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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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drängen: Beabsichtigten denn die Evangelisten, ihrer Erzählung diesen Sinn zu
geben? Wenn sie für Ungewcihte (deren es nach Danaer anch unter den Christen
gab) schrieben, gewiß nicht, denn denen sollte ja eben der christliche Kannibalismus
verheimlicht wären; aber ebeu so wenig, wenn sie für Geweihte schrieben, denn
denen mußte doch die Pointe der Geschichte, die Heiligkeit der freiwilligen Opfe¬
rung, wenigstens angedeutet werden, wie dieses an andern Orten so offen als
möglich geschieht: aber der Sinn dieser Stelle ist offenbar die Heiligung der speci¬
fischen Kindlichkeit, als der Welt der Unschuld und Reinheit.

Der Gegenstand ist zu ernst und greift zu sehr in den Glauben der Gegen¬
wart ein, um sich einen Scherz darüber zu erlauben, sonst böte das Danaer'sche
Buch den köstlichsten Stoff zur Parodie. Nach der Art, wie er dedncirt, über¬
nehme ich mir aus Friedrich dem Großen einen Mvlochspriester und aus Napo¬
leon einen Menschenfresser zu'machen. Statt dessen wollen wir lieber das Positive
seiner Ansichten feststellen. Es ist das namentlich der modernen Philosophie gegenüber
nothwendig, die mit einer eigenthümlichen Vermischung der rationalistischen Tendenz
und des snpranatnralistischen Materials in dem Christenthum die absolute Vernunft
nachzuweisen suchte, man kann wohl sagen mit Verleugnung alles gesunden Menschen¬
verstandes. Von diesem Fehler ist selbst Feuerbach, der verrufene Prophet des Atheis¬
mus, nicht frei. Er hat ganz richtig nachgewiesen, wie in dein Christenthum zwei
Seiten zu unterscheiden sind, wie ein gutes und ein böses Princip sich in ihm
bekämpfen. Das gute Princip ist ein theoretisches: es hat in der Vorstellung vom
Wesen Gottes diejenigen Begriffe, welche der Totalität des menschlichen Geistes
entsprechen, am prägnantesten ausgedrückt; das böse liegt im Praktische": es hat
diese Vorstellung des absoluten Wesens im Gegensatz zum menschlichen aufgestellt,
und indem es Gott alle Vollkommenheit vindicirte, die menschliche Natur zum Bilde
aller Nichtswürdigkeit gemacht. Aber diesen richtigen Gedanken hetzt Feuerbach
zu Tode, weil er nicht ruhig, objectiv das historische Material untersucht, sondern
es nur in willkürlichen Excerpten zu Belegen seines aprioristischcn Systems unter¬
legt. In der Erscheinung spricht sich ein Princip nie rein ans. Hätte Feuerbach
den Inhalt der christlichen Ouellen mit historischer Kritik untersucht, so würde er
gefunden haben, daß es mit der theoretischen Absolutheit des jenseitigen Gottes
doch nicht so ganz vollkommen gewesen sei, daß das höchste Wesen nicht blos als
ein Ideal des Gemüths, sondern auch als ein Bild des Schreckens aufgefaßt
werden muß; und eben so würde die Verkehrung der menschlichen Natur manches
von ihren Gräueln verloren haben. Der Realismus Danaer's ist nur darum so roh
und unhaltbar, weil er irrationell ist, weil er in der Form einer leidenschaftlichen
Anklage, nicht einer unparteiischen Kritik erscheint; aber der Realismus an sich
kann den modernen Ideologen nicht genug empfohlen werden.

Das Positive in dem Danaer'schen Realismus ist der Nachweis, daß das
Opfer ein wesentliches Attribut des Christenthums sei.


drängen: Beabsichtigten denn die Evangelisten, ihrer Erzählung diesen Sinn zu
geben? Wenn sie für Ungewcihte (deren es nach Danaer anch unter den Christen
gab) schrieben, gewiß nicht, denn denen sollte ja eben der christliche Kannibalismus
verheimlicht wären; aber ebeu so wenig, wenn sie für Geweihte schrieben, denn
denen mußte doch die Pointe der Geschichte, die Heiligkeit der freiwilligen Opfe¬
rung, wenigstens angedeutet werden, wie dieses an andern Orten so offen als
möglich geschieht: aber der Sinn dieser Stelle ist offenbar die Heiligung der speci¬
fischen Kindlichkeit, als der Welt der Unschuld und Reinheit.

Der Gegenstand ist zu ernst und greift zu sehr in den Glauben der Gegen¬
wart ein, um sich einen Scherz darüber zu erlauben, sonst böte das Danaer'sche
Buch den köstlichsten Stoff zur Parodie. Nach der Art, wie er dedncirt, über¬
nehme ich mir aus Friedrich dem Großen einen Mvlochspriester und aus Napo¬
leon einen Menschenfresser zu'machen. Statt dessen wollen wir lieber das Positive
seiner Ansichten feststellen. Es ist das namentlich der modernen Philosophie gegenüber
nothwendig, die mit einer eigenthümlichen Vermischung der rationalistischen Tendenz
und des snpranatnralistischen Materials in dem Christenthum die absolute Vernunft
nachzuweisen suchte, man kann wohl sagen mit Verleugnung alles gesunden Menschen¬
verstandes. Von diesem Fehler ist selbst Feuerbach, der verrufene Prophet des Atheis¬
mus, nicht frei. Er hat ganz richtig nachgewiesen, wie in dein Christenthum zwei
Seiten zu unterscheiden sind, wie ein gutes und ein böses Princip sich in ihm
bekämpfen. Das gute Princip ist ein theoretisches: es hat in der Vorstellung vom
Wesen Gottes diejenigen Begriffe, welche der Totalität des menschlichen Geistes
entsprechen, am prägnantesten ausgedrückt; das böse liegt im Praktische»: es hat
diese Vorstellung des absoluten Wesens im Gegensatz zum menschlichen aufgestellt,
und indem es Gott alle Vollkommenheit vindicirte, die menschliche Natur zum Bilde
aller Nichtswürdigkeit gemacht. Aber diesen richtigen Gedanken hetzt Feuerbach
zu Tode, weil er nicht ruhig, objectiv das historische Material untersucht, sondern
es nur in willkürlichen Excerpten zu Belegen seines aprioristischcn Systems unter¬
legt. In der Erscheinung spricht sich ein Princip nie rein ans. Hätte Feuerbach
den Inhalt der christlichen Ouellen mit historischer Kritik untersucht, so würde er
gefunden haben, daß es mit der theoretischen Absolutheit des jenseitigen Gottes
doch nicht so ganz vollkommen gewesen sei, daß das höchste Wesen nicht blos als
ein Ideal des Gemüths, sondern auch als ein Bild des Schreckens aufgefaßt
werden muß; und eben so würde die Verkehrung der menschlichen Natur manches
von ihren Gräueln verloren haben. Der Realismus Danaer's ist nur darum so roh
und unhaltbar, weil er irrationell ist, weil er in der Form einer leidenschaftlichen
Anklage, nicht einer unparteiischen Kritik erscheint; aber der Realismus an sich
kann den modernen Ideologen nicht genug empfohlen werden.

Das Positive in dem Danaer'schen Realismus ist der Nachweis, daß das
Opfer ein wesentliches Attribut des Christenthums sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/258>, abgerufen am 29.06.2024.