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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Talent mit vorherrschender Neigung für Kunststudien, wie er später anch durch die
Herausgabe eines trefflichen Werkes bewiesen hat. Sein Temperament war nervös¬
gallig, die erstere Seite vorherrschend. Ich habe manche angenehme Stunde bei
und mit ihm zugebracht bis mein Rücktritt vom Republikaner uns aus einige
Zeit von einander entfernte. Geßner und Schultheß waren tüchtige achtbare Män¬
ner. Der erstere namentlich hat sich durch seinen Unabhäugkeitssiun und durch
sein consequentes Benehmen während später eintretender politischer Veränderungen
sehr vortheilhaft ausgezeichnet. Dr. L. Snell ist ein in jeder Hinsicht ehrenwerther
und tüchtiger Charakter mit sehr schätzbaren politischen Talenten und großen pn-
blicistischen Kenntnissen. Er besaß die Gabe, sehr eindringlich zu schreiben, aber
nicht in gleichem Maße das Talent der Rede. Er war das wahre Triebrad aller
politischen Handlungen von einiger Bedeutung im Canton Zürich, in dessen großem
Rathe er damals saß. Hätte er mehr sich gleichbleibende Energie, wie sein Bru¬
der Wilhelm besessen und nicht den Fehler begangen, nach Bern zu gehen, so
würde er sowohl für sich selbst, als sür deu Canton Zürich mit dem größten Nutzen
n seiner sehr günstigen Stellung haben wirken können. Er hatte das Vorurtheil,
welches man in der Schweiz gegen Fremde hegt, in seiner Person beinahe gänz¬
lich überwunden. Einfach und anspruchslos in seiner Lebensweise und in seinem
Benehmen, ein ächter Republikaner, was Sittenreinheit und Prunklvsigkeit betraf,
konnte er überall als Vorbild und Muster gelten, wenn man die Idee eines con-
sequenten und beharrlichen Anstrebers und Vorkämpfers für bürgerliche Freiheit und
-individuelle Unabhängigkeit verwirklichen wollte. Staatsrath Meyer von Knonan
war ein würdiger Maun von urbaren Sitten und edler Einfachheit, zugleich von
großer Erfahrung. Er suchte mir einst in vertraulicher Unterredung den großen
Unterschied an's Herz zu legen, der zwischen dem Leben und den Pflichten der
Selbsterhaltung eines einzelnen Menschen und denjenigen, welche in dieser Hin¬
sicht auf eine Nation Anwendung finden müssen. Er war allgemein von allen Par¬
teien geachtet und nahm seinen unbefleckten Ruf und die Anerkennung seiner Mit¬
bürger mit sich in's Grab.

Weiter hiu werde ich vielleicht Gelegenheit finden, von der Fraction der Ra-
dicalen im Canton Zürich zu reden, welche man gewöhnlich die Brutal-Radikalen
nannte. Für deu Augenblick war es genug, diejenige vorherrschende Abtheilung
derselben zu bezeichnen, mit der ich es vorzugsweise zu thun hatte. Da ich kei¬
nerlei persönliche Berührungen mit Gliedern der aristokratischen oder conservativen
Partei hatte, so enthalte ich mich billig, über die Häupter derselben abzusprechen,
da, was in Bezug auf sie vor mein Forum gehörte, das Weitere von mir in den
von mir redigirten Zeitungen behandelt worden ist.

Es war damals eine schwierige Zeit für schweizerische Staatsmänner. Die
Folgen des Savvyerzuges waren noch keinesweges für die Regierungen ganz vor¬
über, und neue Verlegenheiten wurden ihnen bald durch das von Lessing veram-


Talent mit vorherrschender Neigung für Kunststudien, wie er später anch durch die
Herausgabe eines trefflichen Werkes bewiesen hat. Sein Temperament war nervös¬
gallig, die erstere Seite vorherrschend. Ich habe manche angenehme Stunde bei
und mit ihm zugebracht bis mein Rücktritt vom Republikaner uns aus einige
Zeit von einander entfernte. Geßner und Schultheß waren tüchtige achtbare Män¬
ner. Der erstere namentlich hat sich durch seinen Unabhäugkeitssiun und durch
sein consequentes Benehmen während später eintretender politischer Veränderungen
sehr vortheilhaft ausgezeichnet. Dr. L. Snell ist ein in jeder Hinsicht ehrenwerther
und tüchtiger Charakter mit sehr schätzbaren politischen Talenten und großen pn-
blicistischen Kenntnissen. Er besaß die Gabe, sehr eindringlich zu schreiben, aber
nicht in gleichem Maße das Talent der Rede. Er war das wahre Triebrad aller
politischen Handlungen von einiger Bedeutung im Canton Zürich, in dessen großem
Rathe er damals saß. Hätte er mehr sich gleichbleibende Energie, wie sein Bru¬
der Wilhelm besessen und nicht den Fehler begangen, nach Bern zu gehen, so
würde er sowohl für sich selbst, als sür deu Canton Zürich mit dem größten Nutzen
n seiner sehr günstigen Stellung haben wirken können. Er hatte das Vorurtheil,
welches man in der Schweiz gegen Fremde hegt, in seiner Person beinahe gänz¬
lich überwunden. Einfach und anspruchslos in seiner Lebensweise und in seinem
Benehmen, ein ächter Republikaner, was Sittenreinheit und Prunklvsigkeit betraf,
konnte er überall als Vorbild und Muster gelten, wenn man die Idee eines con-
sequenten und beharrlichen Anstrebers und Vorkämpfers für bürgerliche Freiheit und
-individuelle Unabhängigkeit verwirklichen wollte. Staatsrath Meyer von Knonan
war ein würdiger Maun von urbaren Sitten und edler Einfachheit, zugleich von
großer Erfahrung. Er suchte mir einst in vertraulicher Unterredung den großen
Unterschied an's Herz zu legen, der zwischen dem Leben und den Pflichten der
Selbsterhaltung eines einzelnen Menschen und denjenigen, welche in dieser Hin¬
sicht auf eine Nation Anwendung finden müssen. Er war allgemein von allen Par¬
teien geachtet und nahm seinen unbefleckten Ruf und die Anerkennung seiner Mit¬
bürger mit sich in's Grab.

Weiter hiu werde ich vielleicht Gelegenheit finden, von der Fraction der Ra-
dicalen im Canton Zürich zu reden, welche man gewöhnlich die Brutal-Radikalen
nannte. Für deu Augenblick war es genug, diejenige vorherrschende Abtheilung
derselben zu bezeichnen, mit der ich es vorzugsweise zu thun hatte. Da ich kei¬
nerlei persönliche Berührungen mit Gliedern der aristokratischen oder conservativen
Partei hatte, so enthalte ich mich billig, über die Häupter derselben abzusprechen,
da, was in Bezug auf sie vor mein Forum gehörte, das Weitere von mir in den
von mir redigirten Zeitungen behandelt worden ist.

Es war damals eine schwierige Zeit für schweizerische Staatsmänner. Die
Folgen des Savvyerzuges waren noch keinesweges für die Regierungen ganz vor¬
über, und neue Verlegenheiten wurden ihnen bald durch das von Lessing veram-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/348>, abgerufen am 25.08.2024.