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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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des menschlichen Elends zurückführen wollten, in diesen rationalistischen Vorstellun¬
gen aufgewachsen sind; daß sie sich mit unserem Wesen so verwebt haben, daß
selbst eine Veränderung des Denkens sie nicht völlig aufheben kann. Wir nehmen
es beifällig ans, wenn man einzelne Verkehrtheiten der christlichen Geschichte auf¬
deckt; aber wenn man den innersten Kern der christlichen Lehre als einen bösen
oder verkehrten zu bezeichnen wagt, so werden wir mehr darüber aufgebracht, als
selbst die Geisterseher der Hengstenbergischeu Kirchenzeitung.

Es liegt uus hier ein solcher Versuch vor, das Christenthum für eine Erfin¬
dung des Teufels auszugeben, und zwar der tollste von allen, die bisher vorge¬
kommen sind: Die Geheimnisse des christlichen Alterthums von G.
F. Danaer,*). Wenn d<r Wvlfeubüttler Fragmentist Christus für einen schlauen
und ehrgeizigen Mann ausgab, der sich der politischen Herrschaft über Judäa be¬
mächtigen wollte, nud darüber umkam, wenn er die Jünger als Betrüger bezeich¬
nete, die den Leichnam des Herrn stahlen, und der Welt erzählten, er sei aufer¬
standen, so ist das doch nichts im Vergleich zu dem Ciufall Danaer's Christus
sei ein Molochspriester, Meuschenopferer und -- Menschenfresser gewesen, nud
seine Lehre der Greueldienst des bösen Geisten, der vornämlich in der Form ei-
nes Ofens und eines glühenden Stiers angebetet werde, und dem die abscheulich¬
sten Opfer geschlachtet werden.

Es ist bekannt, daß Judas Ischarioth Christus verrathen hat. Weniger
ausgemacht ist, was er denn eigentlich verrathen hat, da ja Christus seiue Lehre
überall öffentlich aussprach. Reimarus meint, er habe die politische Verschwörung
den Behörden gerade in dem Augenblicke angezeigt, als sie zum Ausbruch kommen
sollte. Danaer dagegen erklärt, es sei in dem Abendmahl nicht symbolisches Blut
und Fleisch, sondern reelles gegessen, dieses Gericht habe dem Jünger widerstanden,
und er habe die Greuel der christlichen Mysterien dem Gericht denuncirt.

Hat man erst einmal einen bestimmten Gesichtspunkt firirt, so bekommt Alles,
was man sieht, eine eigenthümliche Farbe. Bekanntlich wird uach der Lehre der
katholischen Kirche, die halb auch von der lutherischen adoptirt ist, in der Eucha-
ristie unter den Händen des einsegnenden Priesters das Brot ans eine wunder¬
bare, geheimnißvolle Weise in Fleisch, der Wem in Blut verwandelt, und als sol¬
ches genossen. Danaer deducirt nun, "es sei gegen alle geschichtliche Analogie, das
blos symbolische, Bildliche, als das Ursprüngliche anzunehmen; daS Bild könne nur
als Ersatz für ehemalige Realität gebraucht werden; nud so sei das Blutopfer, das
spätere Zeiten nnr im Bilde gefeiert, ursprünglich wohl ein reelles gewesen. Die¬
sen Gesichtspunkt im Auge, blättert er nun in deu Geschichte", Sagen und Mähr¬
chen des ganzen Mittelalters, ja noch in denen der neuen Zeit herum, und findet
überall Belege für seine Ansicht; wobei er freilich mit der Hast und Willkür vcr-



Zwei Bände. Hamburg bei Hoffmann und Campe.

des menschlichen Elends zurückführen wollten, in diesen rationalistischen Vorstellun¬
gen aufgewachsen sind; daß sie sich mit unserem Wesen so verwebt haben, daß
selbst eine Veränderung des Denkens sie nicht völlig aufheben kann. Wir nehmen
es beifällig ans, wenn man einzelne Verkehrtheiten der christlichen Geschichte auf¬
deckt; aber wenn man den innersten Kern der christlichen Lehre als einen bösen
oder verkehrten zu bezeichnen wagt, so werden wir mehr darüber aufgebracht, als
selbst die Geisterseher der Hengstenbergischeu Kirchenzeitung.

Es liegt uus hier ein solcher Versuch vor, das Christenthum für eine Erfin¬
dung des Teufels auszugeben, und zwar der tollste von allen, die bisher vorge¬
kommen sind: Die Geheimnisse des christlichen Alterthums von G.
F. Danaer,*). Wenn d<r Wvlfeubüttler Fragmentist Christus für einen schlauen
und ehrgeizigen Mann ausgab, der sich der politischen Herrschaft über Judäa be¬
mächtigen wollte, nud darüber umkam, wenn er die Jünger als Betrüger bezeich¬
nete, die den Leichnam des Herrn stahlen, und der Welt erzählten, er sei aufer¬
standen, so ist das doch nichts im Vergleich zu dem Ciufall Danaer's Christus
sei ein Molochspriester, Meuschenopferer und — Menschenfresser gewesen, nud
seine Lehre der Greueldienst des bösen Geisten, der vornämlich in der Form ei-
nes Ofens und eines glühenden Stiers angebetet werde, und dem die abscheulich¬
sten Opfer geschlachtet werden.

Es ist bekannt, daß Judas Ischarioth Christus verrathen hat. Weniger
ausgemacht ist, was er denn eigentlich verrathen hat, da ja Christus seiue Lehre
überall öffentlich aussprach. Reimarus meint, er habe die politische Verschwörung
den Behörden gerade in dem Augenblicke angezeigt, als sie zum Ausbruch kommen
sollte. Danaer dagegen erklärt, es sei in dem Abendmahl nicht symbolisches Blut
und Fleisch, sondern reelles gegessen, dieses Gericht habe dem Jünger widerstanden,
und er habe die Greuel der christlichen Mysterien dem Gericht denuncirt.

Hat man erst einmal einen bestimmten Gesichtspunkt firirt, so bekommt Alles,
was man sieht, eine eigenthümliche Farbe. Bekanntlich wird uach der Lehre der
katholischen Kirche, die halb auch von der lutherischen adoptirt ist, in der Eucha-
ristie unter den Händen des einsegnenden Priesters das Brot ans eine wunder¬
bare, geheimnißvolle Weise in Fleisch, der Wem in Blut verwandelt, und als sol¬
ches genossen. Danaer deducirt nun, „es sei gegen alle geschichtliche Analogie, das
blos symbolische, Bildliche, als das Ursprüngliche anzunehmen; daS Bild könne nur
als Ersatz für ehemalige Realität gebraucht werden; nud so sei das Blutopfer, das
spätere Zeiten nnr im Bilde gefeiert, ursprünglich wohl ein reelles gewesen. Die¬
sen Gesichtspunkt im Auge, blättert er nun in deu Geschichte», Sagen und Mähr¬
chen des ganzen Mittelalters, ja noch in denen der neuen Zeit herum, und findet
überall Belege für seine Ansicht; wobei er freilich mit der Hast und Willkür vcr-



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[0256] des menschlichen Elends zurückführen wollten, in diesen rationalistischen Vorstellun¬ gen aufgewachsen sind; daß sie sich mit unserem Wesen so verwebt haben, daß selbst eine Veränderung des Denkens sie nicht völlig aufheben kann. Wir nehmen es beifällig ans, wenn man einzelne Verkehrtheiten der christlichen Geschichte auf¬ deckt; aber wenn man den innersten Kern der christlichen Lehre als einen bösen oder verkehrten zu bezeichnen wagt, so werden wir mehr darüber aufgebracht, als selbst die Geisterseher der Hengstenbergischeu Kirchenzeitung. Es liegt uus hier ein solcher Versuch vor, das Christenthum für eine Erfin¬ dung des Teufels auszugeben, und zwar der tollste von allen, die bisher vorge¬ kommen sind: Die Geheimnisse des christlichen Alterthums von G. F. Danaer,*). Wenn d<r Wvlfeubüttler Fragmentist Christus für einen schlauen und ehrgeizigen Mann ausgab, der sich der politischen Herrschaft über Judäa be¬ mächtigen wollte, nud darüber umkam, wenn er die Jünger als Betrüger bezeich¬ nete, die den Leichnam des Herrn stahlen, und der Welt erzählten, er sei aufer¬ standen, so ist das doch nichts im Vergleich zu dem Ciufall Danaer's Christus sei ein Molochspriester, Meuschenopferer und — Menschenfresser gewesen, nud seine Lehre der Greueldienst des bösen Geisten, der vornämlich in der Form ei- nes Ofens und eines glühenden Stiers angebetet werde, und dem die abscheulich¬ sten Opfer geschlachtet werden. Es ist bekannt, daß Judas Ischarioth Christus verrathen hat. Weniger ausgemacht ist, was er denn eigentlich verrathen hat, da ja Christus seiue Lehre überall öffentlich aussprach. Reimarus meint, er habe die politische Verschwörung den Behörden gerade in dem Augenblicke angezeigt, als sie zum Ausbruch kommen sollte. Danaer dagegen erklärt, es sei in dem Abendmahl nicht symbolisches Blut und Fleisch, sondern reelles gegessen, dieses Gericht habe dem Jünger widerstanden, und er habe die Greuel der christlichen Mysterien dem Gericht denuncirt. Hat man erst einmal einen bestimmten Gesichtspunkt firirt, so bekommt Alles, was man sieht, eine eigenthümliche Farbe. Bekanntlich wird uach der Lehre der katholischen Kirche, die halb auch von der lutherischen adoptirt ist, in der Eucha- ristie unter den Händen des einsegnenden Priesters das Brot ans eine wunder¬ bare, geheimnißvolle Weise in Fleisch, der Wem in Blut verwandelt, und als sol¬ ches genossen. Danaer deducirt nun, „es sei gegen alle geschichtliche Analogie, das blos symbolische, Bildliche, als das Ursprüngliche anzunehmen; daS Bild könne nur als Ersatz für ehemalige Realität gebraucht werden; nud so sei das Blutopfer, das spätere Zeiten nnr im Bilde gefeiert, ursprünglich wohl ein reelles gewesen. Die¬ sen Gesichtspunkt im Auge, blättert er nun in deu Geschichte», Sagen und Mähr¬ chen des ganzen Mittelalters, ja noch in denen der neuen Zeit herum, und findet überall Belege für seine Ansicht; wobei er freilich mit der Hast und Willkür vcr- Zwei Bände. Hamburg bei Hoffmann und Campe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/256>, abgerufen am 03.07.2024.