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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Schattenrisse aus der österreichischen Gerichtspfiege.

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Wenn dem Wahlspruche Oesterreichs .sustitiil r".>giiorum f"n"l!n"l?"tui!> --
durch gute Gesetzbücher über Privat- und Strafrecht für sich allein schon hinrei¬
chend entsprochen würde, so müßte man zugestehen, daß die Negierung jenen Wahl¬
spruch beinahe vollständig nachgekommen sei, da sowohl das sogenannte "Allge¬
meine bürgerliche Gesetzbuch" vom 1. Juli 1811 bis auf einige geringe Schwanken
selbst heute noch deu Anforderungen der Zeit entspricht, wie auch das "Gesetz über
Verbrechen" vom ö. September 1803 denen seiner Zeit wirklich entsprach.

Auch das Gesetz über Civilverfahren, die "Gerichtsordnung" vom 1. Dec. 178 l
war im Zeitpunkte seiner Erlassung, so wie das Meiste, was Oesterreich dem
Gründer seiner Civilisation, dem großen Kaiser Joseph, zu verdanken hat, ein ganz
Mes Gesetz. Allein es sind seitdem volle V6 Jahre verflossen und ungeachtet die
veränderten Verhältnisse der neuern Zeit eine entschiedene Reform des Civilverfahrens
nöthig machten, ist jenes Gesetz während dieses so langen Zeitraums keineswegs
etwa den neuentstandenen Bedürfnissen entsprechend verbessert worden. Durch das
zahllose Heer der (über die mitunter widersinnigsten Anfragen) erschienenen, ein¬
ander theilweise sogar widersprechenden Declaratorien, wurde die Sache gewiß
nicht besser, da letztere insbesondere sowohl den Nabnlistereien so vieler Advoca-
ten, als auch der Willkür und Saumseligkeit der Gerichtsstellen einen freiern
Spielraum darbieten, so daß für alle Justiz ein Zustand herbeigeführt wurde,
welcher zuweilen einer vollständigen Rechtlosigkeit wenig nachgibt.

Was hilft es z. B. einem Gläubiger, selbst wenn er die verläßlichste Aussicht
hat, bei einer redlichen und geschickten Vertretung einmal zu einem, den Schuldner
zur Zahlung verpflichtenden Erkenntnisse zu gelangen, wenn diesem so zahlreiche
Mittel zu Gebote stehen, den Gläubiger durch so viele Jahre hinzuhalten, bis es
ihm gelungen ist, sein Vermögen vor diesem Gläubiger gänzlich in Sicherheit zu
bringen und ihn um seine Forderung zu prellen.

Ein kurzes Bild des Ganges eines Civilprozesses in Oesterreich wird Jedermann
von der Möglichkeit, so wie hierüber bei irgend einem erfahrenen und unbefan-


Grenzvotcn. lV. 1847. 49
Schattenrisse aus der österreichischen Gerichtspfiege.

Wcchsclgcncht. — ZvncmSverfahi'er. — Taren und Stempel.

Wenn dem Wahlspruche Oesterreichs .sustitiil r«.>giiorum f»n«l!n»l?„tui!> --
durch gute Gesetzbücher über Privat- und Strafrecht für sich allein schon hinrei¬
chend entsprochen würde, so müßte man zugestehen, daß die Negierung jenen Wahl¬
spruch beinahe vollständig nachgekommen sei, da sowohl das sogenannte „Allge¬
meine bürgerliche Gesetzbuch" vom 1. Juli 1811 bis auf einige geringe Schwanken
selbst heute noch deu Anforderungen der Zeit entspricht, wie auch das „Gesetz über
Verbrechen" vom ö. September 1803 denen seiner Zeit wirklich entsprach.

Auch das Gesetz über Civilverfahren, die „Gerichtsordnung" vom 1. Dec. 178 l
war im Zeitpunkte seiner Erlassung, so wie das Meiste, was Oesterreich dem
Gründer seiner Civilisation, dem großen Kaiser Joseph, zu verdanken hat, ein ganz
Mes Gesetz. Allein es sind seitdem volle V6 Jahre verflossen und ungeachtet die
veränderten Verhältnisse der neuern Zeit eine entschiedene Reform des Civilverfahrens
nöthig machten, ist jenes Gesetz während dieses so langen Zeitraums keineswegs
etwa den neuentstandenen Bedürfnissen entsprechend verbessert worden. Durch das
zahllose Heer der (über die mitunter widersinnigsten Anfragen) erschienenen, ein¬
ander theilweise sogar widersprechenden Declaratorien, wurde die Sache gewiß
nicht besser, da letztere insbesondere sowohl den Nabnlistereien so vieler Advoca-
ten, als auch der Willkür und Saumseligkeit der Gerichtsstellen einen freiern
Spielraum darbieten, so daß für alle Justiz ein Zustand herbeigeführt wurde,
welcher zuweilen einer vollständigen Rechtlosigkeit wenig nachgibt.

Was hilft es z. B. einem Gläubiger, selbst wenn er die verläßlichste Aussicht
hat, bei einer redlichen und geschickten Vertretung einmal zu einem, den Schuldner
zur Zahlung verpflichtenden Erkenntnisse zu gelangen, wenn diesem so zahlreiche
Mittel zu Gebote stehen, den Gläubiger durch so viele Jahre hinzuhalten, bis es
ihm gelungen ist, sein Vermögen vor diesem Gläubiger gänzlich in Sicherheit zu
bringen und ihn um seine Forderung zu prellen.

Ein kurzes Bild des Ganges eines Civilprozesses in Oesterreich wird Jedermann
von der Möglichkeit, so wie hierüber bei irgend einem erfahrenen und unbefan-


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[0385] Schattenrisse aus der österreichischen Gerichtspfiege. Wcchsclgcncht. — ZvncmSverfahi'er. — Taren und Stempel. Wenn dem Wahlspruche Oesterreichs .sustitiil r«.>giiorum f»n«l!n»l?„tui!> -- durch gute Gesetzbücher über Privat- und Strafrecht für sich allein schon hinrei¬ chend entsprochen würde, so müßte man zugestehen, daß die Negierung jenen Wahl¬ spruch beinahe vollständig nachgekommen sei, da sowohl das sogenannte „Allge¬ meine bürgerliche Gesetzbuch" vom 1. Juli 1811 bis auf einige geringe Schwanken selbst heute noch deu Anforderungen der Zeit entspricht, wie auch das „Gesetz über Verbrechen" vom ö. September 1803 denen seiner Zeit wirklich entsprach. Auch das Gesetz über Civilverfahren, die „Gerichtsordnung" vom 1. Dec. 178 l war im Zeitpunkte seiner Erlassung, so wie das Meiste, was Oesterreich dem Gründer seiner Civilisation, dem großen Kaiser Joseph, zu verdanken hat, ein ganz Mes Gesetz. Allein es sind seitdem volle V6 Jahre verflossen und ungeachtet die veränderten Verhältnisse der neuern Zeit eine entschiedene Reform des Civilverfahrens nöthig machten, ist jenes Gesetz während dieses so langen Zeitraums keineswegs etwa den neuentstandenen Bedürfnissen entsprechend verbessert worden. Durch das zahllose Heer der (über die mitunter widersinnigsten Anfragen) erschienenen, ein¬ ander theilweise sogar widersprechenden Declaratorien, wurde die Sache gewiß nicht besser, da letztere insbesondere sowohl den Nabnlistereien so vieler Advoca- ten, als auch der Willkür und Saumseligkeit der Gerichtsstellen einen freiern Spielraum darbieten, so daß für alle Justiz ein Zustand herbeigeführt wurde, welcher zuweilen einer vollständigen Rechtlosigkeit wenig nachgibt. Was hilft es z. B. einem Gläubiger, selbst wenn er die verläßlichste Aussicht hat, bei einer redlichen und geschickten Vertretung einmal zu einem, den Schuldner zur Zahlung verpflichtenden Erkenntnisse zu gelangen, wenn diesem so zahlreiche Mittel zu Gebote stehen, den Gläubiger durch so viele Jahre hinzuhalten, bis es ihm gelungen ist, sein Vermögen vor diesem Gläubiger gänzlich in Sicherheit zu bringen und ihn um seine Forderung zu prellen. Ein kurzes Bild des Ganges eines Civilprozesses in Oesterreich wird Jedermann von der Möglichkeit, so wie hierüber bei irgend einem erfahrenen und unbefan- Grenzvotcn. lV. 1847. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/385>, abgerufen am 29.06.2024.