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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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ganze Geschichte ausgestrichen. In dieser Marotte kam Leo init den mystischen
Naturphilosophen und der Ottfried Müller'schen Schule überein, die ihre Mikros¬
kope so lange schärfte, bis sie miegt nichts mehr sah, und die in die absolute Leere
des halb mythischen Zeitalters durch ein Gewebe willkürlicher Combinationen ein
Pfaffen- und Adclsrcich hineindichtete, in dem sich der Quietismus der unhistori¬
schen Historie ein bequemes Ruhebett aufschlagen konnte.

In dieser Art geht der Kreuzzug gegen alle Revolutionen, d. h. alle ge¬
schichtliche Bewegungen, wo man mit Ideen, mit Absicht und Zweck zu Werke ging,
weiter fort; die Geschichte wird endlich eine Capucinade gegen die gottverdammter
Jacobiner. Wenn in der französischen Revolution ein paar Gardisten blessirt wer¬
den, so erhebt Leo ein Zetergeschrei; gegen das Blut, das auf den Schlachtfeldern
fließt, ist er unempfindlich. Ja er läßt Gustav III. sehr hart an, daß er seine
Staatsveränderung ohne Blutvergießen in's Werk gesetzt, denn das zeige, daß
sie ohne sittlichen Ernst vollzogen sei. Wenn der wüsteste Despotismus, die bru¬
talste Gewalt sich geltend macht, so wird das wenigstens natürlich gefunden; wenn
aber im Namen der Freiheit, der Menschenrechte, der Vernunft das Staatswesen
verändert, wenn das alte Unkraut ausgejätet wird, so sieht Leo den Gottseibeiuns leib¬
haftig vor sich. Nur dadurch kann sich eine Revolution bei ihm legitimiren, daß etwas
Mystik, Unklarheit und Verworrenheit hineingemischt wird. So rühmt Leo an. der
Reformation, die ihm eigentlich herzlich zuwider sein mußte, die Energie, mit der
Luther die Nothwendigkeit des Glaubens und der Gnade, und die Nutzlosigkeit der
guten Werke ausgesprochen habe. Im Ganzen ist es das wohlbekannte Gesicht
Friedrich Schlegel's, der nach seiner Apostasie die Schamlosigkeit hatte, in einem
Abriß der Geschichte zu Gunsten seiner alleinseligmachenden Kirche alle Wahrheit
und Vernunft mit Füßen zu treten, einen Alba, Ferdinand II., Philipp II. als
die edelsten Helden zu feiern, und die Jesuiten als die Märtyrer des wahren
Glaubens zu verehren.

Leo hatte in seiner Jugendblüthe mit der Hegel'scheu Philosophie coquettirt;
nicht daß er irgendwie auch nur versucht hätte, in ihren Zusammenhang einzudringen,
aber er hatte einige glänzende Apercus daraus gezogen, und sie mit seinen poe¬
tisch-doctrinären Einfällen in einen ziemlich verworrenen Brei zusammengerührt.
Als es nun mit der Sache eine andere Wendung nahm, als die jüngere Schule
Hegel's die kühnen Consequenzen des Systems zog, das der Meister mit scholasti¬
schen Formeln überdeckt hatte, als rasch hintereinander Strauß und Feuerbach das
Christenthum in seinen Fundamenten unterwühlten, als die junge Richtung in Halle
selbst ein Organ fand, das mit allem Ungestüm einer neuentdeckten Wahrheit, mit
dem Uebermuth der frisch gewonnenen Freiheit nach allen Seiten um sich schlug,
da wurde sich Leo über seinen Standpunkt klar, und erklärte der Philosophie über¬
haupt den Krieg. Damals hatten die Kölner Wirren Veranlassung gegeben, daß
die beiden Gegensätze im Lager der Heiligen, der Absolutismus und die Hierarchie


ganze Geschichte ausgestrichen. In dieser Marotte kam Leo init den mystischen
Naturphilosophen und der Ottfried Müller'schen Schule überein, die ihre Mikros¬
kope so lange schärfte, bis sie miegt nichts mehr sah, und die in die absolute Leere
des halb mythischen Zeitalters durch ein Gewebe willkürlicher Combinationen ein
Pfaffen- und Adclsrcich hineindichtete, in dem sich der Quietismus der unhistori¬
schen Historie ein bequemes Ruhebett aufschlagen konnte.

In dieser Art geht der Kreuzzug gegen alle Revolutionen, d. h. alle ge¬
schichtliche Bewegungen, wo man mit Ideen, mit Absicht und Zweck zu Werke ging,
weiter fort; die Geschichte wird endlich eine Capucinade gegen die gottverdammter
Jacobiner. Wenn in der französischen Revolution ein paar Gardisten blessirt wer¬
den, so erhebt Leo ein Zetergeschrei; gegen das Blut, das auf den Schlachtfeldern
fließt, ist er unempfindlich. Ja er läßt Gustav III. sehr hart an, daß er seine
Staatsveränderung ohne Blutvergießen in's Werk gesetzt, denn das zeige, daß
sie ohne sittlichen Ernst vollzogen sei. Wenn der wüsteste Despotismus, die bru¬
talste Gewalt sich geltend macht, so wird das wenigstens natürlich gefunden; wenn
aber im Namen der Freiheit, der Menschenrechte, der Vernunft das Staatswesen
verändert, wenn das alte Unkraut ausgejätet wird, so sieht Leo den Gottseibeiuns leib¬
haftig vor sich. Nur dadurch kann sich eine Revolution bei ihm legitimiren, daß etwas
Mystik, Unklarheit und Verworrenheit hineingemischt wird. So rühmt Leo an. der
Reformation, die ihm eigentlich herzlich zuwider sein mußte, die Energie, mit der
Luther die Nothwendigkeit des Glaubens und der Gnade, und die Nutzlosigkeit der
guten Werke ausgesprochen habe. Im Ganzen ist es das wohlbekannte Gesicht
Friedrich Schlegel's, der nach seiner Apostasie die Schamlosigkeit hatte, in einem
Abriß der Geschichte zu Gunsten seiner alleinseligmachenden Kirche alle Wahrheit
und Vernunft mit Füßen zu treten, einen Alba, Ferdinand II., Philipp II. als
die edelsten Helden zu feiern, und die Jesuiten als die Märtyrer des wahren
Glaubens zu verehren.

Leo hatte in seiner Jugendblüthe mit der Hegel'scheu Philosophie coquettirt;
nicht daß er irgendwie auch nur versucht hätte, in ihren Zusammenhang einzudringen,
aber er hatte einige glänzende Apercus daraus gezogen, und sie mit seinen poe¬
tisch-doctrinären Einfällen in einen ziemlich verworrenen Brei zusammengerührt.
Als es nun mit der Sache eine andere Wendung nahm, als die jüngere Schule
Hegel's die kühnen Consequenzen des Systems zog, das der Meister mit scholasti¬
schen Formeln überdeckt hatte, als rasch hintereinander Strauß und Feuerbach das
Christenthum in seinen Fundamenten unterwühlten, als die junge Richtung in Halle
selbst ein Organ fand, das mit allem Ungestüm einer neuentdeckten Wahrheit, mit
dem Uebermuth der frisch gewonnenen Freiheit nach allen Seiten um sich schlug,
da wurde sich Leo über seinen Standpunkt klar, und erklärte der Philosophie über¬
haupt den Krieg. Damals hatten die Kölner Wirren Veranlassung gegeben, daß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/470>, abgerufen am 24.08.2024.