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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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weißes Gewand und sein hoher Spitzhut senkte sich traurig auf die eine Seite, wie
der Thurm von Pisa.

Dieser Pierrot war der junge Pole, mit dein ich die Reise im Waggon der
Eisenbahn gemacht hatte.

"Wie gehl's?" fragte ich ihn, meine Hände wie ein Sprachrohr vor den
Mund legend. -- "Der Karneval tödtet uns Alle!" rief er, und die traurigen
Beine, mit weißen Schuhen angethan, schwankten trauriger als je.

Ich winkte ihm mit der Hand und nahm gleichgültig von ihm Abschied. Das
Leben ist ein Gedränge, wie der Carneval.

Und weiter brach ich mir die Bahn. Wieder tanzten die Bajazzo's und
Wilden, und Chalifen und Savoharden, nicht minder die Lazaroni's und Templer
und Postillione und Russen und Sonnenpriester. Immer wüster und wilder ward
die Lust. Wildes, wüstes Bild, toll durcheinander wie eine Schlacht, oder wie
ein Wirbelwind, der Staub und Herbstlaub aufwühlt. Ich fühlte mich unsäglich
traurig. Endlich bei einem Getöse, in dem ein Kanonenschuß ungehört ver¬
klungen wäre, ging ich davon und dachte mir: Wenn Satan in seiner Hölle ein¬
mal einen recht schweren, schweren Traum, so eine Art Alpdrücken hat, muß es
ungefähr so aussehn, wie in Paris der Ball der großen Oper.


Ä. M.


Gi'cnM"?,. IV. 1847.28

weißes Gewand und sein hoher Spitzhut senkte sich traurig auf die eine Seite, wie
der Thurm von Pisa.

Dieser Pierrot war der junge Pole, mit dein ich die Reise im Waggon der
Eisenbahn gemacht hatte.

„Wie gehl's?" fragte ich ihn, meine Hände wie ein Sprachrohr vor den
Mund legend. — „Der Karneval tödtet uns Alle!" rief er, und die traurigen
Beine, mit weißen Schuhen angethan, schwankten trauriger als je.

Ich winkte ihm mit der Hand und nahm gleichgültig von ihm Abschied. Das
Leben ist ein Gedränge, wie der Carneval.

Und weiter brach ich mir die Bahn. Wieder tanzten die Bajazzo's und
Wilden, und Chalifen und Savoharden, nicht minder die Lazaroni's und Templer
und Postillione und Russen und Sonnenpriester. Immer wüster und wilder ward
die Lust. Wildes, wüstes Bild, toll durcheinander wie eine Schlacht, oder wie
ein Wirbelwind, der Staub und Herbstlaub aufwühlt. Ich fühlte mich unsäglich
traurig. Endlich bei einem Getöse, in dem ein Kanonenschuß ungehört ver¬
klungen wäre, ging ich davon und dachte mir: Wenn Satan in seiner Hölle ein¬
mal einen recht schweren, schweren Traum, so eine Art Alpdrücken hat, muß es
ungefähr so aussehn, wie in Paris der Ball der großen Oper.


Ä. M.


Gi'cnM«?,. IV. 1847.28
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[0225] weißes Gewand und sein hoher Spitzhut senkte sich traurig auf die eine Seite, wie der Thurm von Pisa. Dieser Pierrot war der junge Pole, mit dein ich die Reise im Waggon der Eisenbahn gemacht hatte. „Wie gehl's?" fragte ich ihn, meine Hände wie ein Sprachrohr vor den Mund legend. — „Der Karneval tödtet uns Alle!" rief er, und die traurigen Beine, mit weißen Schuhen angethan, schwankten trauriger als je. Ich winkte ihm mit der Hand und nahm gleichgültig von ihm Abschied. Das Leben ist ein Gedränge, wie der Carneval. Und weiter brach ich mir die Bahn. Wieder tanzten die Bajazzo's und Wilden, und Chalifen und Savoharden, nicht minder die Lazaroni's und Templer und Postillione und Russen und Sonnenpriester. Immer wüster und wilder ward die Lust. Wildes, wüstes Bild, toll durcheinander wie eine Schlacht, oder wie ein Wirbelwind, der Staub und Herbstlaub aufwühlt. Ich fühlte mich unsäglich traurig. Endlich bei einem Getöse, in dem ein Kanonenschuß ungehört ver¬ klungen wäre, ging ich davon und dachte mir: Wenn Satan in seiner Hölle ein¬ mal einen recht schweren, schweren Traum, so eine Art Alpdrücken hat, muß es ungefähr so aussehn, wie in Paris der Ball der großen Oper. Ä. M. Gi'cnM«?,. IV. 1847.28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/225>, abgerufen am 22.07.2024.