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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Dies halte ich in der That selbst für angemessen. Bürgermeister Heß war
ein gemüthlicher Mann, im Umgange artig und verbindlich, mit mehr Rücksicht
auf äußere Formen, als man sonst in der deutschen Schweiz zu finden pflegte.
Er war ein Kunstliebhaber, und da er Vermögen besaß, konnte er seiner damaligen
hohen Stellung mit Würde und Ausland nachkommen. Das Ausehn, welches er
gerade damals unter der Partei besaß, datirte hauptsächlich von der Abweisung
der fremden Diplomaten im Jahre 1833, als sich dieselben in Folge der Vorfälle
in Basel etwas zu direct in die innern Verhältnisse der Schweiz einmischen woll¬
ten. Heß war nicht entschieden radical, überhaupt lag Entschiedenheit nicht
in seinem Charakter, noch in dem irgend eines der leitenden Staatsmänner der
Schweiz, mit denen ich in näherer oder entfernterer Berührung gekommen bin.
Als Leiter und Tonangeber war Heß matt. Die Anderen wußten das sehr
wohl und bearbeiteten ihn regelmäßig bald durch diesen, bald durch jenen für die¬
sen und jenen Zweck. Mir wurde es oft zum Vorwurf gemacht, daß ich nicht
öfter zu Heß ging, der "viel auf mich und meine Einsichten hielte." Aber ich that
dies ans verschiedenen Gründen nicht, vollkommen damit zufrieden, die Zeitung
der radikalen öffentlichen Meinung bis auf einen gewissen Grad in meinen Hän¬
den zu haben. Bürgermeister Hirzel war ein achtungswerther und liebenswür¬
diger Charakter, aber durchaus schwach und ohne die geringste politische Einsicht.
Er war es, der durch diese Schwäche, welche ihn den anmaßenden Forderungen
der fremden Mächte Gehör geben machte, namentlich als er BuudeSpräsidcut war,
seiner Partei und der Schweiz überhaupt viel schadete. Ich war deshalb stets -'
in offenem Kriege mit ihm, halte mich aber, wie schon l emcrkt, für verpflichtet,
ohne auf das "lie moituis ete." die geringste Rücksicht zu nehmen, ihm das
Zeugniß eil.es ehrenwerthen durch persönliche Leidenschaften unbefleckten Charakters
ZU geben. Wenn es mein Zweck sein könnte, hier ausführlicher in schweizerische
Verhältnisse einzugehen, so würde ich auch die persönlichen Schilderungen der
Männer, von denen ich zu sprechen habe, anders fassen. Für meine Absicht aber
genügt es, sie mit einen oder zwei Strichen zu zeichnen. Obergerichtspräsident
Keller ist ein tüchtiger Jurist, in Savigny'ö Schule gebildet, jetzt Professor in
Halle. Ihm fehlte es so wenig an Einsicht, wie an NegierungStalent, viel¬
leicht nahm er indessen die Sachen zu leicht und das Publikum wollte ihm nach
einer kurzen aber brillianten Carriere nicht sonderlich wohl. Ob der Grund,
welchen man gewöhnlich als denjenigen bezeichnete, dem er den Verlust seiner
Popularität zuzuschreiben habe, zu große Verehrung des weiblichen Geschlechts,
wirklich so start vorgewaltet habe, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Keller gai
aber auch für illiberal in Geldsachen, mit einem Worte für entschieden egoistisch.
Jedenfalls paßte er nicht in einen kleinen Staat, und darum hat er ganz Recht
gethan, daß er ausgewandert ist. Obergerichtörath Füßli war ein Mann von
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Dies halte ich in der That selbst für angemessen. Bürgermeister Heß war
ein gemüthlicher Mann, im Umgange artig und verbindlich, mit mehr Rücksicht
auf äußere Formen, als man sonst in der deutschen Schweiz zu finden pflegte.
Er war ein Kunstliebhaber, und da er Vermögen besaß, konnte er seiner damaligen
hohen Stellung mit Würde und Ausland nachkommen. Das Ausehn, welches er
gerade damals unter der Partei besaß, datirte hauptsächlich von der Abweisung
der fremden Diplomaten im Jahre 1833, als sich dieselben in Folge der Vorfälle
in Basel etwas zu direct in die innern Verhältnisse der Schweiz einmischen woll¬
ten. Heß war nicht entschieden radical, überhaupt lag Entschiedenheit nicht
in seinem Charakter, noch in dem irgend eines der leitenden Staatsmänner der
Schweiz, mit denen ich in näherer oder entfernterer Berührung gekommen bin.
Als Leiter und Tonangeber war Heß matt. Die Anderen wußten das sehr
wohl und bearbeiteten ihn regelmäßig bald durch diesen, bald durch jenen für die¬
sen und jenen Zweck. Mir wurde es oft zum Vorwurf gemacht, daß ich nicht
öfter zu Heß ging, der „viel auf mich und meine Einsichten hielte." Aber ich that
dies ans verschiedenen Gründen nicht, vollkommen damit zufrieden, die Zeitung
der radikalen öffentlichen Meinung bis auf einen gewissen Grad in meinen Hän¬
den zu haben. Bürgermeister Hirzel war ein achtungswerther und liebenswür¬
diger Charakter, aber durchaus schwach und ohne die geringste politische Einsicht.
Er war es, der durch diese Schwäche, welche ihn den anmaßenden Forderungen
der fremden Mächte Gehör geben machte, namentlich als er BuudeSpräsidcut war,
seiner Partei und der Schweiz überhaupt viel schadete. Ich war deshalb stets -'
in offenem Kriege mit ihm, halte mich aber, wie schon l emcrkt, für verpflichtet,
ohne auf das „lie moituis ete." die geringste Rücksicht zu nehmen, ihm das
Zeugniß eil.es ehrenwerthen durch persönliche Leidenschaften unbefleckten Charakters
ZU geben. Wenn es mein Zweck sein könnte, hier ausführlicher in schweizerische
Verhältnisse einzugehen, so würde ich auch die persönlichen Schilderungen der
Männer, von denen ich zu sprechen habe, anders fassen. Für meine Absicht aber
genügt es, sie mit einen oder zwei Strichen zu zeichnen. Obergerichtspräsident
Keller ist ein tüchtiger Jurist, in Savigny'ö Schule gebildet, jetzt Professor in
Halle. Ihm fehlte es so wenig an Einsicht, wie an NegierungStalent, viel¬
leicht nahm er indessen die Sachen zu leicht und das Publikum wollte ihm nach
einer kurzen aber brillianten Carriere nicht sonderlich wohl. Ob der Grund,
welchen man gewöhnlich als denjenigen bezeichnete, dem er den Verlust seiner
Popularität zuzuschreiben habe, zu große Verehrung des weiblichen Geschlechts,
wirklich so start vorgewaltet habe, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Keller gai
aber auch für illiberal in Geldsachen, mit einem Worte für entschieden egoistisch.
Jedenfalls paßte er nicht in einen kleinen Staat, und darum hat er ganz Recht
gethan, daß er ausgewandert ist. Obergerichtörath Füßli war ein Mann von
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[0347] Dies halte ich in der That selbst für angemessen. Bürgermeister Heß war ein gemüthlicher Mann, im Umgange artig und verbindlich, mit mehr Rücksicht auf äußere Formen, als man sonst in der deutschen Schweiz zu finden pflegte. Er war ein Kunstliebhaber, und da er Vermögen besaß, konnte er seiner damaligen hohen Stellung mit Würde und Ausland nachkommen. Das Ausehn, welches er gerade damals unter der Partei besaß, datirte hauptsächlich von der Abweisung der fremden Diplomaten im Jahre 1833, als sich dieselben in Folge der Vorfälle in Basel etwas zu direct in die innern Verhältnisse der Schweiz einmischen woll¬ ten. Heß war nicht entschieden radical, überhaupt lag Entschiedenheit nicht in seinem Charakter, noch in dem irgend eines der leitenden Staatsmänner der Schweiz, mit denen ich in näherer oder entfernterer Berührung gekommen bin. Als Leiter und Tonangeber war Heß matt. Die Anderen wußten das sehr wohl und bearbeiteten ihn regelmäßig bald durch diesen, bald durch jenen für die¬ sen und jenen Zweck. Mir wurde es oft zum Vorwurf gemacht, daß ich nicht öfter zu Heß ging, der „viel auf mich und meine Einsichten hielte." Aber ich that dies ans verschiedenen Gründen nicht, vollkommen damit zufrieden, die Zeitung der radikalen öffentlichen Meinung bis auf einen gewissen Grad in meinen Hän¬ den zu haben. Bürgermeister Hirzel war ein achtungswerther und liebenswür¬ diger Charakter, aber durchaus schwach und ohne die geringste politische Einsicht. Er war es, der durch diese Schwäche, welche ihn den anmaßenden Forderungen der fremden Mächte Gehör geben machte, namentlich als er BuudeSpräsidcut war, seiner Partei und der Schweiz überhaupt viel schadete. Ich war deshalb stets -' in offenem Kriege mit ihm, halte mich aber, wie schon l emcrkt, für verpflichtet, ohne auf das „lie moituis ete." die geringste Rücksicht zu nehmen, ihm das Zeugniß eil.es ehrenwerthen durch persönliche Leidenschaften unbefleckten Charakters ZU geben. Wenn es mein Zweck sein könnte, hier ausführlicher in schweizerische Verhältnisse einzugehen, so würde ich auch die persönlichen Schilderungen der Männer, von denen ich zu sprechen habe, anders fassen. Für meine Absicht aber genügt es, sie mit einen oder zwei Strichen zu zeichnen. Obergerichtspräsident Keller ist ein tüchtiger Jurist, in Savigny'ö Schule gebildet, jetzt Professor in Halle. Ihm fehlte es so wenig an Einsicht, wie an NegierungStalent, viel¬ leicht nahm er indessen die Sachen zu leicht und das Publikum wollte ihm nach einer kurzen aber brillianten Carriere nicht sonderlich wohl. Ob der Grund, welchen man gewöhnlich als denjenigen bezeichnete, dem er den Verlust seiner Popularität zuzuschreiben habe, zu große Verehrung des weiblichen Geschlechts, wirklich so start vorgewaltet habe, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Keller gai aber auch für illiberal in Geldsachen, mit einem Worte für entschieden egoistisch. Jedenfalls paßte er nicht in einen kleinen Staat, und darum hat er ganz Recht gethan, daß er ausgewandert ist. Obergerichtörath Füßli war ein Mann von ' 44 -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/347>, abgerufen am 02.10.2024.