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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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umher; ob es eben ihre Männer sind, ist eine andere Frage. Eine große Anzahl
von Frauen, die in der Gesellschaft geachtet dastehen, besuchen den Ball der großen
Oper; es find entweder Neugierige, die sich die Sache ansehen wollen, oder
Eifersüchtige, die ihre Gatten belauschen, oder Ungetreue, die eine Schäferstunde
suchen. Ihnen, den Domino's, gehört das Foyer, während es allen DebardeurS
und Titi's verschlossen ist.

Es war drei Uhr, als ich in das Foyer trat und dort Zeuge einer seltsamen
Scene war. Trotz der vorgerückten Stunde war der Saal noch ganz voll und
besonders an einer Ecke häufte sich das Gedränge. Die Neugier ließ mich näher
treten. Auf einem der niedern Divans saß ein schönes, üppiges Weib und hielt
den Kopf eiues jungen Mannes, der auf dem Parquet hingestreckt lag, in ihrem
Schooß. Der junge Mann war von außerordentlicher Schönheit, ein zartes,
junges Blut, mit frischen Wangen und dunklen Haaren. Wie ein junger Antinous
lag er da und die schöne Frau strich ihm mit dem Ausdruck des innigsten Ent¬
zückens das Haar aus der Stirne und drückte ihre Hände sehnsüchtig an sein
Gesicht.

"So hab' ich Dich endlich," sagte sie. "So lange hab' ich Dich gesucht.
Nun, da ich Dich habe, entführe ich Dich und lasse Dich acht Tage lang nicht
aus meinem Zimmer."

Der junge Mensch lächelte ohne etwas zu erwiedern; die Menge umher lachte.

"Nimm Dich vor Vampyren in Acht, o Jüngling," sprach ein Domino mit
erheuchelter Gravität. -- "Nach den acht Tagen kannst Du Dich gleich auf den
Kirchhof tragen lassen," meinte ein Zweiter. -- "An Deiner Stelle," sagte ein
Dritter, "ginge ich lieber nach Spanien." -- "Als Serrano der Zweite," sagte
ein Vierter. -- "Als Lolo Mondes," sagte ein Fünfter.

Die Dame im Domino war bei diesen Spottreden immer ungeduldiger ge¬
worden. Durch die schwarze Halbmaske flammten ihre Augen wie schwarze Dia¬
manten und die schmalen Lippen bissen sich zusammen. Plötzlich aber raffte sich
die Fran auf -- und noch ehe die Umstehenden rings begreifen konnten, was sie
vorhabe, faßte sie den jungen Mann um den Leib, warf ihn mit einer Kraft, die
mir jetzt unbegreiflich scheint, wie ein lebloses Ding über ihre Schulter, brach
durch die Reihen der Zuschauer und war verschwunden.

Die Messaline hatte den jungen Mann davon getragen, wie ein Jäger ein
Stück Wild davonträgt. Ein ungeheures Bravoklatschen brach los, aber sie hörte
es nicht mehr, sie war schon die Treppen hinab.

Ich ging in den Saal hinunter. Der Ball tobte mit gleicher Heftigkeit weiter.
Als ich die Treppen der Estrade hinabging, fiel mein Blick auf einen Pierrot,
der auf der Brüstung einer Loge saß und seine Beine wie zwei dünne, melancho¬
lische Talgkerzen in den Saal hinabhängen ließ. Ungeheure Knöpfe zierten sein


umher; ob es eben ihre Männer sind, ist eine andere Frage. Eine große Anzahl
von Frauen, die in der Gesellschaft geachtet dastehen, besuchen den Ball der großen
Oper; es find entweder Neugierige, die sich die Sache ansehen wollen, oder
Eifersüchtige, die ihre Gatten belauschen, oder Ungetreue, die eine Schäferstunde
suchen. Ihnen, den Domino's, gehört das Foyer, während es allen DebardeurS
und Titi's verschlossen ist.

Es war drei Uhr, als ich in das Foyer trat und dort Zeuge einer seltsamen
Scene war. Trotz der vorgerückten Stunde war der Saal noch ganz voll und
besonders an einer Ecke häufte sich das Gedränge. Die Neugier ließ mich näher
treten. Auf einem der niedern Divans saß ein schönes, üppiges Weib und hielt
den Kopf eiues jungen Mannes, der auf dem Parquet hingestreckt lag, in ihrem
Schooß. Der junge Mann war von außerordentlicher Schönheit, ein zartes,
junges Blut, mit frischen Wangen und dunklen Haaren. Wie ein junger Antinous
lag er da und die schöne Frau strich ihm mit dem Ausdruck des innigsten Ent¬
zückens das Haar aus der Stirne und drückte ihre Hände sehnsüchtig an sein
Gesicht.

„So hab' ich Dich endlich," sagte sie. „So lange hab' ich Dich gesucht.
Nun, da ich Dich habe, entführe ich Dich und lasse Dich acht Tage lang nicht
aus meinem Zimmer."

Der junge Mensch lächelte ohne etwas zu erwiedern; die Menge umher lachte.

„Nimm Dich vor Vampyren in Acht, o Jüngling," sprach ein Domino mit
erheuchelter Gravität. — „Nach den acht Tagen kannst Du Dich gleich auf den
Kirchhof tragen lassen," meinte ein Zweiter. — „An Deiner Stelle," sagte ein
Dritter, „ginge ich lieber nach Spanien." — „Als Serrano der Zweite," sagte
ein Vierter. — „Als Lolo Mondes," sagte ein Fünfter.

Die Dame im Domino war bei diesen Spottreden immer ungeduldiger ge¬
worden. Durch die schwarze Halbmaske flammten ihre Augen wie schwarze Dia¬
manten und die schmalen Lippen bissen sich zusammen. Plötzlich aber raffte sich
die Fran auf — und noch ehe die Umstehenden rings begreifen konnten, was sie
vorhabe, faßte sie den jungen Mann um den Leib, warf ihn mit einer Kraft, die
mir jetzt unbegreiflich scheint, wie ein lebloses Ding über ihre Schulter, brach
durch die Reihen der Zuschauer und war verschwunden.

Die Messaline hatte den jungen Mann davon getragen, wie ein Jäger ein
Stück Wild davonträgt. Ein ungeheures Bravoklatschen brach los, aber sie hörte
es nicht mehr, sie war schon die Treppen hinab.

Ich ging in den Saal hinunter. Der Ball tobte mit gleicher Heftigkeit weiter.
Als ich die Treppen der Estrade hinabging, fiel mein Blick auf einen Pierrot,
der auf der Brüstung einer Loge saß und seine Beine wie zwei dünne, melancho¬
lische Talgkerzen in den Saal hinabhängen ließ. Ungeheure Knöpfe zierten sein


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[0224] umher; ob es eben ihre Männer sind, ist eine andere Frage. Eine große Anzahl von Frauen, die in der Gesellschaft geachtet dastehen, besuchen den Ball der großen Oper; es find entweder Neugierige, die sich die Sache ansehen wollen, oder Eifersüchtige, die ihre Gatten belauschen, oder Ungetreue, die eine Schäferstunde suchen. Ihnen, den Domino's, gehört das Foyer, während es allen DebardeurS und Titi's verschlossen ist. Es war drei Uhr, als ich in das Foyer trat und dort Zeuge einer seltsamen Scene war. Trotz der vorgerückten Stunde war der Saal noch ganz voll und besonders an einer Ecke häufte sich das Gedränge. Die Neugier ließ mich näher treten. Auf einem der niedern Divans saß ein schönes, üppiges Weib und hielt den Kopf eiues jungen Mannes, der auf dem Parquet hingestreckt lag, in ihrem Schooß. Der junge Mann war von außerordentlicher Schönheit, ein zartes, junges Blut, mit frischen Wangen und dunklen Haaren. Wie ein junger Antinous lag er da und die schöne Frau strich ihm mit dem Ausdruck des innigsten Ent¬ zückens das Haar aus der Stirne und drückte ihre Hände sehnsüchtig an sein Gesicht. „So hab' ich Dich endlich," sagte sie. „So lange hab' ich Dich gesucht. Nun, da ich Dich habe, entführe ich Dich und lasse Dich acht Tage lang nicht aus meinem Zimmer." Der junge Mensch lächelte ohne etwas zu erwiedern; die Menge umher lachte. „Nimm Dich vor Vampyren in Acht, o Jüngling," sprach ein Domino mit erheuchelter Gravität. — „Nach den acht Tagen kannst Du Dich gleich auf den Kirchhof tragen lassen," meinte ein Zweiter. — „An Deiner Stelle," sagte ein Dritter, „ginge ich lieber nach Spanien." — „Als Serrano der Zweite," sagte ein Vierter. — „Als Lolo Mondes," sagte ein Fünfter. Die Dame im Domino war bei diesen Spottreden immer ungeduldiger ge¬ worden. Durch die schwarze Halbmaske flammten ihre Augen wie schwarze Dia¬ manten und die schmalen Lippen bissen sich zusammen. Plötzlich aber raffte sich die Fran auf — und noch ehe die Umstehenden rings begreifen konnten, was sie vorhabe, faßte sie den jungen Mann um den Leib, warf ihn mit einer Kraft, die mir jetzt unbegreiflich scheint, wie ein lebloses Ding über ihre Schulter, brach durch die Reihen der Zuschauer und war verschwunden. Die Messaline hatte den jungen Mann davon getragen, wie ein Jäger ein Stück Wild davonträgt. Ein ungeheures Bravoklatschen brach los, aber sie hörte es nicht mehr, sie war schon die Treppen hinab. Ich ging in den Saal hinunter. Der Ball tobte mit gleicher Heftigkeit weiter. Als ich die Treppen der Estrade hinabging, fiel mein Blick auf einen Pierrot, der auf der Brüstung einer Loge saß und seine Beine wie zwei dünne, melancho¬ lische Talgkerzen in den Saal hinabhängen ließ. Ungeheure Knöpfe zierten sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/224>, abgerufen am 24.08.2024.