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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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sich aneinander rieben. Die ehemaligen Koryphäen des Berliner politischen Wochen¬
blatts traten gegen den bureaukratischen Despotismus in die Schranken, und der
alte Feind des preußischen Corpvralstocks, der indisch-katholische Hierophant und
Mystiker Görres warf dem Staat Friedrich des Großen den Handschuh hin. Leo
kam in eine mißliche Lage; in den Principien stimmte er mit dein bairischen Ca-
puciner überein, aber er war anch Protestant und preußischer Unterthan. Er hob
den Handschuh auf, und schrieb ein Meisterstück des protestantischen Jesuitismn",
in dem unter dem Schein der Apologie die Freiheit des weltlichen Wesens ver¬
rathen wurde. Die Jahrbücher fielen''über ihn her, und er denuncirte sie nun
öffentlich als ein jacobinisches und atheistisches Institut. Damals war noch die
Zeit Altenstein's, der allerdings im Begriff war, zu sinken; die Haller'sche Nestan-
ratioustheorie war uoch in der Opposition. Aber der Polizeistaat gerieth in
Schrecken, die Jahrbücher mußten ans Halle weichen, und Leo war nun das Haupt
der legitimen Partei. Die Gegner hatten noch auf der Universität das Ueberge-
wicht; es gab einige tragikomische Scenen, in welchen Leo's Anhänger und Schütz¬
linge bei der Habilitation zurückgewiesen wurden. In solchen Scenen zeugte übri¬
gens Leo, wenn er sich nicht von der Leidenschaft übermannen ließ, viel Muth
und Geschicklichkeit; so hatte er sich in einer Streitschrift gegen Diesterwcg zum
Schutz der Universitäten von seiner Hitze verleiten lassen, den Hallischen Studen¬
ten einige derbe Malicen zu sagen. Man wollte ihn austrommeln, aber Leo er¬
zwang sich durch Ruhe und Ausdauer znerst Gehör, endlich Anerkennung. Dieser
Muth gibt ihm aber keinen sittlichen Adel; in neuerer Zeit ist er in seiner Oppo¬
sition gegen die Sache der Freiheit nicht mehr theoretisch, er greift nicht die Grund¬
sätze an, soudern er heftet sich mit kleinlicher, hämischer Schadenfreude an die Er¬
scheinungen; er freuet sich, die Helden der Freiheit "klein zu machen", und zwar
durch armselige Witze oder geradezu dnrch Verleumdungen. Sein Princip ist bei
ihm zur fixen Idee geworden, er bewegt sich unfrei in dem einmal durck^Reflexion
gezogenen .Kreise, er kann die Geister-uicht los werden, die er muthwillig herauf¬
beschworen. Dieser Fanatismus, der kein Maaß und keine Schranke kennt, kann in
Berlin uicht angenehm sein, wo man auch das Bielersee mit einer zuckersüßen Miene
sagen, wo man auch Maulschellen in Glacehandschuhen austheilen muß. Leo
wird uus bleiben, als Löwe, als Original, als Mammuth; er wird die neuen
französischen Romane widerlegen, er wird die neue Orthographie der Länder- und
Städtenamen, die er zum Ergötzen des Publikums in seinem neuesten Werk be-
sMueu, mit Eifer fortsetzen; er wird fortfahren, gegen die französische Revolution
M Predigen, fortfahren, die Erde als ein Jammerthal zu schildern; aber er wird
nie eine geschichtliche Person sein. Die Literaturgeschichte wird ihn als eine Ku¬
riosität erwähnen, wenn nicht ein neuer Cervantes dem Ritter des umgekehrten
Idealismus zu einer humoristischen Figur erhebt.




so*

sich aneinander rieben. Die ehemaligen Koryphäen des Berliner politischen Wochen¬
blatts traten gegen den bureaukratischen Despotismus in die Schranken, und der
alte Feind des preußischen Corpvralstocks, der indisch-katholische Hierophant und
Mystiker Görres warf dem Staat Friedrich des Großen den Handschuh hin. Leo
kam in eine mißliche Lage; in den Principien stimmte er mit dein bairischen Ca-
puciner überein, aber er war anch Protestant und preußischer Unterthan. Er hob
den Handschuh auf, und schrieb ein Meisterstück des protestantischen Jesuitismn«,
in dem unter dem Schein der Apologie die Freiheit des weltlichen Wesens ver¬
rathen wurde. Die Jahrbücher fielen''über ihn her, und er denuncirte sie nun
öffentlich als ein jacobinisches und atheistisches Institut. Damals war noch die
Zeit Altenstein's, der allerdings im Begriff war, zu sinken; die Haller'sche Nestan-
ratioustheorie war uoch in der Opposition. Aber der Polizeistaat gerieth in
Schrecken, die Jahrbücher mußten ans Halle weichen, und Leo war nun das Haupt
der legitimen Partei. Die Gegner hatten noch auf der Universität das Ueberge-
wicht; es gab einige tragikomische Scenen, in welchen Leo's Anhänger und Schütz¬
linge bei der Habilitation zurückgewiesen wurden. In solchen Scenen zeugte übri¬
gens Leo, wenn er sich nicht von der Leidenschaft übermannen ließ, viel Muth
und Geschicklichkeit; so hatte er sich in einer Streitschrift gegen Diesterwcg zum
Schutz der Universitäten von seiner Hitze verleiten lassen, den Hallischen Studen¬
ten einige derbe Malicen zu sagen. Man wollte ihn austrommeln, aber Leo er¬
zwang sich durch Ruhe und Ausdauer znerst Gehör, endlich Anerkennung. Dieser
Muth gibt ihm aber keinen sittlichen Adel; in neuerer Zeit ist er in seiner Oppo¬
sition gegen die Sache der Freiheit nicht mehr theoretisch, er greift nicht die Grund¬
sätze an, soudern er heftet sich mit kleinlicher, hämischer Schadenfreude an die Er¬
scheinungen; er freuet sich, die Helden der Freiheit „klein zu machen", und zwar
durch armselige Witze oder geradezu dnrch Verleumdungen. Sein Princip ist bei
ihm zur fixen Idee geworden, er bewegt sich unfrei in dem einmal durck^Reflexion
gezogenen .Kreise, er kann die Geister-uicht los werden, die er muthwillig herauf¬
beschworen. Dieser Fanatismus, der kein Maaß und keine Schranke kennt, kann in
Berlin uicht angenehm sein, wo man auch das Bielersee mit einer zuckersüßen Miene
sagen, wo man auch Maulschellen in Glacehandschuhen austheilen muß. Leo
wird uus bleiben, als Löwe, als Original, als Mammuth; er wird die neuen
französischen Romane widerlegen, er wird die neue Orthographie der Länder- und
Städtenamen, die er zum Ergötzen des Publikums in seinem neuesten Werk be-
sMueu, mit Eifer fortsetzen; er wird fortfahren, gegen die französische Revolution
M Predigen, fortfahren, die Erde als ein Jammerthal zu schildern; aber er wird
nie eine geschichtliche Person sein. Die Literaturgeschichte wird ihn als eine Ku¬
riosität erwähnen, wenn nicht ein neuer Cervantes dem Ritter des umgekehrten
Idealismus zu einer humoristischen Figur erhebt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/471>, abgerufen am 22.07.2024.