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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Jener mit männlicher Entrüstung dieses Spinngewebe vo" der Wahrheit wegriß.
Man blickt in einen Abgrund jämmerlicher Zustände, wenn man sich nur Einzel¬
nes aus der eben angedeutete" Zeit vergegenwärtigt.


4.
Anklage aus Hochverrath.

In dem Vorhergehenden ist bereits bemerkt worden, daß Lessing's Denunzia-
tionen meine Anklage auf Hochverrat!) zur Folge hatten. Wie ich dies nenn
Jahre nachher zufällig erfuhr, wird Niemand mit Billigkeit erwarten, daß ich an-
geben soll. Es war damals (1835) eine Zeit, wo sich die zum politischen Tri¬
bunale constituirten Richter des Kammergcrichts aller den Fortgang der Untersu¬
chung hemmenden Formen entledigen und auf gut ingnisitorisch des Weiter" ver¬
fahre" konnten. So wurde auch gegen mich ohne Weiteres und ohne Beobach¬
tung der gewöhnliche" Formen vorgeschritten, ein Steckbrief erlassen und die be¬
treffenden Regierungen ersucht mich zu verhaften u"d "ach Baru" an's Kammer¬
gericht zur Untersuchung und resp. Verurtheilung abzuliefern. Und worauf hin
wurde diese ganze Procedur vorgenommen, die Ehre und die Freiheit eines Man¬
nes gefährdet? Was in keinem wohlorganisirten und wvhlregierten Staate mög¬
lich sein sollte: auf Anzeigen ohne den geringsten Beweis. War es meine öffent¬
liche Aufführung in der Schweiz? Waren es alte burscheuschaftliche Sünden, die
ich so spät noch abbüße" sollte, oder tttdlich war es die Furcht vor der beabsich¬
tigten Herausgabe von gewissen Ackerstücken, welche die Herren in Berlin zu einem
solchen Schritte trieb? Es gilt mir im Grunde gleichviel, nur so viel mag ich
hier zur Charakterisirung der damals in Preußen vorherrschenden Gewaltrichtnng
bemerken, daß die "Actenstücke" zu der Zeit, als die Anklage ans Hochverrath
gegen mich erhoben wurde, "och uicht herausgegeben waren. Ich glaube, daß
wohl kein verständiger Mensch mir je zugemuthet haben würde, ich hätte selbst
"ach Berlin gehen und mich dort rechtfertigen sollen. Vier oder sechs Wochen
nach Erlassung des Steckbriefs erschiene" die von mir herausgegebene" Actenstücke.
Allerdings keine zufriedenstellende Antwort ans eine solche Anklage. Somit war der
Handschuh dem Ankläger in's Gesicht geworfen und eine Feindschaft erklärt, für
die keine Endschaft, wie kein Vergessen und Vergeben ist. Was ich that, that
ich mit vollem Bewußtsein, es hat mich "le gereut, obwohl ich vielleicht zu der
Zeit der That ihren Eindruck und ihre Wirkung überschätzte. In Frankreich und
England hätte keine Regierung vor diesen Documenten bestehen können; -- aber
freilich die Deutschen sind weder Engländer noch Franzosen, und Bruder Michel
ist in allem langsam, selbst im Verständniß u"d der Anwendung des Einfachsten.

In der Schweiz war nun nach Veröffentlichung jener Actenstücke meines
Bleibens nicht mehr. Auch hatte ich dieses Land längst zu verlassen gewünscht.


Jener mit männlicher Entrüstung dieses Spinngewebe vo» der Wahrheit wegriß.
Man blickt in einen Abgrund jämmerlicher Zustände, wenn man sich nur Einzel¬
nes aus der eben angedeutete» Zeit vergegenwärtigt.


4.
Anklage aus Hochverrath.

In dem Vorhergehenden ist bereits bemerkt worden, daß Lessing's Denunzia-
tionen meine Anklage auf Hochverrat!) zur Folge hatten. Wie ich dies nenn
Jahre nachher zufällig erfuhr, wird Niemand mit Billigkeit erwarten, daß ich an-
geben soll. Es war damals (1835) eine Zeit, wo sich die zum politischen Tri¬
bunale constituirten Richter des Kammergcrichts aller den Fortgang der Untersu¬
chung hemmenden Formen entledigen und auf gut ingnisitorisch des Weiter« ver¬
fahre» konnten. So wurde auch gegen mich ohne Weiteres und ohne Beobach¬
tung der gewöhnliche» Formen vorgeschritten, ein Steckbrief erlassen und die be¬
treffenden Regierungen ersucht mich zu verhaften u»d »ach Baru» an's Kammer¬
gericht zur Untersuchung und resp. Verurtheilung abzuliefern. Und worauf hin
wurde diese ganze Procedur vorgenommen, die Ehre und die Freiheit eines Man¬
nes gefährdet? Was in keinem wohlorganisirten und wvhlregierten Staate mög¬
lich sein sollte: auf Anzeigen ohne den geringsten Beweis. War es meine öffent¬
liche Aufführung in der Schweiz? Waren es alte burscheuschaftliche Sünden, die
ich so spät noch abbüße» sollte, oder tttdlich war es die Furcht vor der beabsich¬
tigten Herausgabe von gewissen Ackerstücken, welche die Herren in Berlin zu einem
solchen Schritte trieb? Es gilt mir im Grunde gleichviel, nur so viel mag ich
hier zur Charakterisirung der damals in Preußen vorherrschenden Gewaltrichtnng
bemerken, daß die „Actenstücke" zu der Zeit, als die Anklage ans Hochverrath
gegen mich erhoben wurde, «och uicht herausgegeben waren. Ich glaube, daß
wohl kein verständiger Mensch mir je zugemuthet haben würde, ich hätte selbst
»ach Berlin gehen und mich dort rechtfertigen sollen. Vier oder sechs Wochen
nach Erlassung des Steckbriefs erschiene» die von mir herausgegebene» Actenstücke.
Allerdings keine zufriedenstellende Antwort ans eine solche Anklage. Somit war der
Handschuh dem Ankläger in's Gesicht geworfen und eine Feindschaft erklärt, für
die keine Endschaft, wie kein Vergessen und Vergeben ist. Was ich that, that
ich mit vollem Bewußtsein, es hat mich »le gereut, obwohl ich vielleicht zu der
Zeit der That ihren Eindruck und ihre Wirkung überschätzte. In Frankreich und
England hätte keine Regierung vor diesen Documenten bestehen können; — aber
freilich die Deutschen sind weder Engländer noch Franzosen, und Bruder Michel
ist in allem langsam, selbst im Verständniß u»d der Anwendung des Einfachsten.

In der Schweiz war nun nach Veröffentlichung jener Actenstücke meines
Bleibens nicht mehr. Auch hatte ich dieses Land längst zu verlassen gewünscht.


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[0244] Jener mit männlicher Entrüstung dieses Spinngewebe vo» der Wahrheit wegriß. Man blickt in einen Abgrund jämmerlicher Zustände, wenn man sich nur Einzel¬ nes aus der eben angedeutete» Zeit vergegenwärtigt. 4. Anklage aus Hochverrath. In dem Vorhergehenden ist bereits bemerkt worden, daß Lessing's Denunzia- tionen meine Anklage auf Hochverrat!) zur Folge hatten. Wie ich dies nenn Jahre nachher zufällig erfuhr, wird Niemand mit Billigkeit erwarten, daß ich an- geben soll. Es war damals (1835) eine Zeit, wo sich die zum politischen Tri¬ bunale constituirten Richter des Kammergcrichts aller den Fortgang der Untersu¬ chung hemmenden Formen entledigen und auf gut ingnisitorisch des Weiter« ver¬ fahre» konnten. So wurde auch gegen mich ohne Weiteres und ohne Beobach¬ tung der gewöhnliche» Formen vorgeschritten, ein Steckbrief erlassen und die be¬ treffenden Regierungen ersucht mich zu verhaften u»d »ach Baru» an's Kammer¬ gericht zur Untersuchung und resp. Verurtheilung abzuliefern. Und worauf hin wurde diese ganze Procedur vorgenommen, die Ehre und die Freiheit eines Man¬ nes gefährdet? Was in keinem wohlorganisirten und wvhlregierten Staate mög¬ lich sein sollte: auf Anzeigen ohne den geringsten Beweis. War es meine öffent¬ liche Aufführung in der Schweiz? Waren es alte burscheuschaftliche Sünden, die ich so spät noch abbüße» sollte, oder tttdlich war es die Furcht vor der beabsich¬ tigten Herausgabe von gewissen Ackerstücken, welche die Herren in Berlin zu einem solchen Schritte trieb? Es gilt mir im Grunde gleichviel, nur so viel mag ich hier zur Charakterisirung der damals in Preußen vorherrschenden Gewaltrichtnng bemerken, daß die „Actenstücke" zu der Zeit, als die Anklage ans Hochverrath gegen mich erhoben wurde, «och uicht herausgegeben waren. Ich glaube, daß wohl kein verständiger Mensch mir je zugemuthet haben würde, ich hätte selbst »ach Berlin gehen und mich dort rechtfertigen sollen. Vier oder sechs Wochen nach Erlassung des Steckbriefs erschiene» die von mir herausgegebene» Actenstücke. Allerdings keine zufriedenstellende Antwort ans eine solche Anklage. Somit war der Handschuh dem Ankläger in's Gesicht geworfen und eine Feindschaft erklärt, für die keine Endschaft, wie kein Vergessen und Vergeben ist. Was ich that, that ich mit vollem Bewußtsein, es hat mich »le gereut, obwohl ich vielleicht zu der Zeit der That ihren Eindruck und ihre Wirkung überschätzte. In Frankreich und England hätte keine Regierung vor diesen Documenten bestehen können; — aber freilich die Deutschen sind weder Engländer noch Franzosen, und Bruder Michel ist in allem langsam, selbst im Verständniß u»d der Anwendung des Einfachsten. In der Schweiz war nun nach Veröffentlichung jener Actenstücke meines Bleibens nicht mehr. Auch hatte ich dieses Land längst zu verlassen gewünscht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/244>, abgerufen am 22.07.2024.