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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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gelten Juristen eingezogene Erkundigungen, von der Wirklichkeit eines so
traurigen Rechtszustandes überzeugen.

Der Prozeß in Oesterreich fängt sowohl beim schriftlichen als mündlichen
Verfahren (mit Ausnahme des sogenannten summarischen oder Bcttelvrozesses, wo
es sich um nicht mehr als 200 Fi. handelt und wo die Klage auch mündlich zu
Protokoll gegeben werden kann) mit einer schriftlichen Klage an, welche zu ihrer
Erledigung, durch Gestattung der Einrede binnen einer, im Verhältnisse zu dem
Aufenthaltsorte des Geklagten stehenden Frist von 30--90 Tagen, in der Regel
wenigstens eines Monats bedarf. Längstens drei Tage vor Verlauf dieser gesetzlichen
Frist zur Einrede, steht es nun dem Geklagten frei, eine weitere Frist anzusuchen,
welche dem Gegner zu seiner Aeußerung zwar zugestellt werdeu muß, jedoch unge¬
achtet seiner Protestation vom Richter bewilligt werden kann, was auch in Betreff
der noch weiter angesnchten Fristen, deren Zahl durchaus nicht beschränkt ist, der
Fall ist. Nicht selten kommen Fälle vor, wo zu einer und derselben Schrift 10
bis 20 solche Fristen angesucht, und wenn selbige gleich nicht wirklich erwirkt wer¬
den, doch für den Gegner ein Hinderniß abgeben, um wider einen muthwilligen
Prvzeßführer ein Contumazerkenntniß erwirken zu können. Da nämlich ein Fristgesuch
in der Regel, nicht vor vier Wochen dem Geguer zugestellt wird (was bei seiner
darauf erstatteten abschlägigen Antwort aber auch der Fall ist), so braucht ein
Fristwerber nur so vorsichtig zu sein, außer dem seinem Gegner bereits zur Aeuße¬
rung zugestellten Fristgesuche immer noch ein mit einem neuen noch so lügenhaften
Grunde motivirtes weiteres Gesuch einzubringen, um hierdurch jede Contumaz
gegen sich ganz unmöglich zu machen.

Bedenkt man weiter, daß wider jedes von der ersten Instanz abgeschlagene
Gesuch recurrirt werden kann und daß besonders in Böhmen ein noch so einfacher
Recurs drei, sechs, bisweilen sogar zehn Monate braucht, ehe er Erledigung findet,
bedenkt man ferner, daß wider eine bereits bewilligte Contumaz und sogar auch
nach bereits inrotulirten Acten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachge¬
sucht werden kann und daß hierüber immer ans längere Zeit hin eine wiederholt
erstreckbare Tagfahrt zur Verhandlung angeordnet wird, -- bedenkt man ferner,
daß die Erledigung jeder noch so einfachen Verhandlung ein bis vier Monate lang
erwartet werdeu muß, und daß endlich gegen jede ungünstige Entscheidung immer
wieder recurrirt werden kann, so wird es Jedermann leicht erklärbar finden, daß
in Böhmen von widerrechtlichen und muthwilligen Schuldnern jeder Prozeß viele
Jahre lang verzögert werden kaun, besonders wenn dieser obendrein zu Recursen
wider die Vorbescheidungen der Klage selbst oder zu muthwilligen Einwendungen
wegen nicht gehörigen Gerichtsstandes seine Zuflucht nimmt.

Leider kann mau alles dieses ohne Besorgniß vor einer Strafe oder auch nur
einem Verweise ungescheut wagen; denn in Oesterreich ist es erlaubt, die Gerichte
auf die frechste Weise zu belügen, während durchaus nicht einzusehen ist, warum


gelten Juristen eingezogene Erkundigungen, von der Wirklichkeit eines so
traurigen Rechtszustandes überzeugen.

Der Prozeß in Oesterreich fängt sowohl beim schriftlichen als mündlichen
Verfahren (mit Ausnahme des sogenannten summarischen oder Bcttelvrozesses, wo
es sich um nicht mehr als 200 Fi. handelt und wo die Klage auch mündlich zu
Protokoll gegeben werden kann) mit einer schriftlichen Klage an, welche zu ihrer
Erledigung, durch Gestattung der Einrede binnen einer, im Verhältnisse zu dem
Aufenthaltsorte des Geklagten stehenden Frist von 30—90 Tagen, in der Regel
wenigstens eines Monats bedarf. Längstens drei Tage vor Verlauf dieser gesetzlichen
Frist zur Einrede, steht es nun dem Geklagten frei, eine weitere Frist anzusuchen,
welche dem Gegner zu seiner Aeußerung zwar zugestellt werdeu muß, jedoch unge¬
achtet seiner Protestation vom Richter bewilligt werden kann, was auch in Betreff
der noch weiter angesnchten Fristen, deren Zahl durchaus nicht beschränkt ist, der
Fall ist. Nicht selten kommen Fälle vor, wo zu einer und derselben Schrift 10
bis 20 solche Fristen angesucht, und wenn selbige gleich nicht wirklich erwirkt wer¬
den, doch für den Gegner ein Hinderniß abgeben, um wider einen muthwilligen
Prvzeßführer ein Contumazerkenntniß erwirken zu können. Da nämlich ein Fristgesuch
in der Regel, nicht vor vier Wochen dem Geguer zugestellt wird (was bei seiner
darauf erstatteten abschlägigen Antwort aber auch der Fall ist), so braucht ein
Fristwerber nur so vorsichtig zu sein, außer dem seinem Gegner bereits zur Aeuße¬
rung zugestellten Fristgesuche immer noch ein mit einem neuen noch so lügenhaften
Grunde motivirtes weiteres Gesuch einzubringen, um hierdurch jede Contumaz
gegen sich ganz unmöglich zu machen.

Bedenkt man weiter, daß wider jedes von der ersten Instanz abgeschlagene
Gesuch recurrirt werden kann und daß besonders in Böhmen ein noch so einfacher
Recurs drei, sechs, bisweilen sogar zehn Monate braucht, ehe er Erledigung findet,
bedenkt man ferner, daß wider eine bereits bewilligte Contumaz und sogar auch
nach bereits inrotulirten Acten eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachge¬
sucht werden kann und daß hierüber immer ans längere Zeit hin eine wiederholt
erstreckbare Tagfahrt zur Verhandlung angeordnet wird, — bedenkt man ferner,
daß die Erledigung jeder noch so einfachen Verhandlung ein bis vier Monate lang
erwartet werdeu muß, und daß endlich gegen jede ungünstige Entscheidung immer
wieder recurrirt werden kann, so wird es Jedermann leicht erklärbar finden, daß
in Böhmen von widerrechtlichen und muthwilligen Schuldnern jeder Prozeß viele
Jahre lang verzögert werden kaun, besonders wenn dieser obendrein zu Recursen
wider die Vorbescheidungen der Klage selbst oder zu muthwilligen Einwendungen
wegen nicht gehörigen Gerichtsstandes seine Zuflucht nimmt.

Leider kann mau alles dieses ohne Besorgniß vor einer Strafe oder auch nur
einem Verweise ungescheut wagen; denn in Oesterreich ist es erlaubt, die Gerichte
auf die frechste Weise zu belügen, während durchaus nicht einzusehen ist, warum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/386>, abgerufen am 01.07.2024.