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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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fährt, die der fixen Idee eigen ist. Ein Beispiel. "Von einer ungesalzenen Speise
pflegte man zu sagen, sie schmecke wie ein todter Jude. Ich weis; nicht, wie man
das anders erklären kann, als durch die Annahme, daß man einst wirklich Men¬
schenfleisch aß, daß aber das der Juden nicht sonderlich mundete." So wird denn
leicht das überraschende Resultat herausgebracht, daß im ganzen Mittelalter die
christlich germanischen Völker arge Kannibalen gewesen seien. Danaer gesteht
zu, daß auch er von diesem Resultat überrascht sei; daß er lange mit sich gerun¬
gen habe, daß aber endlich die vollkommene Ueberzeugung von der Evidenz seiner
Ansichten ihn getrieben habe, seine Entdeckung der Welt mitzutheilen, auf die Ge¬
fahr hin, überall verlacht oder verabscheut zu werden.

Eine ernste Ueberzeugung soll man ehren, auf welcher Seite sie sich auch fin¬
det ; aber der wissenschaftliche Leichtsinn, mit dem der Verfasser aus den willkürlich¬
sten Combinationen die fabelhaftesten Folgerungen zieht, kann nicht ernst genug
gerügt werden. Von einer kritischen Untersuchung der Quellen, von einem objec¬
tiven Eingehn in das, was sie darstellen, in die Art, wie sie es verstanden wissen
wollten, ist nirgend die Rede. Die christliche Geschichte bietet uns sowohl in den
wüsten Zeiten, in denen das Christenthum entstand, und deren charakteristischer
Zug Verzweiflung an allen sittlichen Bestimmungen war, als auch in dem eigent¬
lichen Mittelalter, wo sich germanische Barbarei und orientalischer Fanatismus zu
einer wunderbar verwirrte" Weltauschauuiig in einander mischten, schauderhafte
Züge genug dar, so daß wir "icht nöthig haben, nach geheimen Greueln zu suche".
Die Flammen von den Scheiterhaufen der Ketzer leuchten zu helle in der Ge¬
schichte, die geistige Verkehrtheit in den öffentlich bekannten Schriften der be¬
rühmtesten Theologen ist zu handgreiflich, als daß sie durch irgend eine noch nicht
bekannte Unthat überboten werden könnten. Ja es ist möglich, daß indem
wilden Fanatismus einer krankhaft erregten Zeit auch im Geheimen Dinge ge¬
schehen sind, vor denen das Gefühl vielleicht noch mehr schaudern würde, weil sie
unter dein heiligen Deckmantel der Religion verübt wurden -- man weiß ja, was
noch in neuerer Zeit die Schwärmerei, die im Dunkeln waltet, erzeigt hat! Es ist
ja uoch kaum ein Jahrhundert her, daß in den Hexenprozessen das Reich des Teu¬
fels im allgemeinen Glauben der christlichen Welt auf Erden spickte. Aber ans
der Möglichkeit solcher Erscheinungen, im Verein mit vereinzelten, unsicher", fabel¬
haften Geschichtchen, willkürlich eine Theorie aufzubauen, das wirkliche Men¬
schenopfer als ein Gebot der Religion zu bezeichne", gegen das Zeugniß aller
christlichen Schriftsteller, das kann nur ans einer Leidenschaft erklärt werden, die
in ihrem Extrem geradezu zu,u Lächerlichen führt. Mau höre. Allbekannt ist der
Spruch: Lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht, denn ihrer
ist das Himmelreich. Danaer erklärt ihn natürlich so, jene Kindlein, von denen
die Rede ist, wären Opferkinder, die zum Abendmahl geschlachtet werden sollten;
Himmelreich wäre so viel als Tod,, Rum mußte sich doch sofort die Frage aus-


fährt, die der fixen Idee eigen ist. Ein Beispiel. „Von einer ungesalzenen Speise
pflegte man zu sagen, sie schmecke wie ein todter Jude. Ich weis; nicht, wie man
das anders erklären kann, als durch die Annahme, daß man einst wirklich Men¬
schenfleisch aß, daß aber das der Juden nicht sonderlich mundete." So wird denn
leicht das überraschende Resultat herausgebracht, daß im ganzen Mittelalter die
christlich germanischen Völker arge Kannibalen gewesen seien. Danaer gesteht
zu, daß auch er von diesem Resultat überrascht sei; daß er lange mit sich gerun¬
gen habe, daß aber endlich die vollkommene Ueberzeugung von der Evidenz seiner
Ansichten ihn getrieben habe, seine Entdeckung der Welt mitzutheilen, auf die Ge¬
fahr hin, überall verlacht oder verabscheut zu werden.

Eine ernste Ueberzeugung soll man ehren, auf welcher Seite sie sich auch fin¬
det ; aber der wissenschaftliche Leichtsinn, mit dem der Verfasser aus den willkürlich¬
sten Combinationen die fabelhaftesten Folgerungen zieht, kann nicht ernst genug
gerügt werden. Von einer kritischen Untersuchung der Quellen, von einem objec¬
tiven Eingehn in das, was sie darstellen, in die Art, wie sie es verstanden wissen
wollten, ist nirgend die Rede. Die christliche Geschichte bietet uns sowohl in den
wüsten Zeiten, in denen das Christenthum entstand, und deren charakteristischer
Zug Verzweiflung an allen sittlichen Bestimmungen war, als auch in dem eigent¬
lichen Mittelalter, wo sich germanische Barbarei und orientalischer Fanatismus zu
einer wunderbar verwirrte» Weltauschauuiig in einander mischten, schauderhafte
Züge genug dar, so daß wir »icht nöthig haben, nach geheimen Greueln zu suche».
Die Flammen von den Scheiterhaufen der Ketzer leuchten zu helle in der Ge¬
schichte, die geistige Verkehrtheit in den öffentlich bekannten Schriften der be¬
rühmtesten Theologen ist zu handgreiflich, als daß sie durch irgend eine noch nicht
bekannte Unthat überboten werden könnten. Ja es ist möglich, daß indem
wilden Fanatismus einer krankhaft erregten Zeit auch im Geheimen Dinge ge¬
schehen sind, vor denen das Gefühl vielleicht noch mehr schaudern würde, weil sie
unter dein heiligen Deckmantel der Religion verübt wurden — man weiß ja, was
noch in neuerer Zeit die Schwärmerei, die im Dunkeln waltet, erzeigt hat! Es ist
ja uoch kaum ein Jahrhundert her, daß in den Hexenprozessen das Reich des Teu¬
fels im allgemeinen Glauben der christlichen Welt auf Erden spickte. Aber ans
der Möglichkeit solcher Erscheinungen, im Verein mit vereinzelten, unsicher», fabel¬
haften Geschichtchen, willkürlich eine Theorie aufzubauen, das wirkliche Men¬
schenopfer als ein Gebot der Religion zu bezeichne», gegen das Zeugniß aller
christlichen Schriftsteller, das kann nur ans einer Leidenschaft erklärt werden, die
in ihrem Extrem geradezu zu,u Lächerlichen führt. Mau höre. Allbekannt ist der
Spruch: Lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht, denn ihrer
ist das Himmelreich. Danaer erklärt ihn natürlich so, jene Kindlein, von denen
die Rede ist, wären Opferkinder, die zum Abendmahl geschlachtet werden sollten;
Himmelreich wäre so viel als Tod,, Rum mußte sich doch sofort die Frage aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/257>, abgerufen am 01.07.2024.