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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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zen selbst Examinator war. Dieses Resultat ist um so befremdender, da NvseManz
alljährlich die nöthigen Collegien über Logik, Phränomenologie, Religionsphiloso-
phie u. s. w., kurz Alles was in die Schule gehört, vor einem Auditorium vor¬
trägt, das unbedingt das zahlreichste ist von allen, die in Königsberg zu Stande
kommen, um so mehr, da er einen Theil dieser Collegien privatim liest, und so
in das materielle Interesse der wißbegierigen Jngend eingreift, deren Beutel in
der Regel von einer schauderhaften Leere heimgesucht wird. Um dies zu erklären,
müssen wir auf Rosenkranz's wissenschaftliche Stellung überhaupt zurückgehen.

Es ist häufig für einen Mann, den man ehren will, ein mißlicher Umstand,
wenn man ihm mit einem andern berühmten Manne vergleicht. Man bezeichnete
früher Rosenkranz mit dem Namen des "jungen Gelehrten, der jetzt Kant's Lehrstuhl
einnimmt." Nun gibt es wohl keinen üblem Vergleich, als diesen zwischen dem
revolutionärsten Genie, das seit Sokrates von der Philosophie Proseß gemacht hat, und
einem auf das Vielseitigste gebildeten Talent, dessen Charakter unendliche Recepti-
vität ist. Selbst die Parallele mit seinem nächsten Vorgänger, mit Herbart, würde
unpassend sein; denn wenn auch nie eine neue Richtung der Philosophie einen so
geringen Einfluß auf die allgemeine Bildung gehabt hat, als die Herbart'sche, so
nimmt doch dieser Denker eine wesentliche Stellung in der Geschichte der Philo¬
sophie ein durch die nüchterne, aber scharfe, männliche und unerbittliche Verstandes-
Logik, mit welcher er die Entwickelung des modernen Geistes verfolgte. Rosenkranz
verglich ihn selbst mit einem Fragezeichen, das neben der positiven Dialektik deS
Gedankens herginge. Ein nüchterner Verstand wird in Zeiten eines enthusiasti¬
schen Aufschwungs -- und selbst das Hegel'sche System wird wohl jetzt trotz sei¬
nes scholastischen Anstrichs allgemein als eine Schöpfung des Enthusiasmus aner¬
kannt werden -- stets verkannt und herabgewürdigt werden, wie es auch mit
Nicolai in den Zeiten der poetischen Begeisterung geschehen ist, aber die ruhigere
Betrachtung der Nachwelt wird diesen kritischen Tendenzen ihr Recht widerfahren
lassen. Ich bemerke hier beiläufig, daß der Versuch, die Herbart'sche Schule auf
dem Königsberger Lehrstuhl zu erhalten, vollständig gescheitert ist, da der sried-
same, geduldige Taute Jahre hindurch ebenso furchtlos seine bescheidene Doctrin
der Jugend einzuimpfen sich abgemüht hat, als es dem Ungestüm und der Schroff¬
heit des jungen Docenten Thomas gelingen wollte.

Rosenkranz geht ebenso die geniale Productivität ab, die einen Kant hervor¬
bringt, als die Verstandeötalte, welche einem Denker wie Herbart seine passende
Stellung in der Befreiung des Geistes anwies. Ausgestattet mit einem leicht er¬
regbaren Gefühl, voll Empfänglichkeit für alles Vortreffliche, von welcher Seite es
sich auch ihm darstellen mag, geneigt, überall das Positive anzuerkennen, besonders
wenn es ihm in einer ästhetischen Form entgegentritt, wurde Rosenkranz durch
die allgemeine Bewegung des Geistes seiner Zeit ans das Hegel'sche System ge¬
stoßen, dessen Härte und Eckigkeit ihm eigentlich viel unbequemer sein mußte, als


zen selbst Examinator war. Dieses Resultat ist um so befremdender, da NvseManz
alljährlich die nöthigen Collegien über Logik, Phränomenologie, Religionsphiloso-
phie u. s. w., kurz Alles was in die Schule gehört, vor einem Auditorium vor¬
trägt, das unbedingt das zahlreichste ist von allen, die in Königsberg zu Stande
kommen, um so mehr, da er einen Theil dieser Collegien privatim liest, und so
in das materielle Interesse der wißbegierigen Jngend eingreift, deren Beutel in
der Regel von einer schauderhaften Leere heimgesucht wird. Um dies zu erklären,
müssen wir auf Rosenkranz's wissenschaftliche Stellung überhaupt zurückgehen.

Es ist häufig für einen Mann, den man ehren will, ein mißlicher Umstand,
wenn man ihm mit einem andern berühmten Manne vergleicht. Man bezeichnete
früher Rosenkranz mit dem Namen des „jungen Gelehrten, der jetzt Kant's Lehrstuhl
einnimmt." Nun gibt es wohl keinen üblem Vergleich, als diesen zwischen dem
revolutionärsten Genie, das seit Sokrates von der Philosophie Proseß gemacht hat, und
einem auf das Vielseitigste gebildeten Talent, dessen Charakter unendliche Recepti-
vität ist. Selbst die Parallele mit seinem nächsten Vorgänger, mit Herbart, würde
unpassend sein; denn wenn auch nie eine neue Richtung der Philosophie einen so
geringen Einfluß auf die allgemeine Bildung gehabt hat, als die Herbart'sche, so
nimmt doch dieser Denker eine wesentliche Stellung in der Geschichte der Philo¬
sophie ein durch die nüchterne, aber scharfe, männliche und unerbittliche Verstandes-
Logik, mit welcher er die Entwickelung des modernen Geistes verfolgte. Rosenkranz
verglich ihn selbst mit einem Fragezeichen, das neben der positiven Dialektik deS
Gedankens herginge. Ein nüchterner Verstand wird in Zeiten eines enthusiasti¬
schen Aufschwungs — und selbst das Hegel'sche System wird wohl jetzt trotz sei¬
nes scholastischen Anstrichs allgemein als eine Schöpfung des Enthusiasmus aner¬
kannt werden — stets verkannt und herabgewürdigt werden, wie es auch mit
Nicolai in den Zeiten der poetischen Begeisterung geschehen ist, aber die ruhigere
Betrachtung der Nachwelt wird diesen kritischen Tendenzen ihr Recht widerfahren
lassen. Ich bemerke hier beiläufig, daß der Versuch, die Herbart'sche Schule auf
dem Königsberger Lehrstuhl zu erhalten, vollständig gescheitert ist, da der sried-
same, geduldige Taute Jahre hindurch ebenso furchtlos seine bescheidene Doctrin
der Jugend einzuimpfen sich abgemüht hat, als es dem Ungestüm und der Schroff¬
heit des jungen Docenten Thomas gelingen wollte.

Rosenkranz geht ebenso die geniale Productivität ab, die einen Kant hervor¬
bringt, als die Verstandeötalte, welche einem Denker wie Herbart seine passende
Stellung in der Befreiung des Geistes anwies. Ausgestattet mit einem leicht er¬
regbaren Gefühl, voll Empfänglichkeit für alles Vortreffliche, von welcher Seite es
sich auch ihm darstellen mag, geneigt, überall das Positive anzuerkennen, besonders
wenn es ihm in einer ästhetischen Form entgegentritt, wurde Rosenkranz durch
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stoßen, dessen Härte und Eckigkeit ihm eigentlich viel unbequemer sein mußte, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/29>, abgerufen am 22.07.2024.