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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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schwarze Sammtmaskc, die den Obertheil des Gesichts bedeckt und die Gluth der
Augen, das Roth der Lippen um so schärfer hervorhebt, und den weißen Atlas¬
schuh, der den kleinen Fuß der Pariserinnen so hübsch kleidet.

Nur Schritt vor Schritt kam ich, von der drängenden Menschenfluth fortge¬
tragen, bis in den Eingang des Saales. Er ist hoch, ungefähr auf dem Niveau
der ersten Logenreihe und mit einem Male thut sich von ihm der Anblick aus die
ganze Weite des Saales auf. Es ist ein wunderbares Schauspiel, was man da
plötzlich vor sich hat! Es getreulich zu schildern, scheint mir unmöglich, eben so
unmöglich, als eine Schlacht, oder einen Sturm auf dem Meere zu beschreiben.
Wer kann das Wogen und Bewegen von Tausenden schildern und dabei eine Idee
geben von der schmetternden Musik, von dem wilden Jubel des Tanzes? Wer auf
der Hohe steht und so mit einem Blick in den ungeheuren Kessel voll Menschen
hinab sieht, findet nur ein bezeichnendes Wort auf den Lippen: "Ein Pandämo-
nium." Ja ein Pandämonium ist der weite Saal geworden, und alle Dämonen
jener schönen Hölle, die man mit Recht das neue Babylon nennt, tanzen darin in
wilder Empörung. Der Saal ist ein Krater, in dem der Schaum und Abschaum
von Paris kocht und brodelt. Als wäre ein Dutzend Geister in jeden Leib ge¬
fahren, geberdet sich hier Jeder und Jede in jenem infernalischen Tanz, der --
ich weiß nicht warum -- der Cancan genannt wird. Alle Arme sind in der Luft,
alle Beine rühren sich in den wildesten Sätzen. So bunt sind die Farben, so un¬
beschreiblich ist der Wirrwar, daß das Auge sich nicht zu helfen weiß und wie von
einem Schwindel erfaßt wird. Eine lange Reihe von Girandolen erhellt den
Saal, aber so dick und dunstig ist die Atmosphäre, daß die entfernteren Leucht-
krvnen nur wie matte Sternlein dnrch den Nebel daherblicken. Musard, der Strauß
von Paris, der an dem einen Ende des Saals sein Orchester hat, thut sein Mög¬
lichstes, mit Blech und Pauken eine infernalische Musik zu machen, aber wie im
Gewühl einer Schlacht geht die Musik im Geschrei und Gestampfe der Tausenden
unter, und nur von Zeit zu Zeit durchbricht.ein Trompetenschmcttern das unge¬
heure Tosen.

Aber die Quadrille ist noch nichts. Man muß den Gallop abwarten, der
jeden Tanz beschließt, und wenn Alles bisher Wahnsinn schien, wird es jetzt zur
maßlosen Naserei. Nicht zu Zweien, wie bei uns, in großen Banden finden sich
die Tänzer zusammen und fegen beim Sturm der Musik den Saal hinab. Frauen
springen auf die Schultern der Männer und lassen sich so mit forttragen. Wer da
fiele, wäre verloren, achtlos ginge der Tanz über ihn hinweg, und ehe man dem
Gallop einen Einhalt thun könnte, wäre der Unglückliche schon vou hundert Füßen
zerstampft.

Nach jedem Tanze strömt die Menge dem Korridor und dem Foyer zu. Hier
spielt die andere Hälfte der großen Fastnachtsorgie. Frauen, die unerkannt blei¬
ben wollen und den Domino tragen, wandeln hier an dein Arme von Männern


schwarze Sammtmaskc, die den Obertheil des Gesichts bedeckt und die Gluth der
Augen, das Roth der Lippen um so schärfer hervorhebt, und den weißen Atlas¬
schuh, der den kleinen Fuß der Pariserinnen so hübsch kleidet.

Nur Schritt vor Schritt kam ich, von der drängenden Menschenfluth fortge¬
tragen, bis in den Eingang des Saales. Er ist hoch, ungefähr auf dem Niveau
der ersten Logenreihe und mit einem Male thut sich von ihm der Anblick aus die
ganze Weite des Saales auf. Es ist ein wunderbares Schauspiel, was man da
plötzlich vor sich hat! Es getreulich zu schildern, scheint mir unmöglich, eben so
unmöglich, als eine Schlacht, oder einen Sturm auf dem Meere zu beschreiben.
Wer kann das Wogen und Bewegen von Tausenden schildern und dabei eine Idee
geben von der schmetternden Musik, von dem wilden Jubel des Tanzes? Wer auf
der Hohe steht und so mit einem Blick in den ungeheuren Kessel voll Menschen
hinab sieht, findet nur ein bezeichnendes Wort auf den Lippen: „Ein Pandämo-
nium." Ja ein Pandämonium ist der weite Saal geworden, und alle Dämonen
jener schönen Hölle, die man mit Recht das neue Babylon nennt, tanzen darin in
wilder Empörung. Der Saal ist ein Krater, in dem der Schaum und Abschaum
von Paris kocht und brodelt. Als wäre ein Dutzend Geister in jeden Leib ge¬
fahren, geberdet sich hier Jeder und Jede in jenem infernalischen Tanz, der —
ich weiß nicht warum — der Cancan genannt wird. Alle Arme sind in der Luft,
alle Beine rühren sich in den wildesten Sätzen. So bunt sind die Farben, so un¬
beschreiblich ist der Wirrwar, daß das Auge sich nicht zu helfen weiß und wie von
einem Schwindel erfaßt wird. Eine lange Reihe von Girandolen erhellt den
Saal, aber so dick und dunstig ist die Atmosphäre, daß die entfernteren Leucht-
krvnen nur wie matte Sternlein dnrch den Nebel daherblicken. Musard, der Strauß
von Paris, der an dem einen Ende des Saals sein Orchester hat, thut sein Mög¬
lichstes, mit Blech und Pauken eine infernalische Musik zu machen, aber wie im
Gewühl einer Schlacht geht die Musik im Geschrei und Gestampfe der Tausenden
unter, und nur von Zeit zu Zeit durchbricht.ein Trompetenschmcttern das unge¬
heure Tosen.

Aber die Quadrille ist noch nichts. Man muß den Gallop abwarten, der
jeden Tanz beschließt, und wenn Alles bisher Wahnsinn schien, wird es jetzt zur
maßlosen Naserei. Nicht zu Zweien, wie bei uns, in großen Banden finden sich
die Tänzer zusammen und fegen beim Sturm der Musik den Saal hinab. Frauen
springen auf die Schultern der Männer und lassen sich so mit forttragen. Wer da
fiele, wäre verloren, achtlos ginge der Tanz über ihn hinweg, und ehe man dem
Gallop einen Einhalt thun könnte, wäre der Unglückliche schon vou hundert Füßen
zerstampft.

Nach jedem Tanze strömt die Menge dem Korridor und dem Foyer zu. Hier
spielt die andere Hälfte der großen Fastnachtsorgie. Frauen, die unerkannt blei¬
ben wollen und den Domino tragen, wandeln hier an dein Arme von Männern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/223>, abgerufen am 22.07.2024.