Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deren der Fall ist, da eben Mangel an Einsicht sie viel leichter zur Beute ihrer
Beschützer werden läßt.

Alle diese Gründe lassen die gegenwärtigen Verhältnisse der befugten rechtlichen
Advokaten keineswegs als glänzend erscheinen, da sie gar nicht genug Rücksicht
gegen ihre Parteien nehmen könne", um sich solche zu erhalten, und insbesondere
ein Theil des Adels (durch die in's Unglaubliche gehende Zudringlichkeit der
Concurrenten) ihre mitunter äußerst ärmlichen Bestallungen von Zeit zu Zeit
immer noch mehr verringert.

Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, wenn der Advokaten¬
stand immer mehr dcmoralistrt wird, besonders da durch deu Mangel an Oeffent-
lichkeit und durch viele andere Verhältnisse das moralische Bewußtsein auch im
Publikum schwach ist, und die tägliche Erfahrung lehrt, daß Advokaten, welche
sich, wie es landeskundig ist, wiederholt Prellereien oder Betrügereien jeder Art
schuldig gemacht haben, oder als Erbschleicher gebrandmarkt dastehen, sich nicht
allein eines- zahlreichen Zuspruchs mitunter selbst von rechtlichen Leuten zu erfreuen
haben, sondern daß sogar solche, welche durch ihre Mithülfe einen ihrer Clienten sammt
dessen Familie einer völligen Verarmung zugeführt haben, noch immer das volle
Vertrauen der nächsten Freunde und Verwandten ihrer Opfer genießen, obgleich
auch diese selbst bereits wiederholt von ihnen auf die empfindlichste Weise getäuscht
wurden. --

Eine besondere Einkommensquelle herabgekommener Advokaten bleibt auch,
wie bereits erwähnt, der Verkauf ihrer Firma an Winkelschreiber, um diesen auch
die Vertretung bei den Gerichten der Hauptstadt möglich zu machen, wofür sie sich
dann entweder stückweise mit 20 oder auch nur l0 Kreuzer für eine Unterschrift,
oder mit einer jährlichen Bestallung, welche sich mitunter bis auf C00 Fi. für das
Jahr belaufen soll, bezahlen lassen. Es soll sogar vorkommen, daß ein befugter
Advokat als Amanuensis in der Canzlei seines Brodherrn, nämlich des ihn bezah¬
lenden Winkelschreibers, fungirt; wie es auch denn bereits vorgekommen ist, daß
ein solcher im Solde der Winkelschreiber stehender Advokat, der seinen angeblichen
Clienten häufig gar nicht kennt, bei einer Tagsatzung ans Irrthum diesen seinen
Clienten selbst, statt des Gegners, contumazirte, -- was in Böhmen leider Alles
ohne irgend eine empfindlichere Ahndung durchgeht.

Daß nun solche Individuen als Advokaten den Zustand der Justiz unsers Lan¬
des immermehr herabbringen müssen, unterliegt gewiß keinem Zweifel und es ist
ganz ausgemacht, daß sie an dem größeren Theile der jetzt zur Regel gewordenen
Verzögerungen und Chicaue die Schuld tragen.

Gerade durch den Zwang, sich von einem befugten Advokaten vertreten
zu lassen, wird man nur besser und wohlfeiler bedient werden. Man hebe allen
Zunftzwang unter den Advokaten ans, lasse jeden, der die hierzu nöthi¬
gen Eigenschaften ausgewiesen hat, seine Praxis da ausüben, wo es


Gr-nzbottn. IV. 61

deren der Fall ist, da eben Mangel an Einsicht sie viel leichter zur Beute ihrer
Beschützer werden läßt.

Alle diese Gründe lassen die gegenwärtigen Verhältnisse der befugten rechtlichen
Advokaten keineswegs als glänzend erscheinen, da sie gar nicht genug Rücksicht
gegen ihre Parteien nehmen könne», um sich solche zu erhalten, und insbesondere
ein Theil des Adels (durch die in's Unglaubliche gehende Zudringlichkeit der
Concurrenten) ihre mitunter äußerst ärmlichen Bestallungen von Zeit zu Zeit
immer noch mehr verringert.

Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, wenn der Advokaten¬
stand immer mehr dcmoralistrt wird, besonders da durch deu Mangel an Oeffent-
lichkeit und durch viele andere Verhältnisse das moralische Bewußtsein auch im
Publikum schwach ist, und die tägliche Erfahrung lehrt, daß Advokaten, welche
sich, wie es landeskundig ist, wiederholt Prellereien oder Betrügereien jeder Art
schuldig gemacht haben, oder als Erbschleicher gebrandmarkt dastehen, sich nicht
allein eines- zahlreichen Zuspruchs mitunter selbst von rechtlichen Leuten zu erfreuen
haben, sondern daß sogar solche, welche durch ihre Mithülfe einen ihrer Clienten sammt
dessen Familie einer völligen Verarmung zugeführt haben, noch immer das volle
Vertrauen der nächsten Freunde und Verwandten ihrer Opfer genießen, obgleich
auch diese selbst bereits wiederholt von ihnen auf die empfindlichste Weise getäuscht
wurden. —

Eine besondere Einkommensquelle herabgekommener Advokaten bleibt auch,
wie bereits erwähnt, der Verkauf ihrer Firma an Winkelschreiber, um diesen auch
die Vertretung bei den Gerichten der Hauptstadt möglich zu machen, wofür sie sich
dann entweder stückweise mit 20 oder auch nur l0 Kreuzer für eine Unterschrift,
oder mit einer jährlichen Bestallung, welche sich mitunter bis auf C00 Fi. für das
Jahr belaufen soll, bezahlen lassen. Es soll sogar vorkommen, daß ein befugter
Advokat als Amanuensis in der Canzlei seines Brodherrn, nämlich des ihn bezah¬
lenden Winkelschreibers, fungirt; wie es auch denn bereits vorgekommen ist, daß
ein solcher im Solde der Winkelschreiber stehender Advokat, der seinen angeblichen
Clienten häufig gar nicht kennt, bei einer Tagsatzung ans Irrthum diesen seinen
Clienten selbst, statt des Gegners, contumazirte, — was in Böhmen leider Alles
ohne irgend eine empfindlichere Ahndung durchgeht.

Daß nun solche Individuen als Advokaten den Zustand der Justiz unsers Lan¬
des immermehr herabbringen müssen, unterliegt gewiß keinem Zweifel und es ist
ganz ausgemacht, daß sie an dem größeren Theile der jetzt zur Regel gewordenen
Verzögerungen und Chicaue die Schuld tragen.

Gerade durch den Zwang, sich von einem befugten Advokaten vertreten
zu lassen, wird man nur besser und wohlfeiler bedient werden. Man hebe allen
Zunftzwang unter den Advokaten ans, lasse jeden, der die hierzu nöthi¬
gen Eigenschaften ausgewiesen hat, seine Praxis da ausüben, wo es


Gr-nzbottn. IV. 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185241"/>
            <p xml:id="ID_1582" prev="#ID_1581"> deren der Fall ist, da eben Mangel an Einsicht sie viel leichter zur Beute ihrer<lb/>
Beschützer werden läßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1583"> Alle diese Gründe lassen die gegenwärtigen Verhältnisse der befugten rechtlichen<lb/>
Advokaten keineswegs als glänzend erscheinen, da sie gar nicht genug Rücksicht<lb/>
gegen ihre Parteien nehmen könne», um sich solche zu erhalten, und insbesondere<lb/>
ein Theil des Adels (durch die in's Unglaubliche gehende Zudringlichkeit der<lb/>
Concurrenten) ihre mitunter äußerst ärmlichen Bestallungen von Zeit zu Zeit<lb/>
immer noch mehr verringert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1584"> Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, wenn der Advokaten¬<lb/>
stand immer mehr dcmoralistrt wird, besonders da durch deu Mangel an Oeffent-<lb/>
lichkeit und durch viele andere Verhältnisse das moralische Bewußtsein auch im<lb/>
Publikum schwach ist, und die tägliche Erfahrung lehrt, daß Advokaten, welche<lb/>
sich, wie es landeskundig ist, wiederholt Prellereien oder Betrügereien jeder Art<lb/>
schuldig gemacht haben, oder als Erbschleicher gebrandmarkt dastehen, sich nicht<lb/>
allein eines- zahlreichen Zuspruchs mitunter selbst von rechtlichen Leuten zu erfreuen<lb/>
haben, sondern daß sogar solche, welche durch ihre Mithülfe einen ihrer Clienten sammt<lb/>
dessen Familie einer völligen Verarmung zugeführt haben, noch immer das volle<lb/>
Vertrauen der nächsten Freunde und Verwandten ihrer Opfer genießen, obgleich<lb/>
auch diese selbst bereits wiederholt von ihnen auf die empfindlichste Weise getäuscht<lb/>
wurden. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1585"> Eine besondere Einkommensquelle herabgekommener Advokaten bleibt auch,<lb/>
wie bereits erwähnt, der Verkauf ihrer Firma an Winkelschreiber, um diesen auch<lb/>
die Vertretung bei den Gerichten der Hauptstadt möglich zu machen, wofür sie sich<lb/>
dann entweder stückweise mit 20 oder auch nur l0 Kreuzer für eine Unterschrift,<lb/>
oder mit einer jährlichen Bestallung, welche sich mitunter bis auf C00 Fi. für das<lb/>
Jahr belaufen soll, bezahlen lassen. Es soll sogar vorkommen, daß ein befugter<lb/>
Advokat als Amanuensis in der Canzlei seines Brodherrn, nämlich des ihn bezah¬<lb/>
lenden Winkelschreibers, fungirt; wie es auch denn bereits vorgekommen ist, daß<lb/>
ein solcher im Solde der Winkelschreiber stehender Advokat, der seinen angeblichen<lb/>
Clienten häufig gar nicht kennt, bei einer Tagsatzung ans Irrthum diesen seinen<lb/>
Clienten selbst, statt des Gegners, contumazirte, &#x2014; was in Böhmen leider Alles<lb/>
ohne irgend eine empfindlichere Ahndung durchgeht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1586"> Daß nun solche Individuen als Advokaten den Zustand der Justiz unsers Lan¬<lb/>
des immermehr herabbringen müssen, unterliegt gewiß keinem Zweifel und es ist<lb/>
ganz ausgemacht, daß sie an dem größeren Theile der jetzt zur Regel gewordenen<lb/>
Verzögerungen und Chicaue die Schuld tragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1587" next="#ID_1588"> Gerade durch den Zwang, sich von einem befugten Advokaten vertreten<lb/>
zu lassen, wird man nur besser und wohlfeiler bedient werden. Man hebe allen<lb/>
Zunftzwang unter den Advokaten ans, lasse jeden, der die hierzu nöthi¬<lb/>
gen Eigenschaften ausgewiesen hat, seine Praxis da ausüben, wo es</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzbottn. IV. 61</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] deren der Fall ist, da eben Mangel an Einsicht sie viel leichter zur Beute ihrer Beschützer werden läßt. Alle diese Gründe lassen die gegenwärtigen Verhältnisse der befugten rechtlichen Advokaten keineswegs als glänzend erscheinen, da sie gar nicht genug Rücksicht gegen ihre Parteien nehmen könne», um sich solche zu erhalten, und insbesondere ein Theil des Adels (durch die in's Unglaubliche gehende Zudringlichkeit der Concurrenten) ihre mitunter äußerst ärmlichen Bestallungen von Zeit zu Zeit immer noch mehr verringert. Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, wenn der Advokaten¬ stand immer mehr dcmoralistrt wird, besonders da durch deu Mangel an Oeffent- lichkeit und durch viele andere Verhältnisse das moralische Bewußtsein auch im Publikum schwach ist, und die tägliche Erfahrung lehrt, daß Advokaten, welche sich, wie es landeskundig ist, wiederholt Prellereien oder Betrügereien jeder Art schuldig gemacht haben, oder als Erbschleicher gebrandmarkt dastehen, sich nicht allein eines- zahlreichen Zuspruchs mitunter selbst von rechtlichen Leuten zu erfreuen haben, sondern daß sogar solche, welche durch ihre Mithülfe einen ihrer Clienten sammt dessen Familie einer völligen Verarmung zugeführt haben, noch immer das volle Vertrauen der nächsten Freunde und Verwandten ihrer Opfer genießen, obgleich auch diese selbst bereits wiederholt von ihnen auf die empfindlichste Weise getäuscht wurden. — Eine besondere Einkommensquelle herabgekommener Advokaten bleibt auch, wie bereits erwähnt, der Verkauf ihrer Firma an Winkelschreiber, um diesen auch die Vertretung bei den Gerichten der Hauptstadt möglich zu machen, wofür sie sich dann entweder stückweise mit 20 oder auch nur l0 Kreuzer für eine Unterschrift, oder mit einer jährlichen Bestallung, welche sich mitunter bis auf C00 Fi. für das Jahr belaufen soll, bezahlen lassen. Es soll sogar vorkommen, daß ein befugter Advokat als Amanuensis in der Canzlei seines Brodherrn, nämlich des ihn bezah¬ lenden Winkelschreibers, fungirt; wie es auch denn bereits vorgekommen ist, daß ein solcher im Solde der Winkelschreiber stehender Advokat, der seinen angeblichen Clienten häufig gar nicht kennt, bei einer Tagsatzung ans Irrthum diesen seinen Clienten selbst, statt des Gegners, contumazirte, — was in Böhmen leider Alles ohne irgend eine empfindlichere Ahndung durchgeht. Daß nun solche Individuen als Advokaten den Zustand der Justiz unsers Lan¬ des immermehr herabbringen müssen, unterliegt gewiß keinem Zweifel und es ist ganz ausgemacht, daß sie an dem größeren Theile der jetzt zur Regel gewordenen Verzögerungen und Chicaue die Schuld tragen. Gerade durch den Zwang, sich von einem befugten Advokaten vertreten zu lassen, wird man nur besser und wohlfeiler bedient werden. Man hebe allen Zunftzwang unter den Advokaten ans, lasse jeden, der die hierzu nöthi¬ gen Eigenschaften ausgewiesen hat, seine Praxis da ausüben, wo es Gr-nzbottn. IV. 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/477>, abgerufen am 24.08.2024.