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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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reden Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen gewesen." "Gegenwärtig
erschwert die Vielseitigkeit der Verknüpfung alles Wissens die Absonderung und
Umgrenzring des Einzelnen. Die Intelligenz bringt fortan Großes, fast ohne
Anregung von außen, durch eigene innere Kraft nach allen Richtungen hervor.
Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt so allmälig mit der Geschichte
von der Idee eines Naturganzen zusammen." "Der Contact mit der Außenwelt
wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das
Erschaffen neuer Organe vermehrt die geistige, oft anch die physische Macht des
Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und
Willen der geschlossene elektrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der ele¬
mentarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch un¬
seren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt,
einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzel¬
ner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß deö Weltganzen näher sichren." --

Das ist die kurze, dürftige Uebersicht deö wunderbar reichen, blendenden Pa¬
norama's, das ebenso durch die Fülle seines Inhalts deu Blick verwirrt, als durch
die antike, durchsichtige Architektonik ihn fesselt. Ein solches Werk, wie die uner¬
meßliche Natur selbst, die es darstellt, ist spröde gegen die vorschnelle Habsucht
des unruhigen Werders, der deu Genuß des Wissens sich aneignen will, ohne die
Mühe des Suchens. Es verlangt ein sinniges, gesammeltes Studium, eine ruhige
Betrachtung, die sich liebevoll in ihren Gegenstand versenkt, nicht ungestüm, wie
das Kind, ihn an sich reißen will. Vielleicht hätte Humboldt durch kleine, leise
Nachhülfe uns gebildete Laien, für die das Werk doch vorzugsweise geschrieben ist,
den Zugang in sein Allerheiligstes erleichtern können, der dnrch die Jneinander-
arbeitung der heterogensten Wissenschaften, Chemie, Astronomie, Physik u. s. w.
noch wesentlich erschwert wird. Aber wer wollte um .Kleinigkeiten markten, wo so
überreiche Gaben gespendet werden?

Zwischen den beiden Haupttheilen des Kosmos, dem beschreibenden und dem
geschichtlichen, liegt eine anmuthige Episode, die Darstellung der Anregungsmittel
Zum Naturstudium, die in dem Reflex der Außenwelt ans die Einbildungskraft ge¬
sucht werden. Humboldt durchblättert zuerst die Poesie der verschiedenen, nament¬
lich ältern Völker, und sucht in ihnen die Spuren des eigentlich von uns so ge¬
nannten Naturgefühls auf. Er vertheidigt die Griechen und Römer gegen den
Vorwurf, daß ihre Phantasie sür die Natur weniger empfänglich gewesen sei.
"Nur die Aeußerungen deö Naturgefühls sind seltener, weil in den großen For¬
men der lyrischen und epischen Dichtung das Naturbeschreibende blos als Bei¬
werk anstritt, und in der alten hellenischen Kunstbildung sich Alles gleichsam im
Kreise der Menschheit bewegt." Aus Stellen, wie die bekannte im Phädrus, die
Humboldt gleichfalls allegirt, aber zu einem andern Zwecke, scheint denn doch hervor¬
zugehen, daß wenigstens eine gewisse Richtung der griechischen Bildung entschieden


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reden Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen gewesen." „Gegenwärtig
erschwert die Vielseitigkeit der Verknüpfung alles Wissens die Absonderung und
Umgrenzring des Einzelnen. Die Intelligenz bringt fortan Großes, fast ohne
Anregung von außen, durch eigene innere Kraft nach allen Richtungen hervor.
Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt so allmälig mit der Geschichte
von der Idee eines Naturganzen zusammen." „Der Contact mit der Außenwelt
wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das
Erschaffen neuer Organe vermehrt die geistige, oft anch die physische Macht des
Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und
Willen der geschlossene elektrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der ele¬
mentarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch un¬
seren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt,
einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzel¬
ner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß deö Weltganzen näher sichren." —

Das ist die kurze, dürftige Uebersicht deö wunderbar reichen, blendenden Pa¬
norama's, das ebenso durch die Fülle seines Inhalts deu Blick verwirrt, als durch
die antike, durchsichtige Architektonik ihn fesselt. Ein solches Werk, wie die uner¬
meßliche Natur selbst, die es darstellt, ist spröde gegen die vorschnelle Habsucht
des unruhigen Werders, der deu Genuß des Wissens sich aneignen will, ohne die
Mühe des Suchens. Es verlangt ein sinniges, gesammeltes Studium, eine ruhige
Betrachtung, die sich liebevoll in ihren Gegenstand versenkt, nicht ungestüm, wie
das Kind, ihn an sich reißen will. Vielleicht hätte Humboldt durch kleine, leise
Nachhülfe uns gebildete Laien, für die das Werk doch vorzugsweise geschrieben ist,
den Zugang in sein Allerheiligstes erleichtern können, der dnrch die Jneinander-
arbeitung der heterogensten Wissenschaften, Chemie, Astronomie, Physik u. s. w.
noch wesentlich erschwert wird. Aber wer wollte um .Kleinigkeiten markten, wo so
überreiche Gaben gespendet werden?

Zwischen den beiden Haupttheilen des Kosmos, dem beschreibenden und dem
geschichtlichen, liegt eine anmuthige Episode, die Darstellung der Anregungsmittel
Zum Naturstudium, die in dem Reflex der Außenwelt ans die Einbildungskraft ge¬
sucht werden. Humboldt durchblättert zuerst die Poesie der verschiedenen, nament¬
lich ältern Völker, und sucht in ihnen die Spuren des eigentlich von uns so ge¬
nannten Naturgefühls auf. Er vertheidigt die Griechen und Römer gegen den
Vorwurf, daß ihre Phantasie sür die Natur weniger empfänglich gewesen sei.
"Nur die Aeußerungen deö Naturgefühls sind seltener, weil in den großen For¬
men der lyrischen und epischen Dichtung das Naturbeschreibende blos als Bei¬
werk anstritt, und in der alten hellenischen Kunstbildung sich Alles gleichsam im
Kreise der Menschheit bewegt." Aus Stellen, wie die bekannte im Phädrus, die
Humboldt gleichfalls allegirt, aber zu einem andern Zwecke, scheint denn doch hervor¬
zugehen, daß wenigstens eine gewisse Richtung der griechischen Bildung entschieden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/331>, abgerufen am 22.07.2024.