichte aufgetischt, die, wie ich von allen Seiten höre, durchaus die Erfindung eines
müssigen ÄopfeS ist.

Hoffen wir, daß unter der neu eingetretenen Administration nicht Dinge vorkom¬
men, die der deutschen Beamtenwelt zur Schmach gereichen, Dinge, wie sie die "Akten¬
stücke aus Galizien" (herausgegeben von einem Mähren. Leipzig, bei Engelmann) jüngst
veröffentlicht haben, eine Schrift, die hier, zwar in wenigen Exemplaren nur verbreitet,
dennoch großes Aufsehen macht. Wir wissen hier sehr wohl Wahres vom Falschen
zu unterscheiden und legen auf die eine Hälfte dieser Schrift, die sich als eine Art
geschriebener Zeitung documentirt, kein Gewicht. Aber der mittlere derselben, der
die Art enthüllt, wie einzelne Beamte bei den Ereignissen vor zwei Jahren verfuhren,
hat den ganzen Stempel der Authenticität und treibt Einem das Blut ins Gesicht.


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VIII.
Aus Wie".

Definitives Aufhören der Crct.ille.sse. -- Der 18. September. -- Zweierlei Folgen. -- Neue Nöthigung
ZU Reformen. -- Ein Artikel der Allg. Zeitung.

Das Ereigniß dieser Woche war das definitive Aufhören der am 18. Novbr.
vorigen Jahres errichteten außerordentlichen Crcditkasse zum Ankauf von Eisenbahnactien.
Diesmal war man besser zu Werke gegangen, als 14 Tage früher, wo der Schlag


Ein großer Theil des Adels trachtet diesen Winter so fern als möglich von Ga-
lizien zu bleiben, und viele Pässe sind ertheilt worden. Auch die Fürstin Savieha ist
dieser Tage nach Paris abgereist, während ihr Gatte nebst ihrem Sohne bereits seit
einigen Wochen sich in London befindet. Sie erinnern sich wohl noch an die aben-
theuerlich romantische Rolle, welche Wiener Zcitungscorrcspondcnten die Fürstin in dem
Aufstandsversuchc spielen ließen, wie sie den früheren Gouverneur durch ihre außer¬
ordentliche Schönheit zu verlocken gewußt haben soll, wie sie Kokarden, Schärpen oder
Gott weiß was Alles an junge Leute ausgetheilt haben sott u. s. w. An dem Allem
war kein wahres Wort, wie schon der Umstand beweist, daß sie nicht zur Untersuchung
gezogen wurde. Die Fürstin ist eine stattliche Frau von 34—36 Jahren, mit großen
feurigen Augen, aber die Zeit ihrer Schönheit ist vorüber, und wenn man einen Sohn
von 18 Jahren ans Reisen schickt, ist die Zeit um, Gouverneure zu verführen.

Was unsern neuen Gouverneur betrifft, so ist sein Stand zwar ein schwerer, doch
hat er einen bessern Zeitpunkt gefunden, als sein Bruder Graf Rudolph Stadion, der ans
kurze Zeit hier als kaiserlicher Commissär fungirte. Die Gemüther, die damals noch sammt
und sonders wild und aufgeregt waren, sind jetzt zwar nicht versöhnter, aber abge¬
spannter, apathischer geworden. Viele Adelige, die große Verluste an ihrem Vermögen
erlitten haben, wünschen Ruhe, um sich erholen zu können. Andere, deren Verwandte
in Untersuchungen sich befinden oder bereits verurtheilt sind, suchen durch Negvtiation
Erleichterung und Gnadcnsprüche zu erwirken, und so findet der neue Gouverneur viel
gebahntere Wege als sein interimistischer Vorgänger. Das Vertrauen zu ihm ist größer
und gibt sich in manchem einzelnen kund. Es cirkuliren mehrere Anecdoten über ihn,
die ihn von guter Seite darstellen und dies ist immer ein Thermometer für die öffent¬
liche Meinung. Auch Baron Kraus, der neue Viccprästdent, wird sehr gerühmt, ob-
schon die Polen behaupten, er sei dem Slaventhum innerlich nicht gewogen; doch wird
er einstimmig als eine Kapacität gerühmt, wie sie in unserer Bureaukratie sehr selten
erscheint. Bei seiner Ernennung hierher hat einer Ihrer Wiener Korrespondenten eine
Geschichte aufgetischt, die, wie ich von allen Seiten höre, durchaus die Erfindung eines
müssigen ÄopfeS ist.

Hoffen wir, daß unter der neu eingetretenen Administration nicht Dinge vorkom¬
men, die der deutschen Beamtenwelt zur Schmach gereichen, Dinge, wie sie die „Akten¬
stücke aus Galizien" (herausgegeben von einem Mähren. Leipzig, bei Engelmann) jüngst
veröffentlicht haben, eine Schrift, die hier, zwar in wenigen Exemplaren nur verbreitet,
dennoch großes Aufsehen macht. Wir wissen hier sehr wohl Wahres vom Falschen
zu unterscheiden und legen auf die eine Hälfte dieser Schrift, die sich als eine Art
geschriebener Zeitung documentirt, kein Gewicht. Aber der mittlere derselben, der
die Art enthüllt, wie einzelne Beamte bei den Ereignissen vor zwei Jahren verfuhren,
hat den ganzen Stempel der Authenticität und treibt Einem das Blut ins Gesicht.


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VIII.
Aus Wie».

Definitives Aufhören der Crct.ille.sse. — Der 18. September. — Zweierlei Folgen. — Neue Nöthigung
ZU Reformen. — Ein Artikel der Allg. Zeitung.

Das Ereigniß dieser Woche war das definitive Aufhören der am 18. Novbr.
vorigen Jahres errichteten außerordentlichen Crcditkasse zum Ankauf von Eisenbahnactien.
Diesmal war man besser zu Werke gegangen, als 14 Tage früher, wo der Schlag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/53>, abgerufen am 12.12.2024.