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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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widerlegte, daß es doch nicht denkbar sei, das ganze Lebensprinzip der neuen Ge¬
schichte könne ans einer Fabel basiren, und der im übrigen alles Räsonnement,
das über die philologische Exegese hinausgeht, so viel als möglich vermeidet.
Wenn sich in ihm die Resignation des theologischen Bewußtseins geltend macht,
so ist in Lehn ert das Princip mehr in seiner Energie; seine gründliche histori¬
sche Kenntniß und der leichte Firniß der althcgelschen Schule waffnen ihn wissen¬
schaftlich gegen die Ungläubigen, auf die er übrigens von der Kanzel herab wie
auf dem Katheder durch alle Stürme des Gefühls, Thränen und dergleichen einzu¬
wirken sucht. Bei beiden Männern ist es übrigens über allen Zweifel erhaben,
daß sie ihrem System von Grund des Herzens zugethan sind, und andrerseits
hält sie ihre natürliche Gutmüthigkeit ab, die praktischen Konsequenzen der Ortho¬
doxie zu ziehn, die nnr gar zu oft in Intoleranz und Lieblosigkeit auslaufen. Dem
modernen Pietismus wenigstens in seiner Exclustvität sind sie schon ihrer kirchli¬
chen Richtung wegen fremd. -- Von unsern Predigern läßt sich wenig mehr sagen,
als daß sie sind wie anderwärts; der eine spricht mehr von Liebe, der andere
mehr von Glauben; der eine rührt, der andere richtet. Jeder von ihnen hat seiue
Gemeinde, die er erbaut: die starreren Altgläubigen tragen den Stiefel über dem
Beinkleid.

Was die Studiosen der Theologie betrifft, die deu großem Theil der Uni¬
versität ausmachen, so läßt sich von der ungeheuren Mehrzahl sagen, sie lernt,
glaubt und denkt gerade nur so viel, als zum Examen nöthig ist. Ihre einzige
Idee ist die Versorgung in Masuren oder Litthauen, oder noch näher irgend eine
bescheidene Hauslehrerstelle, die sie vor dem Hunger sichert. Die großen Bewe¬
gungen ans dem Gebiete der religiösen Entwickelung sind thuen wie ein fernes
Märchen, das sie gerade nur soweit berührt, wie etwa eine Hofintrigne zu Peking.
Die Meisten haben wohl die Namen von Strauß und Feuerbach gehört; Einige
wissen auch, daß diese den historischen Christus zu einer Mythe herabsetzen wol¬
len. Sie fluchen ihnen darum nicht, denn sie haben keine äußerliche Ver¬
pflichtung, sie zu studiren, und im Stillen möchten sie wünschen, daß es einem
von ihnen gelänge, die hebräische Sprache gleichfalls zu einem Mythus zu ma¬
chen, da das das Examen wesentlich erleichtern würde. Wenn man sie clasststciren
will, so könnte man sie eintheilen in Landsmannschafter, die sehr viel Bier drin"
ken, und in Kameele, die weniger Bier trinken.

Von der Theologie, welche die fertige Wahrheit offenbart, kommen wir auf
die Philosophie, welche sie erforschen will. Rosenkranz, noch immer ein jun¬
ger Mann -- er ist höchstens 40 Jahr alt -- ist wohl unter allen Professoren
unserer Universität der populärste, so wenig man Königsberg einen geeigneten
Boden für die Philosophie nennen kann, welche er bekennt: eine Wahrheit, die
z. B. in dem Umstand hervortritt, daß die allerwenigsten Schnlamts-Candidaten
sich einem Examen der Philosophie unterziehen, obgleich Rosenkranz bis vor Kur-


widerlegte, daß es doch nicht denkbar sei, das ganze Lebensprinzip der neuen Ge¬
schichte könne ans einer Fabel basiren, und der im übrigen alles Räsonnement,
das über die philologische Exegese hinausgeht, so viel als möglich vermeidet.
Wenn sich in ihm die Resignation des theologischen Bewußtseins geltend macht,
so ist in Lehn ert das Princip mehr in seiner Energie; seine gründliche histori¬
sche Kenntniß und der leichte Firniß der althcgelschen Schule waffnen ihn wissen¬
schaftlich gegen die Ungläubigen, auf die er übrigens von der Kanzel herab wie
auf dem Katheder durch alle Stürme des Gefühls, Thränen und dergleichen einzu¬
wirken sucht. Bei beiden Männern ist es übrigens über allen Zweifel erhaben,
daß sie ihrem System von Grund des Herzens zugethan sind, und andrerseits
hält sie ihre natürliche Gutmüthigkeit ab, die praktischen Konsequenzen der Ortho¬
doxie zu ziehn, die nnr gar zu oft in Intoleranz und Lieblosigkeit auslaufen. Dem
modernen Pietismus wenigstens in seiner Exclustvität sind sie schon ihrer kirchli¬
chen Richtung wegen fremd. — Von unsern Predigern läßt sich wenig mehr sagen,
als daß sie sind wie anderwärts; der eine spricht mehr von Liebe, der andere
mehr von Glauben; der eine rührt, der andere richtet. Jeder von ihnen hat seiue
Gemeinde, die er erbaut: die starreren Altgläubigen tragen den Stiefel über dem
Beinkleid.

Was die Studiosen der Theologie betrifft, die deu großem Theil der Uni¬
versität ausmachen, so läßt sich von der ungeheuren Mehrzahl sagen, sie lernt,
glaubt und denkt gerade nur so viel, als zum Examen nöthig ist. Ihre einzige
Idee ist die Versorgung in Masuren oder Litthauen, oder noch näher irgend eine
bescheidene Hauslehrerstelle, die sie vor dem Hunger sichert. Die großen Bewe¬
gungen ans dem Gebiete der religiösen Entwickelung sind thuen wie ein fernes
Märchen, das sie gerade nur soweit berührt, wie etwa eine Hofintrigne zu Peking.
Die Meisten haben wohl die Namen von Strauß und Feuerbach gehört; Einige
wissen auch, daß diese den historischen Christus zu einer Mythe herabsetzen wol¬
len. Sie fluchen ihnen darum nicht, denn sie haben keine äußerliche Ver¬
pflichtung, sie zu studiren, und im Stillen möchten sie wünschen, daß es einem
von ihnen gelänge, die hebräische Sprache gleichfalls zu einem Mythus zu ma¬
chen, da das das Examen wesentlich erleichtern würde. Wenn man sie clasststciren
will, so könnte man sie eintheilen in Landsmannschafter, die sehr viel Bier drin»
ken, und in Kameele, die weniger Bier trinken.

Von der Theologie, welche die fertige Wahrheit offenbart, kommen wir auf
die Philosophie, welche sie erforschen will. Rosenkranz, noch immer ein jun¬
ger Mann — er ist höchstens 40 Jahr alt — ist wohl unter allen Professoren
unserer Universität der populärste, so wenig man Königsberg einen geeigneten
Boden für die Philosophie nennen kann, welche er bekennt: eine Wahrheit, die
z. B. in dem Umstand hervortritt, daß die allerwenigsten Schnlamts-Candidaten
sich einem Examen der Philosophie unterziehen, obgleich Rosenkranz bis vor Kur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/28>, abgerufen am 22.07.2024.